Politikwissenschaftler über rechte Vordenker

Wo Höcke sein geistiges Manna bezieht

08:30 Minuten
Björn Höcke (Mitte), Fraktionschef der AfD im Thüringer Landtag, protestiert Anfang März mit Mitgliedern und Anhängern der AfD am Thüringer Landtag gegen eine mögliche Wahl des Linke-Politikers Bodo Ramelow.
AfD demonstriert am Thüringer Landtag © picture alliance / dpa-Zentralbild / Martin Schutt
Richard Gebhardt im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 06.03.2020
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Der Think-Tank "Institut für Staatspolitik" gilt als Keimzelle für den völkisch-nationalistischen AfD-Flügel um Björn Höcke. Sollte man das Institut schließen, wie von mehreren Seiten gefordert? Der Politikwissenschaftler Richard Gebhardt ist dagegen.
Am heutigen Freitag trifft sich der AfD-"Flügel" von Björn Höcke in Schnellroda, wo der Publizist Götz Kubitschek seinen neurechten Think-Tank "Institut für Staatspolitik" (IfS) leitet. Die Parteikollegen aus Sachsen-Anhalt sollen vor der Wahl im nächsten Jahr demonstrativ unterstützt werden. Aus dem nahe liegenden Halle ist eine Gegendemonstration angekündigt, deren Veranstalter unter anderem ein Verbot beziehungsweise die Schließung der Einrichtung fordern.
Allgemein sei zu beobachten, dass sich "entlang der politischen Kräfteverhältnisse die Debatte nach rechts verschoben" hätte, sagt der Politikwissenschaftler Richard Gebhardt. Das sei allein dadurch zu erkennen, "dass wir heute Leute wie Alice Weidel als partiell moderat, gemäßigt oder bürgerlich bezeichnen". Jedoch: "Keineswegs ist heute eine Alice Weidel gemäßigt, sondern sie produziert in ihren Reden die Bilder, die auch kompatibel sind für sogenanntes neurechtes Denken." Gebhardt erinnert an Begriffe wie "Messermänner" oder "Kopftuchmädchen" aus Weidels Reden.
Was Björn Höcke anbelange, so sei bei seinen Auftritten "ein faschistoider Beiklang" deutlich nachweisbar.

Neurechts ist eigentlich altrechts

Allerdings hält Gebhardt die Bezeichnung "neurechts" für nicht wirklich zutreffend: "Die 'Neue Rechte' ist in Wahrheit sehr, sehr alt. Sie bezieht sich auf eine Tradition des faschistischen Denkens in der Weimarer Republik, und insofern repräsentiert Götz Kubitschek eine Recycling-Rechte."
Zu der Forderung nach einer Überwachung oder einem Verbot sagte der Politikwissenschaftler: "Die bundesrepublikanische Öffentlichkeit wird generell … diskutieren müssen, ob die liberale Demokratie nicht auch mit den illiberalen Mitteln des Verbots und der Zensur verteidigt werden muss. Es wäre unredlich, wenn wir diesen damit verbundenen Widerspruch auch nicht sehen würden."
Persönlich hält Gebhardt ein Verbot des "Instituts für Staatspolitik" aus liberalen Erwägungen heraus für keine gute Lösung. Stattdessen sollte der völkisch-nationalistische "Flügel" politisch ausgebremst werden.
(mkn)

Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: Auch AfD-Politiker bilden sich gelegentlich weiter. Bevorzugtes Trainingszentrum des rechten Flügels soll eine Denkfabrik sein mit dem pompösen Namen "Institut für Staatspolitik". Dort soll der neurechte Verleger Götz Kubitschek einst die ideologischen Grundlagen gelegt haben für den AfD-"Flügel" um Björn Höcke. Höcke kehrt heute sozusagen an seine ideologische Geburtsstätte zurück. Er will gemeinsam mit anderen AfD-Führern den Flügel der Landes-AfD Sachsen-Anhalts unterstützen. Dort wird nächstes Jahr gewählt. Erklären soll uns dieses Treffen der Aachener Politikwissenschaftler und Referent Richard Gebhardt. Guten Morgen!
Richard Gebhardt: Schönen guten Morgen!
Karkowsky: Herr Gebhardt, Götz Kubitschek ist ja nach allem, was man weiß, nicht selbst AfD-Mitglied. Was macht ihn denn zu einem Neurechten, wie es immer heißt?
Gebhardt: Er ist zum einen der intellektuelle Stichwortgeber für die Debatten nicht nur des Flügels, sondern nach meiner Einschätzung auch der gesamten AfD. Björn Höcke hat einmal gesagt, er würde sein geistiges Manna aus Schnellroda beziehen. Ich denke, das sollten wir sehr ernst nehmen, weil er nicht nur durch die Publikation aus Schnellroda geschult wurde, sondern weil er das Vokabular übernimmt.
Ich würde allerdings dafür plädieren, dass wir diesen Begriff "Neue Rechte" langsam aufgeben. Die Neue Rechte ist in Wahrheit sehr, sehr alt, sie bezieht sich auf eine Tradition des faschistischen Denkens in der Weimarer Republik, und insofern repräsentiert Götz Kubitschek eine Recycling-Rechte. Das Institut für Staatspolitik ist im Jahre 2000 ja bereits schon gegründet worden seinerzeit im hessischen Bad Vilbel und sollte eigentlich immer eine Art Nachwuchszentrum, Schulungszentrum für junge rechte Akademiker darstellen. Sie müssen sich vorstellen, dass es seinerzeit gerade in Hessen ein sehr überschaubares Milieu gewesen ist, aber damals schon wurde die Devise ausgegeben, einen Kampf um die Köpfe auch von Macht- und Mandatsträgern zu führen. Diese Macht- und Mandatsträger stehen dem Institut für Staatspolitik, die stehen Götz Kubitschek mittlerweile zur Verfügung.

Zur Pulsader des "Flügels" hochgeschrieben

Karkowsky: Wie einflussreich ist denn dieses ominöse "Institut für Staatspolitik" derzeit? Ist das nur ein Wohnzimmer, wo eine kleine Gruppe von Leuten Umvolkungsfantasien nachgeht, oder ist es wirklich eine ideologische Kaderschmiede für Rechtsextreme mit großen Seminarräumen?
Gebhardt: Also es gab schon in den letzten Jahren eine gewisse mediale Überhöhung, dass Journalisten zu Götz Kubitschek und Ellen Kositza, seiner Gattin und Publizistin, die übrigens auch eine sehr originelle eigene Publizistin schon wieder ist, dort sind Journalisten hingepilgert und haben dieses Institut zum eigentlichen Bereich des Pulsaders der Partei hochgeschrieben. Ich glaube, so weit würde ich nicht gehen. Ich finde aber, als kleine Parteischule und Forum des Flügels ist das Institut für Staatspolitik definitiv wichtig. Ich habe die Einschätzung von Björn Höcke selber schon genannt eben, wo er davon sprach, dass er dort sein geistiges Manna bezieht.
Wenn Sie sich anschauen, wie seinerzeit das Institut für Staatspolitik die Themen bereits gesetzt hat, also die Themen Migration, deutsche Geschichte – wir erinnern uns an Björn Höckes erinnerungspolitische Wende um 180 Grad –, aber auch der obsessive Kampf gegen die Linke, der generelle Angriff auf die gesellschaftspolitische Liberalisierung der Bundesrepublik Deutschland, dann werden nicht nur vom Flügel Positionen übernommen, die von Kubitschek und anderen seinerzeit vorgedacht worden. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass nicht nur Björn Höcke oder Andreas Kalbitz von der AfD in Brandenburg in Schnellroda präsent waren, sondern dort reüssierten auch Alexander Gauland, reüssierten auch Jörg Meuthen oder auch Alice Weidel.
Wenn ich die Beobachtung noch hinzufügen darf: Alleine, dass wir in Abgrenzung zum Flügel heute Meuthen oder Alice Weidel als partiell moderat, gemäßigt oder bürgerlich bezeichnen, zeigt doch, wie sehr sich entlang der politischen Kräfteverhältnisse die Debatten auch nach rechts verschoben haben, denn keinesfalls ist beispielsweise eine Alice Weidel gemäßigt, sondern sie produziert in ihren Reden die Bilder, die auch kompatibel sind für sogenanntes neurechtes Denken. Denken Sie an ihre Rede über die sogenannten Messermänner und die Kopftuchmädchen, die dann mit Taugenichtsen in Verbindung gebracht worden sind.
Karkowsky: Heute also das erste Treffen des AfD-Flügels der Landespartei Sachsen-Anhalt in diesem Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek, anwesend mit Höcke und Kalbitz. Nun wurde gegen das Treffen eine Gegendemo angekündigt. Die Gegendemonstranten fordern, das Institut für Staatspolitik zu verbieten. Mit welcher Begründung?
Gebhardt: Also ich glaube, dass die Demonstranten – ich glaube, das Motto heißt: den Faschisten keine Ruh – einen wichtigen Punkt gefunden haben. Schnellroda steht nicht für einen etwas impulsiveren Konservatismus. So sehen sich diese Leute ja selber gerne, als schärfere Konservative. Der Flügel selber nennt sich wiederum allerdings eine Widerstandsbewegung. Das ist schon etwas anderes, und das hat auch keine reine Parteienform.
Ich finde es wichtig, dass vor Ort sehr gut recherchiert wird, und ich finde auch wichtig zu zeigen, dass dies keine Stimme ist in Schnellroda, die wir irgendwie eingemeinden können in einen Pluralismus. Insofern haben die Leute, die dort diskutieren, schon einen Punkt, und die bundesrepublikanische Öffentlichkeit wird generell – das haben wir auch gestern im Bundestag gesehen – diskutieren müssen, ob die liberale Demokratie nicht auch mit den illiberalen Mitteln des Verbots und der Zensur verteidigt werden muss. Es wäre unredlich, wenn wir diesen damit verbundenen Widerspruch auch nicht sehen würden.

"Ich selbst würde nicht für ein Verbot plädieren"

Karkowsky: Aber sehen Sie denn tatsächlich im Institut selber Ansätze für ein Verbot dieser Einrichtung?
Gebhardt: Ich selber würde nicht für ein Verbot plädieren, zum einen aus liberalen Erwägungen, zum anderen aus dem schlichten Punkt, dass ich die da aktivierten Denkmuster oder auch Einstellungen, die sie zeigen, die ja latent in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer auch unter der Oberfläche brodelten, die lassen sich ja einfach nicht verbieten oder dichtmachen. Wichtig ist, wie man die dort entfesselten Ressentiments bearbeitet, politisch zurückweist und markiert und dieses Denken so eingrenzt, dass die Neue Rechte dort letztendlich ein Selbstgespräch führt.
Aber wenn Sie beispielsweise Björn Höcke ganz genau zuhören, der diese Punkte ja auch aus Schnellroda übernommen hat, er spricht von einem Remigrationsprojekt in der Bundesrepublik Deutschland, er spricht – und da zitiert er Peter Sloterdijk, den Philosophen und fügt das Zitat für seine Zwecke zurecht – von einer wohltemperierten Grausamkeit im Zusammenhang mit Migrationspolitik, dann sehen Sie, dass dort tatsächlich ein faschistoider Beiklang nachweisbar ist. Darauf weisen die Leute, die heute demonstrieren, völlig zu Recht hin, auch wenn darüber zu diskutieren wäre, ob mit der Losung Dichtmachen tatsächlich dann auch schon eine Politik vollzogen wird, die über den reinen antifaschistischen Appell hinausgeht.
Karkowsky: Vor ein paar Tagen sickerte durch, dass der Verfassungsschutz den völkisch-nationalen Flügel der AfD offenbar demnächst beobachten will. Das ist noch nicht offiziell bestätigt. Rechnen Sie damit, dass es kommt, mit einer Bitte um eine kurze Antwort?
Gebhardt: Ja, definitiv. Also wir haben jetzt schon gesehen bei Björn Höcke, als er zum 200. sogenannten Abendspaziergang von Pegida geredet hat, dass er einen Schalldämpfer draufhatte auf seiner Rede. So spricht er üblicherweise nicht. Das war schon eher in weiten Teilen zurückhaltend. Ich glaube, dass das die Partei gerade auch unter Druck setzt, und ich glaube, dass die das auch entsprechend nervös macht, gerade nach der Wahlfarce von Erfurt oder auch nach den Attentaten aus Hanau. Insofern werden sie genau wissen, dass sie dafür in Sippenhaftung genommen werden. Die AfD weiß selber, dass wenn sie ihren Appell gegen Verächtlichmachung von Migrantinnen und Migranten wirklich ernstnehmen würde, sich selber auflösen müsste. Ich denke, das ist Teil der Debatte jetzt gerade auch in den Strategiepapieren intern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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