Politische Bildung tut not

"Man muss sich Sorgen um die Demokratie machen"

Ein Logo mit der Aufschrift «Demokratie beginnt mir Dir» steht in der Landeszentrale für politische Bildung in Niedersachsen
"Wir müssen schauen, was gemeinsame Ziele für eine Gesellschaft sein können." © dpa
Herman Josef Abs im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 28.08.2018
Insgesamt sehr zufrieden mit dem Staatswesen seien Schülerinnen und Schüler in Deutschland, sagt der Bildungsforscher Hermann Josef Abs. Allerdings seien Jugendliche passiv beim politischen Engagement und wüssten oft nicht, was etwa die Opposition macht.
Stephan Karkowsky: Wer sich Sorgen macht um die Demokratie in Deutschland, muss dabei nicht zwangsläufig nur auf die Migranten schauen, auch 71 Prozent der AfD-Anhänger stehen dem demokratischen System mehrheitlich ablehnend gegenüber, das berichtete der "Stern" nach einer Forsa-Umfrage.
Dennoch wird Integration in unser politisches System natürlich vor allem von Neubürgern gefordert, auch auf einer internationalen Konferenz an der Universität Duisburg-Essen, zu der der Erziehungswissenschaftler Professor Hermann Josef Abs eingeladen hat. Guten Morgen, Herr Abs!
Hermann Josef Abs: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Was hat Sie veranlasst zu diesem Treffen?

Große Passivität beim politischen Engagement

Abs: Na ja, zu diesem Treffen hat uns nicht veranlasst, dass wir ausschließlich eine Aufgabe haben, Migranten zu integrieren, sondern wir haben längerfristig zu dem Thema politische Bildung geforscht und sehen, dass in der Gesamtbevölkerung, vor allem bei den Schülerinnen und Schülern es doch eine große Zufriedenheit mit dem aktuellen Staatswesen gibt insgesamt und deshalb eine große Passivität, sich zu engagieren.
Und relativ kleine Gruppen werden dann irgendwo auffällig, radikalisieren sich, bilden Extreme, aber in der großen Mehrheit der Jugendlichen haben wir noch eher eine Passivität und kein richtiges Erleben dessen, wie wichtig es ist, sich auch einzubringen und dazu beizutragen, wie Integration insgesamt in der Gesellschaft gelingen kann.
Karkowsky: Migration ist aber auch im Titel der Tagung vorgesehen – welche Defizite sehen Sie denn auf den Seiten der ankommenden Migranten, welche Probleme gibt es da?
Abs: Es gibt Probleme aufseiten der ankommenden Migranten und aufseiten der Gesellschaft, die diese aufnimmt. Und solche Probleme entstehen immer, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen. Da wird zunächst einmal die eigene Perspektive bewusster, als sie vorher bewusst war, und es entsteht die Aufgabe, sich neu dessen zu vergewissern, was man eigentlich erreichen will, was man gemeinsam erreichen kann.
Von daher sehe ich Probleme nicht nur bei den Migranten oder Migrantinnen, also eine einseitige Zuweisung von Verantwortung für die Gestaltung eines politischen Gemeinwesens liegt uns fern.

"Schauen, was gemeinsame Ziele für eine Gesellschaft sein können"

Karkowsky: Dann würden Sie gar nicht sagen, dass man sich Sorgen machen muss um die Demokratie in Deutschland?
Abs: Natürlich, das sagen wir. Man muss sich Sorgen machen um die Demokratie in Deutschland, man muss sich Sorgen machen, weil es Diskriminierung gibt und Radikalisierung. Und aus unserer Perspektive stehen Diskriminierung und Radikalisierung, die Angst, nicht genug abzubekommen von dem, was gemeinsam vorhanden ist, diese Phänomene stehen in einem Wechselverhältnis zueinander, und deshalb muss man sie gemeinsam betrachten und behandeln.
Es hat keinen Sinn, ausschließlich die Radikalisierung von sei es nun Rechtsradikalen oder die Radikalisierung von Migranten, Migrantinnen, die sich auf eine Religion beziehen, zu diskutieren, sondern wir müssen das in Beziehung zueinander setzen und schauen, was gemeinsame Ziele für eine Gesellschaft sein können, an denen es sich lohnt, gemeinsam zu arbeiten.
Und wir haben genug gemeinsame Probleme, die alle Gruppen in dieser Gesellschaft betreffen. Schauen wir zum Beispiel auf den Klimawandel, schauen wir zum Beispiel auf den demografischen Wandel und wie diese Gesellschaft nachhaltig die verschiedenen Funktionen, die sie erfüllen muss, für alle Gesellschaftsmitglieder erfüllen kann. Das kann man nicht lösen, indem man sich ausschließlich auf eine Gruppe bezieht.
Ein Pappschild mit der Aufschrift «Politische Bildung» weist am 25.01.2017 in Hannover (Niedersachsen) auf den Eingang der neuen Landeszentrale für politische Bildung in Niedersachsen hin. Foto: Holger Hollemann/dpa
Ein Pappschild mit der Aufschrift «Politische Bildung» weist in Hannover auf den Eingang der neuen Landeszentrale für politische Bildung in Niedersachsen hin. © picture alliance / dpa / Holger Hollemann
Karkowsky: Was kann denn die politische Bildung tun, um das Demokratieverständnis insgesamt zu stärken und vor allen Dingen auch die Jugendlichen, von denen Sie sagen, dass sie ja generell zufrieden sind mit diesem System, stärker zu aktivieren gegen Personen, die gegen die Demokratie arbeiten?

"Verantwortungsübernahme einüben"

Abs: Wir arbeiten da auf verschiedenen Ebenen. Das eine ist die Ebene des Verständnisses von Demokratie. Wir sehen zum Beispiel bei unseren Untersuchungen mit relativ jungen Jugendlichen, 14-Jährigen, dass dort in einzelnen Gruppen noch kein hinreichendes Verständnis von Demokratie vorhanden ist. Wir fragen zum Beispiel, was ist die Aufgabe von Opposition in der Demokratie, und diese Aufgabe von Opposition, dass es nicht darum geht, die Regierung zu unterstützen, Öffentlichkeitsarbeit für die Regierung zu machen, sondern die Regierung zu kritisieren. Das ist durchaus noch nicht allen klar.
Also wir arbeiten auf der kognitiven Ebene, aber es geht natürlich auch oft darum, Verantwortung zu übernehmen, und politische Bildung hat deshalb auch eine Aufgabe darin, Verantwortungsübernahme einzuüben, einzuüben, wie man sich in Diskussionen einbringt, und erfahrbar zu machen, wie man für andere einen sinnvollen Beitrag leisten kann.
Karkowsky: Wie vorbildlich oder auch nicht vorbildlich sehen Sie denn da gerade die aktuelle politische Debatte, vor allen Dingen im Vorfeld der bayrischen Landtagswahlen? Manch undemokratischer Gedanke prägt ja bereits die Haltung breiter Schichten, wie etwa die Idee vom Gastrecht, als gebe es Rechtsbürger erster und zweiter Klasse. Also wie lässt sich da die demokratische Aufnahmegesellschaft an ihre Grundwerte erinnern?
Abs: Ja, meine Zielgruppe und die Zielgruppe der Tagung sind in erster Linie Schülerinnen und Schüler und nicht Politiker und Politikerinnen. Und Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf handeln allenfalls so, wie sie glauben, dass es ihnen die meisten Wählerstimmen einbringt und liegen dabei aber auch oft genug falsch.
Dass wir in Deutschland unterschiedliche Bürgerrechte haben für die Menschen, die hier leben, also dass nicht alle Menschen, die hier leben, in der Demokratie die gleichen Beteiligungsrechte haben, das ist eigentlich in Deutschland immer schon so, das ist auch in anderen Ländern so. In keinem Land ist es so, dass man mit der Ankunft zum Beispiel gleich das volle Wahlrecht bekommt.

Lehrkräfte sind nicht ausgebildet für politische Bildung

Karkowsky: Sind Sie denn dafür, dass man in den Schulen ein eigenes Fach "politische Bildung" einrichtet, oder wird dort bereits getan, um die Schüler entsprechend auf die Demokratie vorzubereiten?
Abs: Das ist je nach Bundesland sehr unterschiedlich zu beantworten, denn in den meisten Bundesländern gibt es in vielen Schularten auch durchaus ein eigenes Fach "politische Bildung", auch wenn das nicht immer "politische Bildung" heißt, sondern zum Beispiel "Sozialkunde" oder "Gemeinschaftskunde" oder auch einfach "Politik" oder "Politik und Wirtschaft".
Also es gibt das Fach, aber nicht durchgehend, und sicherlich vertreten wir die Aufgabe, dass es auch noch mal eines intensiven Blicks bedarf, ob das in der Stundentafel hinreichend verankert ist und auch vor allem für alle Schularten hinreichend verankert ist, also auch gerade für die nicht gymnasialen Schularten.
Die größere Herausforderung stellt allerdings die Lehrerbildung dar, denn der Unterricht in der politischen Bildung wird zu mehr als der Hälfte nicht von dafür ausgebildeten Lehrkräften erteilt. Wir wissen aus anderen Fächern hinreichend, dass die Qualität der Unterrichtsergebnisse besser wird, wenn wir spezifisch ausgebildete Lehrkräfte einsetzen. Das heißt, es reicht nicht, einfach den Stundenanteil zu erhöhen, sondern man muss auch die Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer …
Karkowsky: Und da ist unsere Leitung abgebrochen. An der Uni Duisburg-Essen wird noch bis morgen über die Aufgabe der politischen Bildung bei der Integration diskutiert. Wir hörten dazu den Erziehungswissenschaftler Hermann Josef Abs. Besten Dank!
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