Politikwissenschaftler Thomas Schimmel

"Stimmen der AfD-Wähler neutralisieren"

Thomas Schimmel im Studio von Deutschlandradio Kultur
Thomas Schimmel im Studio von Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio / Manuel Czauderna
Thomas Schimmel im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 15.09.2016
Warum der Sohn eines Pfarrers zu den Franziskanern konvertierte, dann doch Politik studierte und heute die Verwendung des Begriff "christliches Abendland" durch Rechtspopulisten kritisiert - darüber spricht Thomas Schimmel mit Klaus Pokatzky.
Thomas Schimmel konvertierte mit Ende 20 zum katholischen Glauben. Die soziale Arbeit des Franziskaner Ordens faszinierte ihn besonders. Er studiert Politikwissenschaft, weil sein religiöses Verständnis im Sinne der "Theologie der Befreiung" auch soziales und politisches Engagement beinhalte.
Im Mittelpunkt seiner heutigen Arbeit stehen Dialog und Annäherung der verschiedenen Religionen: Seit fünf Jahren ist Schimmel deshalb auch Geschäftsführer der franziskanischen Initiative "1219. Religions- und Kulturdialog e.V." - 1219 nimmt Bezug auf ein wichtiges kirchengeschichtliches Ereignis: Vor fast 800 Jahren schloss sich der Heilige Franz von Assisi dem 5. Kreuzzug nach Ägypten an - allerdings nicht als Kämpfer, sondern als Friedensstifter. Obwohl Franz von Assisi vom Sultan gehört wurde, erreichte er damals keinen Frieden zwischen Christen und Muslimen.

Wahlbeobachter in Südosteuropa

Die Aktualität religiöser Konflikte erlebte Schimmel nach den Balkankriegen Ende der 90er-Jahre als Wahlbeobachter der OSZE in Südosteuropa. Stolz zeigte man ihm einen Parkplatz, auf dem vorher eine Moschee gestanden hatte oder warnte ihn, Häuser geflohener Muslime zu betreten, weil sie vermint seien.
Religiöse Feindschaften würden auch heute instrumentalisiert, sagt er. Beispielsweise würden Formulierungen wie "christliches Abendland" als "Abgrenzungsbegriff" benutzt:
"Ich war noch nie im christlichen Abendland, von daher habe ich keine Nachrichten darüber. Aber wenn ich mich so umschaue, ist das christliche Abendland ein Kampfbegriff und zwar schon immer ein Kampfbegriff zur Abgrenzung gegen Andere, zur Abgrenzung gegen die Juden, zur Abgrenzung gegen die Bolschewisten und zur Abgrenzung gegen Muslime ... - eine wirkliche Definition von Abendland ist mir eigentlich nicht bekannt."

Muslime sollen Wahlrecht nutzen

Auch die AfD instrumentalisiere das Fremde, das Andere. Vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahl in Berlin am kommenden Sonntag appelliert Schimmel an die in Berlin lebenden Muslime, ihr Wahlrecht zu nutzen:
"Für jeden mobilisierten Wähler der rechtspopulistischen Parteien brauchen wir zwei, um diese Stimme zu neutralisieren, und wer da Glaubensprobleme hat, der kann sich gerne informieren, dass es für einen Muslim es kein Problem ist, auch in einem westlich politischen System zur Wahl zu gehen. Im Gegenteil, die Hadithen und der Koran fordern Muslime sogar auf, ja, Gutes zu tun, und das Schlechte zu verhindern, und das wäre in diesem Fall zur Wahl zu gehen."
Die Annäherung dem Fremden gegenüber hält Schimmel für enorm wichtig. Deshalb übernahm er im Jahr 2014 auch die ehrenamtliche Koordination der "Langen Nacht der Religionen" in Berlin, bei der fast 90 religiöse Gemeinschaften ihre Türen zum Dialog öffnen. Am kommenden Samstag findet sie zum fünften Mal statt. Geplant sind Führungen, Diskussionen, Vorträge und Meditationen.