Politiker und Banken - wer führt wen?

Von Uli Müller · 04.10.2011
Es geht nicht anders, Leute, wir haben keine andere Wahl! Das ruft Kanzlerin Angela Merkel den empörten Bürgern zu, wenn darum geht, die Banken-, Finanz- und Schuldenkrise zu meistern. Je nach Temperament und politischer Überzeugung brandmarken viele Wähler diese Politik als fatalistisch, verlogen oder hilflos.
Fatalistisch, weil es Handlungsalternativen gibt. Verlogen, weil nach 1945 noch nie eine Regierung den Leuten derart ungeniert in die Tasche gegriffen hat, um es den Banken zu geben und damit jenen, die ohnehin schon haben. Hilflos, weil keine Strategie hinter den Banken-, Euro- und Staatenrettungen erkennbar ist.

Das ist eigentlich seit den 90er-Jahren so und unabhängig von der politischen Couleur der jeweiligen Regierung. Stets aufs Neue wiederholen die Politiker, sie könnten nichts dagegen tun, das Großbanken und Konzerne ihre Interessen durchsetzen. Die Globalisierung zwinge sie zum Stillhalten.

Daran stimmt soviel: Für Banker und Unternehmer ist es ein leichtes Spiel, sich jenseits von Grenzen zu organisieren. Politiker hingegen folgen anderen Regeln. Bislang sorgen vor allem nationale Wahlen für ihre demokratische Legitimation. Und wie schwer es ist, politische Institutionen supranational zu etablieren oder vorhandene mit mehr Befugnissen auszustatten, verdeutlichen allein schon die gescheiterten Referenden zur Einführung einer EU-Verfassung.

Ein klarer Nachteil für Merkel und die politische Klasse. Allerdings muss das noch lange nicht bedeuten, sich von Bankenchefs erpressen zu lassen - frei nach dem Motto: Wenn ihr uns nicht gebt, was wir wollen, dann ziehen wir eben weiter, und ihr könnt sehen, woher ihr Arbeitsplätze bekommt. Nein, Politiker können Regeln setzen. Dafür haben sie sogar eine Alternative.

Entweder sie folgen den Banken in die Welt und tun alles dafür, dass supranationale Regierungsformen wie zum Beispiel die geplante EU-Wirtschaftsregierung entstehen. Oder sie zwingen die global agierenden Banken, auf ein gesellschaftlich verträgliches Maß zu schrumpfen.

Gegen den Aufbruch der Politik in die weite Welt spricht einiges. Nicht zuletzt der eigene Machtanspruch der Volksvertreter. Viel schwerer wiegt hingegen: Das Dilemma wäre nicht aus der Welt. Transnationale Banken würden auch weiter eine beunruhigende Machtfülle besitzen.

Für Alternative zwei, die Beschneidung der Bankenmacht, spricht dagegen vieles. Nur wenn die Geldinstitute eine bestimmte Größenordnung nicht überschreiten und regional verankert sind, haben sie ein Interesse am Austausch mit ihrer unmittelbaren Umgebung, mit Anwohnern also, mit Umweltschützern, Gewerkschaftern, lokalen Wirtschaftsinitiativen. Nur dann sind sie transparent und kontrollierbar. Je näher Politiker und Banker an den Menschen sind, desto besser.

Natürlich brauchen wir globale Arrangements für Probleme, die sich nur weltweit lösen lassen, für den Klimawandel zum Beispiel. Doch prinzipiell gebührt dem Graswurzelprinzip der Vorrang. Dass supranationale Institutionen weniger Aussicht auf Erfolg haben, weil sie von oben gedacht werden, haben die bereits erwähnten gescheiterten EU-Referenden exemplarisch gezeigt.

Und wozu überhaupt Banken im Fall der Krise verstaatlichen, weil sie aufgrund ihrer Größe zu viele gesunde Unternehmen mit in den Abgrund reißen würden, wenn es gleich anders geht? Wenn sie eine vernünftige Größe haben, dann löst sich das Problem mit einem Bankrott auf der untersten Ebene - so schmerzhaft der im Einzelfall auch sein mag.

Es geht eben doch anders. Wir haben die Wahl. Das verstehen auch immer mehr Menschen in diesem Land. Und hoffentlich ist es nur eine Frage der Zeit, dass sie dies der Kanzlerin entgegnen. Damit auch die es endlich versteht.


Uli Müller, geboren 1968, lebt als Autorin und freie Journalistin in Berlin. Dort sowie in Großbritannien studierte sie Volkswirtschaft. Für überregionale Zeitungen und Zeitschriften (u.a. taz, FTD, zeit.online) schreibt sie über Ökonomie und Literatur. Fürs Radio bespricht sie Bücher und macht Reportagen und Feature. Bis zum Jahr 2010 war sie Korrespondentin für Wirtschaftspolitik bei der Financial Times Deutschland.
Uli Müller, Journalistin
Uli Müller, Journalistin© Anton Eger