Politiker im Web-Visier

Von Susanne Billig |
Demokratie lebt bekanntlich von Meinungsfreiheit und vom Dialog. Doch für einen direkten Austausch braucht es auch ein Forum. Das Internetportal <papaya:link href="http://www.abgeordnetenwatch.de" text="abgeordnetenwatch.de" title="abgeordnetenwatch.de" target="_blank" /> stellt genau das zur Verfügung. Hier sollen Politiker sich den Fragen von Bürgern und Bürgerinnen stellen.
Rede, Gegenrede! Frage, Antwort! Einspruch, neue Debatte! Die Demokratie lebt, auch im Internet. Das Portal abgeordnetenwatch.de, seit Dezember 2004 im Netz, hat Politiker über Nacht auf Tuchfühlung mit ihren Wählerinnen und Wählern gebracht. Vom Bundeswehreinsatz in Afghanistan bis zum Zebrastreifen vor der Schule reichen die diskutierten Fragen.

"Die Idee zur Seite ist entstanden aus der Wahlrechtskampagne hier in Hamburg, das ist ’ne Kampagne gewesen zur Europawahl 2004, wo wir per Volksentscheid ein neues Wahlrecht eingeführt haben. Und im Rahmen dieser Kampagne ist immer wieder die Frage aufgekommen: Wie sollen wir eigentlich die Abgeordneten auswählen, wenn wir die gar nicht kennen?"

Gregor Hackmack gehört zu den Gründern des Portals, das von dem gemeinnützigen Verein "Mehr Demokratie" getragen wird. Erst vernetzte man das Hamburger Stadtparlament, dann den deutschen Bundestag.

"Ursprünglich wollten wir einfach nur die Profile ins Netz stellen und auch das Abstimmungsverhalten dokumentieren - da dachten wir schon, das sei revolutionär, dass man als Bürger dann auch mal sieht, wie die Abgeordneten in der Bürgerschaft, im Parlament für sie abgestimmt haben. Und dann im Laufe der Entwicklung kam eben die Idee dazu, auch den Online-Dialog zu ermöglichen."

Mittlerweile bietet das Portal eine Fülle von Informationen: Die Termine der nächsten Debatten und Beratungen sind angekündigt, wichtige Parlamentsdokumente lassen sich herunterladen, die Abgeordneten sind, nach Bundesländern sortiert, mit Foto und Kurzporträt vertreten; zudem wird dokumentiert, wie sie sich in den letzten Abstimmungen verhalten haben. Längst nicht jede Bürgerfrage erhält auch eine Antwort. In allen Parteien glänzen Politiker durch Schweigen oder senden nichtssagende Floskeln.

"Man kann sehr schnell als Surfer auf dieser Plattform n Eindruck darüber gewinnen, wie ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete gestrickt ist, das heißt, antwortet er oder sie in Textbausteinen, oder macht er oder sie sich wirklich die Mühe ne Antwort zu recherchieren, wirklich persönlich zu antworten? (...) und das ist ja das, was wir anstreben, (...) dass man den Abgeordneten auch besser kennen lernt, im Guten wie auch im Schlechten."

Während viele Abgeordnete ausführlich auf Fragen reagieren, scheinen Politiker umso wortkarger, je höher ihre Position: Von mehreren Dutzend Fragen beantwortete die Kanzlerin bislang keine. Bundestagsvizepräsident Thierse schwieg bislang auch. Franz Müntefering, Minister für Arbeit und Soziales, reagierte, einmal: mit einem Formbrief auf die Frage einer verarmten Rentnerin. Innenminister Wolfgang Schäuble gibt auf jede Frage dieselbe Antwort – man solle ihm an sein Büro schreiben, da ihm das Portal zu anonym sei.

Andrea Nahles sitzt für die SPD im Bundestag. Vor einiger Zeit nahm sie schon einmal an einem Internetdialog teil – als es nur noch Beschimpfungen hagelte, stieg sie aus. Wie viele andere Abgeordnete musste die Politikerin von abgeordnetenwatch.de erst überzeugt werden. Eine gute Moderation versprachen die Webseiten-Macher. Doch würden sie ihr Versprechen auch halten?

"Als ich dann gemerkt hab, ja, die machen das auch wirklich so, man kann wirklich sagen, man wird da nicht übel angepöbelt, sondern die Leute sind auch kritisch und die meckern auch, aber das hat irgendwo Hand und Fuß, damit kann ich umgehen. Und dann fand ich das toll und deswegen hab ich mich auch richtig persönlich reingehangen."

Einmal bot Andrea Nahles einem Arbeitslosen sogar an, seine Frage direkt mit ihm zu besprechen, und traf den Mann zum Mittagessen. So viel Kontakt ist selten, gibt Andrea Nahles zu - und will nicht nur Informationen liefern, sondern hat ihrerseits Wünsche an das Web-Portal:

"Ich hatte mal mit den Machern telefoniert und hab gesagt, also Leute, ich hab da die Anregung, dass ihr das mal n bisschen transparenter macht: Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie das hier so läuft, also wie kommen hier eigentlich Entscheidungen zustande? Was ist eigentlich Fraktionszwang? Und warum muss man den auch akzeptieren als Abgeordneter? Weil man sonst überhaupt nie Mehrheiten zusammenkriegt zum Beispiel. Die könnten das auch nutzen, die Plattform, vielleicht ne Rubrik einzurichten, wie funktioniert eigentlich der Politikbetrieb? Das wäre, glaube ich, auch interessant für die Leute, dass das eben nicht nur so ne immerwährende Schleife von immer denselben Missverständnissen gibt."

So beliebt sie ist, die politische Debatte per Internet - eines ersetzt sie nicht:

"Am besten ist es, man engagiert sich selbst. Das muss ja nicht direkt in einer Partei sein, obwohl das auch nichts Schlimmes ist, sondern es kann ja auch in einer Initiative sein, aber ich wäre schon dafür, dass es über solche Medien wie abgeordnetenwatch gelingen könnte, auch das Gefühl, 'ich will mich da einmischen, ich will was tun', zu steigern. Das wäre jedenfalls meine Hoffnung."