Politikerin Sylvia Löhrmann

"Man kann sich kein dickes Fell zulegen"

Moderation: Britta Bürger · 11.06.2020
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Grünen-Politikerin, stellvertretende Ministerpräsidentin, Schulministerin in Nordrhein-Westfalen – Sylvia Löhrmann hat viel bewegt und polarisiert. 2017 endete ihre politische Laufbahn, nun kümmert sie sich um jüdisches Leben in Deutschland.
2017 war für Sylvia Löhrmann Schluss. Als NRW-Bildungsministerin, auch als stellvertretende Ministerpräsidentin hinter Hannelore Kraft. Am Ende stand der vollständige Rückzug aus der Politik.
Die Grünen, mit Sylvia Löhrmann als Spitzenkandidatin, waren bei der Wahl krachend gescheitert, hatten ihr Ergebnis halbiert. Nach der Niederlage die Verantwortung zu übernehmen, war das eine. Täglich damit zu leben, eine ganz andere Herausforderung.

Auszeit in Irland

Sylvia Löhrmann wollte Abstand gewinnen. "Heinrich Böll war für mich immer eine Identifikationsfigur. Und dann bin ich nach Irland gefahren, ganz allein. Und ich bin da jeden Tag gewandert, hab' das Böll-Cottage besucht, hab' den Schreibtisch gesehen, an dem Heinrich Böll gearbeitet hat. Das hat mir auch geholfen."

"Ich habe kein dickes Fell"

Als grüne Bildungsministerin in Düsseldorf hat Sylvia Löhrmann harsche Kritik einstecken müssen. Ob es um das sogenannte Turbo-Abitur ging, die Inklusion oder die unterschiedlichen Schulformen in NRW. Christian Lindner, damals Spitzenkandidat der FDP in NRW, ließ kein gutes Haar an der Bildungsministerin. Ihre Schulpolitik gleiche "dem Blick in einen Altglascontainer – nichts als grüne Scherben". Auch wenn derartige Kritik scheinbar zum politischen Alltag gehört, an Sylvia Löhrmann ging sie nicht spurlos vorbei:
"Natürlich verletzt so etwas. Man kann sich auch kein dickes Fell zulegen. Ich habe keins. Deswegen hat mich das mehr getroffen, als man mir hoffentlich angemerkt hat. Aber ich habe versucht zu trennen; was gilt mir in meiner Aufgabe, was gilt mir als Person. Das müssen Sie trennen, sonst halten Sie das nicht aus. Und ich habe einen Mann, der mich immer getragen hat. Und ich habe eine sehr, sehr gute Ärztin, die mich nicht nur bei Blessuren gut behandelt, sondern meiner Seele auch gut tut."

Schulen nicht gleich behandeln

Tatsächlich würde die ehemalige Lehrerin in Sachen Schulpolitik heute einiges anders machen. "Ich hätte noch mehr berücksichtigen müssen, dass Schulen in unterschiedlichen Phasen ihrer Entwicklung sind. Deswegen nutzt es gar nichts, auf den Kopf zu drücken, zu sagen, jetzt macht ihr es alle so. Wir brauchen den Gedanken der Individualisierung des Lernens. Eben nicht mit der Gießkanne für alle, sondern wo gezielter Bedarf ist, auch gezielt unterstützen. Zum Beispiel einen Sozialindex hätte ich gerne noch eingeführt. Das heißt, nicht alle Schulen gleich behandeln, sondern in sozialen Brennpunkten, in schwierigen Lagen, dass die mehr Ressourcen bekommen, dass die mehr Sozialarbeiter bekommen. "

Gärtnern gegen Corona

Mit 63 hat Sylvia Löhrmann in diesem Jahr ein ganz neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen. Sie ist zur Generalsekretärin des Vereins "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" berufen worden. "Das ist ein Geschenk, da mitzuwirken. Nicht auf die Shoa in erster Linie zu gucken, natürlich auch, sondern auf das jüdische Leben, das es heute gibt. Ich kriege auch mit und lerne, dass gerade junge Jüdinnen und Juden sagen: 'Wir wissen, dass das mit der Erinnerungskultur wichtig ist. Aber wir wollen eigentlich selbstverständlicher als Deutsche wahrgenommen werden.'"
Und wenn dann noch Zeit bleibt, ist Sylvia Löhrmann im Grünen zu treffen: Sie hat das Gärtnern für sich entdeckt. Das hilft auch gegen die Einschränkungen in Corona-Zeiten, sagt sie: "Wenn man einen schönen Garten hat, den selber hegt und pflegt, dann möchte man gar nicht mehr so viel verreisen."
(ful)
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