Politikerverdrossen, aber nicht wahlmüde
Am 30. August 2009 wählen die Sachsen einen neuen Landtag. Erstmals seit der Wende stellt sich ein gebürtiger Sachse als Ministerpräsident und Spitzenkandidat seiner Partei zur Wiederwahl. Der Sorbe und Christdemokrat Stanislaw Tillich.
Mit dem Monat August hat in Sachsen die heiße Phase des Wahlkampfes begonnen. 16 Parteien, so viele wie nie zuvor, werben um die Gunst des Wählers. Die Schulferien sind beendet und die Kandidaten aller Parteien sind nahezu pausenlos unterwegs, um Werbung für sich und ihr Wahlprogramm zu machen. Die Spitzenkandidaten- und eine Kandidatin werden in diesen Tagen nach Kräften von einflussreicher Politprominenz ihrer Parteien unterstützt. Jeder Tag, jeder Auftritt zählt.
"Ja, liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer, begrüßen Sie mit mir zunächst den am weitesten angereisten Ministerpräsidenten, dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Herrn Horst Seehofer. Herzlich willkommen! Genauso herzlich begrüßen wir natürlich den sächsischen Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, herzlich willkommen, Herr Tillich!"
Chemnitz am 12. August. Der Spitzenkandidat der sächsischen CDU, Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist als Wahlkämpfer zu Gast in der eher roten Hochburg, dem SPD-regierten Chemnitz. Die Bühne am Roten Turm mitten im Zentrum ist erstaunlich klein und bescheiden, die davor aufgebauten Bierbänke und Tische sind gut gefüllt, allerdings zieht es keine Massen an diesem Tag zu dieser Kundgebung, die mit dem ebenso populären wie streitbaren Gast aus Bayern eigentlich hochkarätig besetzt ist. Eine Passantin:
""Chemnitz ist mit Vorsicht zu genießen, die Linken sind gleich stark wie die CDU. Da warten wir mal ab."
In der ehemals reichen Industriemetropole, die sich langsam aber erfolgreich unter dem Motto "Stadt der Moderne" positioniert, geht Spitzenkandidat Tillich aufs Ganze:
"Ich will dafür kämpfen, dass Sachsen da wieder steht, wo es vor 60 Jahren war. Vor 60 Jahren war Sachsen die wirtschaftlich bedeutendste Region Europas, da gehören wir wieder hin. Dafür zu kämpfen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, eine intakte Gesellschaft zu sein, dafür lohnt es sich, dafür bitte ich Sie am 30. 8. um Ihre Stimme. Gehen Sie zur Wahl, denn auf die Wahlbeteiligung wird es entscheidend ankommen."
Auch Wahlhelfer Horst Seehofer weiß, wie er die Sachsen packen kann. Schon am Beginn seiner kurzen Rede kann er punkten:
"Meine Damen und Herren, lieber Stanislaw, zu allererst, vor den klaren Worten ein Grüß Gott aus dem Freistaat Bayern an das große, starke und stolze Sachsen!"
Applaus.
Seehofer und Tillich kennen sich schon länger, hatten zeitweilig parallel das gleiche Ressort, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geführt, Seehofer auf Bundesebene, Tillich in Sachsen.
Seehofer: "Und ich habe damals schon immer gespürt in den Ministerkonferenzen, mit kluger Kraft: Das, was auf dem Plakat steht, trifft zu, ein Politiker bei dem man zuhören muss, wenn er etwas sagt, weil er uns etwas zu sagen hat."
Erst seit 16 Monaten ist der gebürtige Sachse und Sorbe Stanislaw Tillich im Amt des Ministerpräsidenten. Der bekennende Katholik beerbte in einer parteiinternen Ad Hoc Entscheidung den glücklosen aus Westfalen stammenden Georg Milbradt.
Tillich kann auf eine beachtliche politische Karriere zurückblicken. Er war als Abgeordneter im Europäischen Parlament, dort unter anderem als Berichterstatter im Haushaltsausschuss, dann ab 1999 im Kabinett Biedenkopf als Chef der Staatskanzlei, Umwelt- und Landwirtschaftsminister sowie kurzzeitig später unter Milbradt als Finanzminister. Ihm traute die Parteispitze zu, die völlig zerstrittene und verunsicherte Sachsen-CDU wieder auf Vordermann zu bringen.
Tillich gilt als gewandt, medientauglich und jovial, gefördert wurde er sowohl von Kurt Biedenkopf als auch von Georg Milbradt. Sein wichtigstes Kapital in diesem Wahlkampf jedoch ist seine Herkunft:
"Steht Ihre Wahlentscheidung schon fest?"
"Hab gestern schon Briefwahl getätigt,…ich bin froh, dass es ein Sachse ist,...erstmalig, na mal sehen."
"Na, dass er ein Ministerpräsident aus Sachsen ist, das ist schon positiv, denke ich, wobei das aber überhaupt nicht sprechen soll gegen Biedenkopf oder so, in der Anfangsphase war es für Sachsen ein Glück, wie auch für Thüringen, dass es Ministerpräsidenten gab aus den alten Ländern, die hier begonnen haben, und jetzt denke ich, sind die Länder und insbesondere Sachsen soweit, dass sie auf Leute aus ihrem Land zurückgreifen können."
Doch die Herkunft des 50-jährigen Stanislaw Tillich ist zugleich seine Achillesferse. Seit Herbst 2008 läuft im Land eine Debatte um seine DDR-Vergangenheit, die ihn 1987 aus - wie er sagt - freien Stücken in die Ost-CDU und somit in eine der Blockparteien des einstigen SED-Staates führte. Dort machte er schnell Karriere im Rat des Kreises von Kamenz.
Schon in der DDR wurde er gefördert. Ein detaillierter Ausbildungsplan belegt, dass er für höhere Aufgaben vorgesehen war. Kaderschulungen an der CDU-Parteischule soll er jedoch nicht besucht haben. Erst kürzlich wurde ihm außerdem vorgeworfen, noch kurz nach der Wende im Rat für Zwangsenteignungen gestimmt zu haben. Im Wendejahr war er dort als stellvertretender Vorsitzender zuständig für Handel und Versorgung. Dieses wichtige Detail ist erst seit Kurzem und nach massivem öffentlichen Druck seinen veröffentlichten Lebensläufen zu entnehmen.
Kritiker werfen ihm vor, seine Vita geschönt zu haben. Stasimitarbeiter war er jedoch nicht. Und alles in allem sieht es ganz so aus, als spielte seine politische Vergangenheit in der DDR für viele der Bürger heute auch gar keine Rolle. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap, die kürzlich im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks durchgeführt wurde, finden es 76 Prozent der darin befragten 1000 Sachsen unproblematisch, dass heutige Politiker auch schon zu DDR-Zeiten politische Funktionen hatten.
Passanten: "Wissen Sie, wir sind auch DDR-Bürger, wenn es große Dinge gegeben hat, dann hoffe ich, sind sie schon lange ausgekippt, und es ist wahrscheinlich sehr viel Politik dabei, es ist für mich nicht sehr bedeutsam."
"Wir haben einfach ein Problem in Deutschland. Wir haben als DDR-Bürger für vieles Verständnis und das haben natürlich – wirklich natürlich – die Westdeutschen nicht. Ist auch schwierig rüberzubringen. Das eigene Erleben über Jahrzehnte ist viel intensiver als alles Erzählen und alles Lesen."
Für die in Leipzig geborene Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Antje Hermenau, ist die Debatte um Tillich und sein Verhalten auf die Anwürfe durchhaus ein Thema. Sie kritisiert die scheibchenweise Informationspolitik des CDU-Spitzenkandidaten auch im Landtag ganz offen:
"Wer sich davor drückt, unangenehme Wahrheiten der Vergangenheit auszusprechen oder auch der Gegenwart. Wie soll der fähig sein, die unangenehmen Wahrheiten der Gegenwart und der Zukunft zu benennen, wie soll das gehen?"
Für die Linkspartei hingegen, die noch mit Grausen an die stark kritisierte "Rote-Socken-Kampagne" der CDU in den 90er-Jahren zurückdenkt, ist die neuerliche Debatte um die in der DDR weitgehend gleich geschalteten Blockparteien und um Tillichs Verstrickung in den alten Machtapparat der DDR ein gefundenes Fressen. Der Spitzenkandidat der Linken in Sachsen, Andre Hahn:
"Mit dieser auf die Spitze getriebenen Doppelmoral werden sie am 30. August Schiffbruch erleiden. Insbesondere die CDU wollte die Erinnerung an 20 Jahre Friedliche Revolution parteipolitisch instrumentalisieren, um mit ihren Horrorszenarien uns gegenüber ihre eigene Macht zu verewigen. Nun kehrt die eigene Parteipropaganda gegen sie selbst wie ein Bumerang zurück."
Zum ersten Mal steht mit Stanislaw Tillich ein gebürtiger Sachse an der Spitze des Freistaates und zum ersten Mal muss er sich im Amt des Regierungschefs einer Wahl stellen. Großflächige Plakate werben mit seinem Konterfei und dem Spruch "Der Sachse". Weitere Inhalte spielen auf diesem Plakat, auf das man häufig trifft, keine Rolle. Der Slogan erzürnt die SPD, Spitzenkandidat Thomas Jurk:
"Ich finde es einfach nicht in Ordnung, dass man versucht, mit dem Synonym ‚Der Sachse’ deutlich zu machen, das darf nur ein Sachse werden. Und viele Leute haben uns seit 1990 hier im Land geholfen das Land aufzubauen, und deshalb ist es mir so wichtig, dass diese sich auch nicht diskreditiert fühlen. "
In Chemnitz offenbart sich im Jubiläumsjahr, 20 Jahre nach dem Mauerfall, ein weiteres wichtiges Element des CDU-Wahlkampfes: Die CDU als Partei der Einheit. Der Spitzenkandidat, Stanislaw Tillich:
"Helmut Kohl und die CDU waren es, die die Wiedervereinigung Deutschlands nie aus den Augen verloren haben, und wo sich die Chance bot, letztendlich auch dieses Wirklichkeit werden ließen. Andere, vor allem da im fernen Saarland, hegten Zweifel, machten Stimmung gegen die deutsche Wiedervereinigung."
Ein richtiges Aufreger-Thema wie in den vorangegangenen Landtagswahlkämpfen fehlt. Allenfalls der Streit um die Schul- und Bildungspolitik sowie um das Für und Wider eines Mindestlohns spielen eine Rolle im Wahlkampf. Das war 2004 ganz anders. Damals war die von Linkspartei und NPD geführte Kampagne gegen Hartz IV, die die CDU auf den letzten Metern abstürzen ließ. Mehr als 14 Prozentpunkte musste der damalige Spitzenkandidat Georg Milbradt am Wahlabend verantworten, ein beispielloses Debakel für die bis dahin erfolgsverwöhnte Sachsen-CDU. Der langjährige Wähler-Auftrag zur Alleinregierung futsch, die rechtsextreme NPD erstmalig im Landtag und zudem der Zwang, sich einen Koalitionspartner zu suchen – das waren die Etappen zum schmerzhaften Abschied vom Olymp. Anders die Lage im Sommer 2009. Die sächsische CDU kann derzeit laut Umfragen auf 39 Prozent der Stimmen hoffen, das ist eine vergleichsweise komfortable Situation, denn die zweitstärkste Kraft, die Linke wird in den Umfragen bei 19 Prozent gesehen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären.
Mit dem Slogan, "den Osten sozial regieren" wirbt die Linke um den Wähler in Sachsen. Spitzenkandidat Andre Hahn geht als einziger aller sich zur Wahl stellenden Spitzenkandidaten als "Ministerpräsidentenkandidat" in das Rennen:
Andre Hahn: "Wir sind die stärkste Oppositionsfraktion in Sachsen, zweitstärkste Partei im Land, es ist völlig normal, dass wir einen Herausforderer stellen gegenüber dem amtierenden Ministerpräsidenten. Und er ist für mich der blasseste Regierungschef, den wir in Deutschland haben, und Sachsen braucht einfach eine andere Führung und eine andere Orientierung und wir sind gut gerüstet."
Wahlkämpfer Hahn hat zu einer Dampferfahrt auf der Elbe eingeladen, um Werbung für sein Programm zu machen. Hier auf der Elbe ist Berlin und der parteiinterne Streit um die Machtverhältnisse an der Doppelsitze der Bundespartei weit weg. Doch alle wissen, dass der Linkspartei unruhige Zeiten bevorstehen auf Bundesebene. Der Machtkampf zwischen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wird erst nach den Wahlen entschieden, noch hält der Burgfrieden in der Linkspartei. Die größte Stärke seiner Partei sei, sagt Hahn, dass sie sich aktiv um die Probleme der Menschen kümmere, dass sie mit Angeboten auf die Bürger zugehe, die keine andere Partei leiste, von der Hausaufgabenhilfe über Mieterberatung bis zu Hartz IV-Aufklärung.
Hahn: "Sachsen hat eine große Tradition, Sachsen hatte auch gute Jahre nach 1990. Die guten Jahre sind aber vorbei. Sachsen ist nicht mehr vorne wie unter Kurt Biedenkopf, Sachsen ist in vielerlei Hinsicht Schlusslicht und die politische Mission der CDU ist aus unserer Sicht erschöpft."
Das Wahlprogramm der Linkspartei wirbt unter anderem mit wohlbekannten Forderungen nach umfangreichen staatlichen Maßnahmen zur Arbeitsmarktbelebung, Mindestlohn für alle Branchen, Beitragsfreiheit für Kinderbetreuungs- und Bildungsangebote, Ganztagsschulen und einem längeren gemeinsamen Lernen für alle Schulkinder in Sachsen. Vor allem dieser Punkt ist ein Reizthema im Freistaat. Viele Eltern sind unzufrieden mit dem jetzigen System, das schwächeren Schüler sehr früh den Zugang zum Gymnasium verwehrt. Der spätere Übergang nach der 10. Klasse wird zwar angeboten, ist aber in der Praxis nur selten erfolgreich.
Hahn: "Und all das wollen wir verändern, wir wollen Sachsen wieder nach vorne bringen, denn das, was wir an Spitzenleistungen in Sachsen haben, in Anführungszeichen, ist zum Beispiel die Stadt mit der größten Kinderarmut, in Görlitz, die Stadt mit der zweithöchsten Kinderarmut, in Leipzig, wo jedes dritte und inzwischen in Hartz-IV-Haushalten lebt, all das sind Dinge, die so nicht länger für uns akzeptabel sind und deshalb braucht es eine neue und eine andere Regierung und wir haben die Staatskanzlei vorhin schon im Blick gehabt und wir haben sie fest im Blick!"
In Sachsen möchte die Linkspartei 25 Prozent erreichen, Spitzenkandidat Andre Hahn kämpft nicht nur für eine starke Linke, sondern auch für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis im Freistaat.
Diese Vorstellung stößt beim Spitzenkandidaten der SPD, Thomas Jurk, nicht auf große Gegenliebe. Jurk, der Landesvorsitzende der SPD in Sachsen, ist seit fünf Jahren Wirtschafts- und Arbeitsminister sowie stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett Milbradt sowie Tillich gewesen, er hegt keine großen Sympathien für die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Forderungen der Linkspartei. Daraus macht Jurk bei einer Wahlkampfveranstaltung in der traditionsreichen Bergstadt Freiberg keinen Hehl:
"Schaut man sich ein bisschen an, was von der sogenannten Linken kommt, dann stellt man auch fest, Mindestlohn 10 Euro, 500 Euro pro Haushaltsmitglied Grundeinkommen, ein öffentlicher Beschäftigungssektor mit Bezahlung nach dem öffentlichen Dienst. Klingt alles wunderbar, sagt aber auch ganz ehrlich, das kann kein Staat mehr leisten und so schön das alles sein mag, ich will noch einmal deutlich darauf hinweisen, wir haben das ja bis 1990 erlebt."
Für die Sozialdemokraten im Freistaat, deren Mitgliederzahl bei rund 4400 liegt, hat sich die Regierungsbeteiligung trotz des oft schwierigen Verhältnisses zum Koalitionspartner CDU gelohnt. Aktuelle Umfragen sehen die SPD in Sachsen bei 15 Prozent. Im Herbst 2004 hatte sie mit 9,8 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis aller Zeiten bei Landtagswahlen eingefahren und war letztlich nur mit viel Glück in Regierungsverantwortung geraten. Dieses Mal gibt es starke Konkurrenz. Die FDP, die bei der letzten Wahl erstmalig knapp den Sprung in den sächsischen Landtag schaffte, spürt starken Aufwind, Demoskopen sehen sie aktuell bei 12 Prozent. FDP-Spitzenkandidat Holger Zastrow will die SPD als Regierungspartner der CDU ablösen:
"Also wir wollen als FDP eigentlich an die erfolgreiche Zeit, Anfang der 90er-Jahre anknüpfen. Dieser Regierung fehlt der Biss, dieser Regierung fehlt der Hunger, wir haben das noch, wir wollen, dass Sachsen ganz nach vorne kommt und das ist natürlich mit dieser Regierung nicht zu machen, sondern nur dann, wenn auch mal Leute etwas in Sachsen machen und dafür steht die FDP."
Die FDP, so Zastrow weiter, habe ihr Potential bei den Wählern noch längst nicht ausgeschöpft, sie werde gewählt in der Platte wie in der Villa, sagt der Partei- und Fraktionsvorsitzende. Denn eine Milieupartei sei sie glücklicherweise nicht und:
"Während alle in der Krise nach links weggerutscht sind, ist es uns halt gelungen, wirklich in der Mitte und fest bei unseren Standpunkten zu bleiben und das wird im Moment ganz gut honoriert und deswegen haben wir so gute Umfrage-Ergebnisse."
Einer aktuellen Umfrage zufolge wünschen sich 26 Prozent der Sachsen künftig eine christlich-liberale Koalition. Nur 24 Prozent möchten lieber eine Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses in Regierungsverantwortung sehen. Eine Alleinregierung der Christdemokraten, die von 1990 bis 2004 auf satte Mehrheiten bauen konnten, wollen nur noch 17 Prozent der Sachsen. Und für Schwarz-Grün, eine Option, die Ministerpräsident Stanislaw Tillich erst kürzlich in einer für die FDP provokanten Art ins Gespräch brachte, kann sich nur jeder zehnte Sachse erwärmen.
Und selbst die einzige Spitzenkandidatin in diesem Wahlkampf, Antje Hermenau von den Bündnisgrünen, ist eher verhalten, wenn es um ein mögliches Regierungsbündnis mit der CDU unter einem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich geht. Wiederholt hat sie, wie auch in der Aussprache zur letzten Regierungserklärung des CDU-Ministerpräsidenten, dessen Politikstil scharf kritisiert:
"Das Ganze hat die Anmutung von Ad-Hoc-Politik. Ich bin so klug, so gescheit, so stark, wenn dann ein Problem kommt, dann mache ich es sofort platt. Diese Ad-Hoc-Politik ist der Zwilling der Basta-Politik von Herrn Schröder. Eigentlich habe ich so etwas satt, ehrlich gesagt."
Die große Unbekannte bleibt die Wählergunst für die rechtsextreme NPD. Im Herbst 2004 wurde sie maßgeblich durch den massiven Unmut gegen die damals neue Hartz-IV-Gesetzgebung mit 9,2 Prozent der Wählerstimmen in den Landtag gespült. Seitdem hat sie dort wenig erreicht, die Fraktion ist in Teilen zerfallen und zerstritten. Meinungsforscher sehen die NPD derzeit bei fünf Prozent, doch genaue Berechnungen sind kaum möglich, da nur wenige NPD-Wähler sich im Vorfeld öffentlich dazu bekennen. Mit einer Materialschlacht aus 90.000 Wahlplakaten und anderem Propagandamaterial setzt die Partei vorrangig auf den ländlichen Raum und junge Wähler. Sie punktet dort, wo die demokratischen Parteien ein Vakuum hinterlassen. Ganze Landstraßen sind gepflastert mit den schwarz-weiß-rot gehaltenen Plakaten mit altbekannten Parolen, die Arbeitsplätze nur für Deutsche oder Abstrafung des politischen Gegners fordern.
Ihr Erfolg oder Misserfolg wird ganz entscheidend von der Wahlbeteiligung am 30. August abhängen, das wissen alle Parteien. Schon deshalb appellierte SPD-Spitzenkandidat Thomas Jurk so eindringlich in Freiberg:
"Wer die Nazis wählt, der versündigt sich an der Zukunft Sachsens, und deshalb muss ganz klar sein, Leute geht bitte wählen! Mit einer hohen Wahlbeteiligung werden wir es schaffen die NPD wieder aus dem Landtag herauszubringen."
Ob dieser Appell fruchtet? Knapp zwei Wochen vor der Wahl zeigen Umfragen, dass der unaufgeregte Wahlkampf die meisten Sachsen kalt lässt. Jeden zweiten Wahlberechtigten interessiert die Wahl kaum bis überhaupt nicht. Vor allem in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist das Desinteresse besonders ausgeprägt. Fast 60 Prozent dieser Altersgruppe geben an, bislang kaum Anteil zu nehmen an dieser Abstimmung über die Zukunft ihres Freistaates.
"Ja, liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer, begrüßen Sie mit mir zunächst den am weitesten angereisten Ministerpräsidenten, dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Herrn Horst Seehofer. Herzlich willkommen! Genauso herzlich begrüßen wir natürlich den sächsischen Ministerpräsidenten, Stanislaw Tillich, herzlich willkommen, Herr Tillich!"
Chemnitz am 12. August. Der Spitzenkandidat der sächsischen CDU, Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist als Wahlkämpfer zu Gast in der eher roten Hochburg, dem SPD-regierten Chemnitz. Die Bühne am Roten Turm mitten im Zentrum ist erstaunlich klein und bescheiden, die davor aufgebauten Bierbänke und Tische sind gut gefüllt, allerdings zieht es keine Massen an diesem Tag zu dieser Kundgebung, die mit dem ebenso populären wie streitbaren Gast aus Bayern eigentlich hochkarätig besetzt ist. Eine Passantin:
""Chemnitz ist mit Vorsicht zu genießen, die Linken sind gleich stark wie die CDU. Da warten wir mal ab."
In der ehemals reichen Industriemetropole, die sich langsam aber erfolgreich unter dem Motto "Stadt der Moderne" positioniert, geht Spitzenkandidat Tillich aufs Ganze:
"Ich will dafür kämpfen, dass Sachsen da wieder steht, wo es vor 60 Jahren war. Vor 60 Jahren war Sachsen die wirtschaftlich bedeutendste Region Europas, da gehören wir wieder hin. Dafür zu kämpfen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, eine intakte Gesellschaft zu sein, dafür lohnt es sich, dafür bitte ich Sie am 30. 8. um Ihre Stimme. Gehen Sie zur Wahl, denn auf die Wahlbeteiligung wird es entscheidend ankommen."
Auch Wahlhelfer Horst Seehofer weiß, wie er die Sachsen packen kann. Schon am Beginn seiner kurzen Rede kann er punkten:
"Meine Damen und Herren, lieber Stanislaw, zu allererst, vor den klaren Worten ein Grüß Gott aus dem Freistaat Bayern an das große, starke und stolze Sachsen!"
Applaus.
Seehofer und Tillich kennen sich schon länger, hatten zeitweilig parallel das gleiche Ressort, Landwirtschaft und Verbraucherschutz geführt, Seehofer auf Bundesebene, Tillich in Sachsen.
Seehofer: "Und ich habe damals schon immer gespürt in den Ministerkonferenzen, mit kluger Kraft: Das, was auf dem Plakat steht, trifft zu, ein Politiker bei dem man zuhören muss, wenn er etwas sagt, weil er uns etwas zu sagen hat."
Erst seit 16 Monaten ist der gebürtige Sachse und Sorbe Stanislaw Tillich im Amt des Ministerpräsidenten. Der bekennende Katholik beerbte in einer parteiinternen Ad Hoc Entscheidung den glücklosen aus Westfalen stammenden Georg Milbradt.
Tillich kann auf eine beachtliche politische Karriere zurückblicken. Er war als Abgeordneter im Europäischen Parlament, dort unter anderem als Berichterstatter im Haushaltsausschuss, dann ab 1999 im Kabinett Biedenkopf als Chef der Staatskanzlei, Umwelt- und Landwirtschaftsminister sowie kurzzeitig später unter Milbradt als Finanzminister. Ihm traute die Parteispitze zu, die völlig zerstrittene und verunsicherte Sachsen-CDU wieder auf Vordermann zu bringen.
Tillich gilt als gewandt, medientauglich und jovial, gefördert wurde er sowohl von Kurt Biedenkopf als auch von Georg Milbradt. Sein wichtigstes Kapital in diesem Wahlkampf jedoch ist seine Herkunft:
"Steht Ihre Wahlentscheidung schon fest?"
"Hab gestern schon Briefwahl getätigt,…ich bin froh, dass es ein Sachse ist,...erstmalig, na mal sehen."
"Na, dass er ein Ministerpräsident aus Sachsen ist, das ist schon positiv, denke ich, wobei das aber überhaupt nicht sprechen soll gegen Biedenkopf oder so, in der Anfangsphase war es für Sachsen ein Glück, wie auch für Thüringen, dass es Ministerpräsidenten gab aus den alten Ländern, die hier begonnen haben, und jetzt denke ich, sind die Länder und insbesondere Sachsen soweit, dass sie auf Leute aus ihrem Land zurückgreifen können."
Doch die Herkunft des 50-jährigen Stanislaw Tillich ist zugleich seine Achillesferse. Seit Herbst 2008 läuft im Land eine Debatte um seine DDR-Vergangenheit, die ihn 1987 aus - wie er sagt - freien Stücken in die Ost-CDU und somit in eine der Blockparteien des einstigen SED-Staates führte. Dort machte er schnell Karriere im Rat des Kreises von Kamenz.
Schon in der DDR wurde er gefördert. Ein detaillierter Ausbildungsplan belegt, dass er für höhere Aufgaben vorgesehen war. Kaderschulungen an der CDU-Parteischule soll er jedoch nicht besucht haben. Erst kürzlich wurde ihm außerdem vorgeworfen, noch kurz nach der Wende im Rat für Zwangsenteignungen gestimmt zu haben. Im Wendejahr war er dort als stellvertretender Vorsitzender zuständig für Handel und Versorgung. Dieses wichtige Detail ist erst seit Kurzem und nach massivem öffentlichen Druck seinen veröffentlichten Lebensläufen zu entnehmen.
Kritiker werfen ihm vor, seine Vita geschönt zu haben. Stasimitarbeiter war er jedoch nicht. Und alles in allem sieht es ganz so aus, als spielte seine politische Vergangenheit in der DDR für viele der Bürger heute auch gar keine Rolle. Laut einer Umfrage von Infratest Dimap, die kürzlich im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks durchgeführt wurde, finden es 76 Prozent der darin befragten 1000 Sachsen unproblematisch, dass heutige Politiker auch schon zu DDR-Zeiten politische Funktionen hatten.
Passanten: "Wissen Sie, wir sind auch DDR-Bürger, wenn es große Dinge gegeben hat, dann hoffe ich, sind sie schon lange ausgekippt, und es ist wahrscheinlich sehr viel Politik dabei, es ist für mich nicht sehr bedeutsam."
"Wir haben einfach ein Problem in Deutschland. Wir haben als DDR-Bürger für vieles Verständnis und das haben natürlich – wirklich natürlich – die Westdeutschen nicht. Ist auch schwierig rüberzubringen. Das eigene Erleben über Jahrzehnte ist viel intensiver als alles Erzählen und alles Lesen."
Für die in Leipzig geborene Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Antje Hermenau, ist die Debatte um Tillich und sein Verhalten auf die Anwürfe durchhaus ein Thema. Sie kritisiert die scheibchenweise Informationspolitik des CDU-Spitzenkandidaten auch im Landtag ganz offen:
"Wer sich davor drückt, unangenehme Wahrheiten der Vergangenheit auszusprechen oder auch der Gegenwart. Wie soll der fähig sein, die unangenehmen Wahrheiten der Gegenwart und der Zukunft zu benennen, wie soll das gehen?"
Für die Linkspartei hingegen, die noch mit Grausen an die stark kritisierte "Rote-Socken-Kampagne" der CDU in den 90er-Jahren zurückdenkt, ist die neuerliche Debatte um die in der DDR weitgehend gleich geschalteten Blockparteien und um Tillichs Verstrickung in den alten Machtapparat der DDR ein gefundenes Fressen. Der Spitzenkandidat der Linken in Sachsen, Andre Hahn:
"Mit dieser auf die Spitze getriebenen Doppelmoral werden sie am 30. August Schiffbruch erleiden. Insbesondere die CDU wollte die Erinnerung an 20 Jahre Friedliche Revolution parteipolitisch instrumentalisieren, um mit ihren Horrorszenarien uns gegenüber ihre eigene Macht zu verewigen. Nun kehrt die eigene Parteipropaganda gegen sie selbst wie ein Bumerang zurück."
Zum ersten Mal steht mit Stanislaw Tillich ein gebürtiger Sachse an der Spitze des Freistaates und zum ersten Mal muss er sich im Amt des Regierungschefs einer Wahl stellen. Großflächige Plakate werben mit seinem Konterfei und dem Spruch "Der Sachse". Weitere Inhalte spielen auf diesem Plakat, auf das man häufig trifft, keine Rolle. Der Slogan erzürnt die SPD, Spitzenkandidat Thomas Jurk:
"Ich finde es einfach nicht in Ordnung, dass man versucht, mit dem Synonym ‚Der Sachse’ deutlich zu machen, das darf nur ein Sachse werden. Und viele Leute haben uns seit 1990 hier im Land geholfen das Land aufzubauen, und deshalb ist es mir so wichtig, dass diese sich auch nicht diskreditiert fühlen. "
In Chemnitz offenbart sich im Jubiläumsjahr, 20 Jahre nach dem Mauerfall, ein weiteres wichtiges Element des CDU-Wahlkampfes: Die CDU als Partei der Einheit. Der Spitzenkandidat, Stanislaw Tillich:
"Helmut Kohl und die CDU waren es, die die Wiedervereinigung Deutschlands nie aus den Augen verloren haben, und wo sich die Chance bot, letztendlich auch dieses Wirklichkeit werden ließen. Andere, vor allem da im fernen Saarland, hegten Zweifel, machten Stimmung gegen die deutsche Wiedervereinigung."
Ein richtiges Aufreger-Thema wie in den vorangegangenen Landtagswahlkämpfen fehlt. Allenfalls der Streit um die Schul- und Bildungspolitik sowie um das Für und Wider eines Mindestlohns spielen eine Rolle im Wahlkampf. Das war 2004 ganz anders. Damals war die von Linkspartei und NPD geführte Kampagne gegen Hartz IV, die die CDU auf den letzten Metern abstürzen ließ. Mehr als 14 Prozentpunkte musste der damalige Spitzenkandidat Georg Milbradt am Wahlabend verantworten, ein beispielloses Debakel für die bis dahin erfolgsverwöhnte Sachsen-CDU. Der langjährige Wähler-Auftrag zur Alleinregierung futsch, die rechtsextreme NPD erstmalig im Landtag und zudem der Zwang, sich einen Koalitionspartner zu suchen – das waren die Etappen zum schmerzhaften Abschied vom Olymp. Anders die Lage im Sommer 2009. Die sächsische CDU kann derzeit laut Umfragen auf 39 Prozent der Stimmen hoffen, das ist eine vergleichsweise komfortable Situation, denn die zweitstärkste Kraft, die Linke wird in den Umfragen bei 19 Prozent gesehen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären.
Mit dem Slogan, "den Osten sozial regieren" wirbt die Linke um den Wähler in Sachsen. Spitzenkandidat Andre Hahn geht als einziger aller sich zur Wahl stellenden Spitzenkandidaten als "Ministerpräsidentenkandidat" in das Rennen:
Andre Hahn: "Wir sind die stärkste Oppositionsfraktion in Sachsen, zweitstärkste Partei im Land, es ist völlig normal, dass wir einen Herausforderer stellen gegenüber dem amtierenden Ministerpräsidenten. Und er ist für mich der blasseste Regierungschef, den wir in Deutschland haben, und Sachsen braucht einfach eine andere Führung und eine andere Orientierung und wir sind gut gerüstet."
Wahlkämpfer Hahn hat zu einer Dampferfahrt auf der Elbe eingeladen, um Werbung für sein Programm zu machen. Hier auf der Elbe ist Berlin und der parteiinterne Streit um die Machtverhältnisse an der Doppelsitze der Bundespartei weit weg. Doch alle wissen, dass der Linkspartei unruhige Zeiten bevorstehen auf Bundesebene. Der Machtkampf zwischen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi wird erst nach den Wahlen entschieden, noch hält der Burgfrieden in der Linkspartei. Die größte Stärke seiner Partei sei, sagt Hahn, dass sie sich aktiv um die Probleme der Menschen kümmere, dass sie mit Angeboten auf die Bürger zugehe, die keine andere Partei leiste, von der Hausaufgabenhilfe über Mieterberatung bis zu Hartz IV-Aufklärung.
Hahn: "Sachsen hat eine große Tradition, Sachsen hatte auch gute Jahre nach 1990. Die guten Jahre sind aber vorbei. Sachsen ist nicht mehr vorne wie unter Kurt Biedenkopf, Sachsen ist in vielerlei Hinsicht Schlusslicht und die politische Mission der CDU ist aus unserer Sicht erschöpft."
Das Wahlprogramm der Linkspartei wirbt unter anderem mit wohlbekannten Forderungen nach umfangreichen staatlichen Maßnahmen zur Arbeitsmarktbelebung, Mindestlohn für alle Branchen, Beitragsfreiheit für Kinderbetreuungs- und Bildungsangebote, Ganztagsschulen und einem längeren gemeinsamen Lernen für alle Schulkinder in Sachsen. Vor allem dieser Punkt ist ein Reizthema im Freistaat. Viele Eltern sind unzufrieden mit dem jetzigen System, das schwächeren Schüler sehr früh den Zugang zum Gymnasium verwehrt. Der spätere Übergang nach der 10. Klasse wird zwar angeboten, ist aber in der Praxis nur selten erfolgreich.
Hahn: "Und all das wollen wir verändern, wir wollen Sachsen wieder nach vorne bringen, denn das, was wir an Spitzenleistungen in Sachsen haben, in Anführungszeichen, ist zum Beispiel die Stadt mit der größten Kinderarmut, in Görlitz, die Stadt mit der zweithöchsten Kinderarmut, in Leipzig, wo jedes dritte und inzwischen in Hartz-IV-Haushalten lebt, all das sind Dinge, die so nicht länger für uns akzeptabel sind und deshalb braucht es eine neue und eine andere Regierung und wir haben die Staatskanzlei vorhin schon im Blick gehabt und wir haben sie fest im Blick!"
In Sachsen möchte die Linkspartei 25 Prozent erreichen, Spitzenkandidat Andre Hahn kämpft nicht nur für eine starke Linke, sondern auch für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis im Freistaat.
Diese Vorstellung stößt beim Spitzenkandidaten der SPD, Thomas Jurk, nicht auf große Gegenliebe. Jurk, der Landesvorsitzende der SPD in Sachsen, ist seit fünf Jahren Wirtschafts- und Arbeitsminister sowie stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett Milbradt sowie Tillich gewesen, er hegt keine großen Sympathien für die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Forderungen der Linkspartei. Daraus macht Jurk bei einer Wahlkampfveranstaltung in der traditionsreichen Bergstadt Freiberg keinen Hehl:
"Schaut man sich ein bisschen an, was von der sogenannten Linken kommt, dann stellt man auch fest, Mindestlohn 10 Euro, 500 Euro pro Haushaltsmitglied Grundeinkommen, ein öffentlicher Beschäftigungssektor mit Bezahlung nach dem öffentlichen Dienst. Klingt alles wunderbar, sagt aber auch ganz ehrlich, das kann kein Staat mehr leisten und so schön das alles sein mag, ich will noch einmal deutlich darauf hinweisen, wir haben das ja bis 1990 erlebt."
Für die Sozialdemokraten im Freistaat, deren Mitgliederzahl bei rund 4400 liegt, hat sich die Regierungsbeteiligung trotz des oft schwierigen Verhältnisses zum Koalitionspartner CDU gelohnt. Aktuelle Umfragen sehen die SPD in Sachsen bei 15 Prozent. Im Herbst 2004 hatte sie mit 9,8 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis aller Zeiten bei Landtagswahlen eingefahren und war letztlich nur mit viel Glück in Regierungsverantwortung geraten. Dieses Mal gibt es starke Konkurrenz. Die FDP, die bei der letzten Wahl erstmalig knapp den Sprung in den sächsischen Landtag schaffte, spürt starken Aufwind, Demoskopen sehen sie aktuell bei 12 Prozent. FDP-Spitzenkandidat Holger Zastrow will die SPD als Regierungspartner der CDU ablösen:
"Also wir wollen als FDP eigentlich an die erfolgreiche Zeit, Anfang der 90er-Jahre anknüpfen. Dieser Regierung fehlt der Biss, dieser Regierung fehlt der Hunger, wir haben das noch, wir wollen, dass Sachsen ganz nach vorne kommt und das ist natürlich mit dieser Regierung nicht zu machen, sondern nur dann, wenn auch mal Leute etwas in Sachsen machen und dafür steht die FDP."
Die FDP, so Zastrow weiter, habe ihr Potential bei den Wählern noch längst nicht ausgeschöpft, sie werde gewählt in der Platte wie in der Villa, sagt der Partei- und Fraktionsvorsitzende. Denn eine Milieupartei sei sie glücklicherweise nicht und:
"Während alle in der Krise nach links weggerutscht sind, ist es uns halt gelungen, wirklich in der Mitte und fest bei unseren Standpunkten zu bleiben und das wird im Moment ganz gut honoriert und deswegen haben wir so gute Umfrage-Ergebnisse."
Einer aktuellen Umfrage zufolge wünschen sich 26 Prozent der Sachsen künftig eine christlich-liberale Koalition. Nur 24 Prozent möchten lieber eine Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses in Regierungsverantwortung sehen. Eine Alleinregierung der Christdemokraten, die von 1990 bis 2004 auf satte Mehrheiten bauen konnten, wollen nur noch 17 Prozent der Sachsen. Und für Schwarz-Grün, eine Option, die Ministerpräsident Stanislaw Tillich erst kürzlich in einer für die FDP provokanten Art ins Gespräch brachte, kann sich nur jeder zehnte Sachse erwärmen.
Und selbst die einzige Spitzenkandidatin in diesem Wahlkampf, Antje Hermenau von den Bündnisgrünen, ist eher verhalten, wenn es um ein mögliches Regierungsbündnis mit der CDU unter einem Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich geht. Wiederholt hat sie, wie auch in der Aussprache zur letzten Regierungserklärung des CDU-Ministerpräsidenten, dessen Politikstil scharf kritisiert:
"Das Ganze hat die Anmutung von Ad-Hoc-Politik. Ich bin so klug, so gescheit, so stark, wenn dann ein Problem kommt, dann mache ich es sofort platt. Diese Ad-Hoc-Politik ist der Zwilling der Basta-Politik von Herrn Schröder. Eigentlich habe ich so etwas satt, ehrlich gesagt."
Die große Unbekannte bleibt die Wählergunst für die rechtsextreme NPD. Im Herbst 2004 wurde sie maßgeblich durch den massiven Unmut gegen die damals neue Hartz-IV-Gesetzgebung mit 9,2 Prozent der Wählerstimmen in den Landtag gespült. Seitdem hat sie dort wenig erreicht, die Fraktion ist in Teilen zerfallen und zerstritten. Meinungsforscher sehen die NPD derzeit bei fünf Prozent, doch genaue Berechnungen sind kaum möglich, da nur wenige NPD-Wähler sich im Vorfeld öffentlich dazu bekennen. Mit einer Materialschlacht aus 90.000 Wahlplakaten und anderem Propagandamaterial setzt die Partei vorrangig auf den ländlichen Raum und junge Wähler. Sie punktet dort, wo die demokratischen Parteien ein Vakuum hinterlassen. Ganze Landstraßen sind gepflastert mit den schwarz-weiß-rot gehaltenen Plakaten mit altbekannten Parolen, die Arbeitsplätze nur für Deutsche oder Abstrafung des politischen Gegners fordern.
Ihr Erfolg oder Misserfolg wird ganz entscheidend von der Wahlbeteiligung am 30. August abhängen, das wissen alle Parteien. Schon deshalb appellierte SPD-Spitzenkandidat Thomas Jurk so eindringlich in Freiberg:
"Wer die Nazis wählt, der versündigt sich an der Zukunft Sachsens, und deshalb muss ganz klar sein, Leute geht bitte wählen! Mit einer hohen Wahlbeteiligung werden wir es schaffen die NPD wieder aus dem Landtag herauszubringen."
Ob dieser Appell fruchtet? Knapp zwei Wochen vor der Wahl zeigen Umfragen, dass der unaufgeregte Wahlkampf die meisten Sachsen kalt lässt. Jeden zweiten Wahlberechtigten interessiert die Wahl kaum bis überhaupt nicht. Vor allem in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist das Desinteresse besonders ausgeprägt. Fast 60 Prozent dieser Altersgruppe geben an, bislang kaum Anteil zu nehmen an dieser Abstimmung über die Zukunft ihres Freistaates.