Politiker

Wir brauchen keine Führer, sondern Leute, die einen guten Job machen

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Eine Illustration zeigt die Silhouette eines Mannes mit mehreren Bildern von sich selbst hinter sich.
Es geht nicht darum, wer den Job macht, sondern, dass er gut gemacht wird. © imago-images / Gary Waters
Ein Vorschlag von Timo Rieg · 06.04.2020
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AKK gegen Merz, Seehofer gegen Söder oder Giffey gegen Müller: Jede Personalentscheidung in der Politik verkommt inzwischen zum Spektakel, kritisiert Timo Rieg. Und schon gar nicht gewinnen dabei die Besten. Sein Vorschlag: Lasst das Los entscheiden!
Wir Menschen haben ein wahnsinniges Faible für Führer. Und Führerinnen natürlich. Anders ist der größte Teil der Nachrichten nicht zu erklären. Alles Schreckliche oder Verrückte, jedes Problem und sogar fast jede Sportmeldung lobt oder kritisiert einen Führer, ruft nach einem neuen oder kündet vom Gemetzel verschiedener Führer untereinander.
Um in der jüngeren Geschichte zu bleiben: Was wissen Sie über die SPD? Kennen Sie zum Beispiel deren aktuelles Grundsatzprogramm, so allein vom Titel her? Kommt das Wort Sozialismus darin noch vor? Was wird darin für Arbeiterinnen gefordert?
Was Sie sicherlich wissen: Es gab mal die Erzählung, die SPD könne mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments als Führer eine Wahl gewinnen: Martin Schulz hier, Schulz da, Schulz dort. Dann passierte irgendein Unglück, und der Heilsbringer war weg vom Fenster. Es begann die Personality-Show Andrea Nahles, die alsbald vor lauter Klimbim um ihre Führerschaft hinschmiss. Es folgte die Suche nach einem gemischten Doppel mit Führerin und Führer, die Kabarettisten und Comedians so sehr begeisterte, dass sie es bis heute witzig finden, deren Namen nicht kennen zu wollen und stets irgendwas mit "Eskia Wabo" witzeln.

Die CDU macht es auch nicht besser

Doch bevor dieser Gag endgültig totgeritten war, präsentierte die CDU wettbewerbslüstern ihrerseits eine Führersuche, nachdem der People-Journalismus ein knappes Jahr mit der Frage beschäftigt gewesen war, ob eine Karnevals-Putzfrau ohne amtlich zugelassenen Humor die Unionspartei führen könne, dürfe, solle.
Jetzt mal zwei Minuten im Ernst: Das ist doch alles nicht lustig, das ist bescheuert. Klatsch und Tratsch ohne irgendeinen Glamour.
Was soll das Spektakel-Rennen um den einen Führerposten? Ob an der Spitze einer Partei, einer Gewerkschaft oder eines Umweltschutzverbandes: niemand will dort Autokraten haben. Es braucht Leute, die einen guten Job machen. Auf Zeit, in ständiger Rücksprache mit uns, für die schließlich diese Posten geschaffen wurden: für uns als Bürger, für uns als Wähler, für uns als Mitglieder einer Partei, einer Krankenkasse oder sonst was.
Weil wir über die Kandidaten für diese höchsten Ämter stets so wenig wissen, dass es oft nicht einmal für gutes Kabarett reicht, sollten wir den Glauben aufgeben, am Ende einer langen medialen Unterhaltungsshow könne der oder die Beste zur Führerin oder zum Führer gekürt werden. Die Chance, dass es schief geht, ist einfach viel zu groß - das lehrt uns die Geschichte, und zwar nicht nur die Geschichte der armen SPD.

Unter den Geeigneten soll das Los entscheiden

Wettbewerb soll es geben, aber ohne, dass wir glauben, am Ende den allerbesten Chef, Führer, Kanzler, Präsidenten bekommen zu haben. Es wäre völlig ausreichend zu wissen: es ist jemand, dem wir den Job vorübergehend zutrauen. Der Name sollte Schall und Rauch sein.
Wenn eine Partei meint, sie verdiene es, von 12 Millionen Menschen oder mehr gewählt zu werden, um in den nächsten vier Jahre die gesamte Politik dieses Landes maßgeblich zu gestalten, dann sollte sie in der Lage sein, mindestens zehn Persönlichkeiten zu benennen, denen sie ganz konkret das Bundeskanzleramt zutraut. Mit diesen zehn Persönlichkeiten sollte sie in die Wahl gehen – Team wird ja gerade ganz großgeschrieben. Und nach der Wahl wird im Erfolgsfalle ausgelost, wer das Amt tatsächlich bekommt. Wer vom Los bestimmt wurde kann nicht sagen: "Ich bin als Führer auserkoren, ohne mich geht hier nichts." Stattdessen Demut: vielen Dank für das Losglück - und beim nächsten Mal wird's ein anderer. Dieses Verfahren eignet sich für jeden Vereinsvorstand, für jede große Abteilungsleitung, ja selbst für den Klassensprecher: alle Geeigneten finden, benennen und dann auslosen, wer es macht.
Die Idee ist freilich nicht neu, sondern zweieinhalbtausend Jahre alt – und erprobt. Aber Auslosung befriedigt nicht unser Faible für Führer, für Dramen und Intrigen. Wo nicht mehr über Personen lamentiert werden kann, müsste man sich um Sachfragen kümmern, und wenn die gar mal gelöst wären... Schönen guten Morgen.

Timo Rieg ist Buchautor und Journalist. Seine zuletzt erschienen Bücher sind "Demokratie für Deutschland" und der Tucholsky-Remake "Deutschland, Deutschland über alles".

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