Politik und Wirtschaft

Die produktive Kraft der Macht

Screenshot des TV-Duells zwischen der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz.
Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft spielen Machtkämpfe eine entscheidende Rolle © dpa-Bildfunk / MG RTL D
Rainer Hank im Gespräch mit Katrin Heise  · 09.09.2017
Um eine Neuvermessung der Macht geht es dem Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank in seinem Buch "Lob der Macht". Er beschreibt die Psychologie von Machtspielen und zeigt, wie auch die Ohnmacht darin verwoben ist.
Das Geheimnis und die Faszination der Macht beschäftigt den Wirtschaftsjournalisten Rainer Hank in seinem Buch "Lob der Macht". Er widmet sich darin auch Biographien von Wirtschaftsbossen wie Thomas Middelhoff , Martin Winterkorn oder Ferdinand Piëch. Er plädiert dafür, die Kraft der Macht nicht zu verleugnen: "Ich finde aber schon, dass wir ein leicht verklemmtes Verhältnis zur Macht haben", sagte Hand im Deutschlandfunk Kultur. Er wolle sich zwar nicht als "Möchtegern-Machiavelli" aufspielen, aber er wolle von der Leugnung der Macht wegkommen. "Natürlich will ich nicht den Machtmissbrauch verherrlichen." Es gehe ihm darum, die produktive Kraft der Macht zu verdeutlichen.

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: "Lob der Macht", so steht in ganz großen Lettern auf dem Cover des heute erscheinenden Buches von Rainer Hank. Er ist Wirtschaftsredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Lob der Macht, will da jemand provozieren, denn ich meine, es geht uns ja oft darum, Macht einzuschränken. Wir meinen, einen Ausgleich schaffen zu müssen, denken wir bloß an einige der Mächtigen zurzeit: Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan, Kim Jong-un. Ich meine, da sehen wir kein Lob der Macht, sondern hoffen auf Gegenkräfte. Und wenn ich an die Wirtschaft denke, die ja für viele die eigentliche Macht in der Hand hält, höre ich aber auch keinen Jubel drüber. Ja, also, Frage Lob der Macht. Guten Morgen, Rainer Hank!
Rainer Hank: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Wieso ein Lob der Macht?
Hank: Ich meine das ernst, das ist nicht nur kokette Provokation, aber damit ist auch nicht gemeint, dass ich mich so, wie soll man sagen, als Möchtegern- Machiavelli aufspielen will. Ich finde aber schon, dass wir ein leicht verklemmtes Verhältnis zur Macht haben, auch ein scheues, auch ein leugnendes, und von dieser Leugnung will ich wegkommen. Natürlich – das haben Sie auch gerade gesagt – will ich nicht den Machtmissbrauch verherrlichen, wobei bei Trump wäre ich mir gar nicht sicher, ob das schon Machtmissbrauch ist. Er stößt ja auch immer wieder an Grenzen.
Aber ich finde schon, und darauf kommt es mir an, dass wir die produktive Kraft der Macht deutlich machen wollen. Wir machen das immer nur so verschämt und sagen, dem geht es ja nur um die Macht. Und da würde ich sagen, prima, hätten wir den Trieb zur Macht nicht oder mit diesem schönen Nietzsche-Satz, den Willen zur Macht nicht, dann wären wir nie von den Bäumen der Frühgeschichte gekommen.

Dialektik der Machtinteressen

Heise: Das finde ich jetzt interessant, dass gerade Sie sagen, Sie wollen eben davon weg, der macht das ja nur um der Macht willen. Ich hatte nämlich in Ihrem Buch schon den Eindruck, dass Sie sagen, gerade den Politikern gehe es eben nicht ums Wohl des Volkes, sondern um die Macht, den Wirtschaftsbossen nicht um Befriedigung der Kunden, sondern um Macht. Also ich bin nicht überzeugt, das zu loben.
Hank: Doch, ich finde, es gibt da so was Ähnliches wie das, was Adam Smith die unsichtbare Hand nennt. Es geht ihnen um die Macht, und ich finde, das kann man sich auch zumindest als Deuter, als Analytiker kann man das sagen und soll man das auch sagen. Die selber sagen ja auch immer – fragen Sie einen CEO, einen Wirtschaftsboss oder einen Politiker –, nein, nein, um die Macht geht mir es gar nicht, vielleicht habe ich Einfluss, vielleicht kann ich irgendwie mit anderen zusammen.
Nein, ich finde, man kann sagen, es geht ihnen um die Macht, und die Tatsache, dass es ihnen um die Macht zu tun ist, hat quasi mittelbar dann auch den guten positiven Effekt, dass sie "Gutes für das Gemeinwohl" bewirken. Ich würde eher umgekehrt sagen, die Leute, die uns ständig einflüstern wollen, es gehe ihnen nur um das Gemeinwohl, da sollten wir sehr auf der Hut sein, ob es ihnen nicht wirklich um die Macht geht und sie deswegen ihre egoistischen Interessen zwar haben, aber quasi verbergen wollen. Das ist ungefähr die Dialektik, über die ich geschrieben habe.
Heise: Wobei, Gemeinwohl als Nebeneffekt ist mir wahrscheinlich fast ein bisschen wenig, aber ich möchte mal so an den Anfang gehen. Wann ist Macht eigentlich am schönsten?
Hank: Ja, das ist wirklich interessant, da gibt es mittlerweile auch sehr viel wissenschaftliche Literatur. Man denkt ja immer, Macht, irgendwann hat man sie erworben, dann ist man Präsident der Vereinigten Staaten oder Leiter eines mittelständischen Konzerns, und dann wird es immer schöner, und die Erfahrung zeigt das Gegenteil. Der Moment, an dem Macht am schönsten ist, ist der Moment, an dem man sie gerade erworben hat, und alle Erfahrung zeigt, von nun an geht's bergab. Das kann sogar so sein, und dafür ist Martin Schulz ein wunderschönes Beispiel, dass der den schönsten Moment schon hinter sich hat. Das wussten wir im Moment nicht – diesem berühmten Krönungsparteitag, wurde er genannt –, als er mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen beim SPD-Parteitag im Februar gewählt wurde. Das war tatsächlich der größte Glücksmoment für Martin Schulz.
Heise: Jetzt warten wir mal die Macht des Volkes am 24. September ab.
Hank: Jetzt warten wir sie ab, und vielleicht bin ich auch zu sehr erlegen den Umfragen, die wir jetzt haben, und vielleicht gibt die Konstellation, vielleicht, vielleicht. Dieses vielleicht, vielleicht nennt Machiavelli und nennt Shakespeare Fortuna. Das heißt, das ist nicht einfach nur Glück, sondern das sind glückliche Umstände, das sind Zeitkonstellationen, und Gott sie Dank kann man die Macht zwar planen und muss man, es braucht viel Empathie – Empathie ist nicht wirklich per se eine gute Eigenschaft, sondern es ist ein Mittel zum Erwerb der Macht. Aber die schönste Planwirtschaft nützt nichts, weil wir mit Fortuna rechnen müssen, und Fortuna ist ein wirklich sehr willkürliches Weib, jedenfalls in der Mythologie und Allegorie.

Selbstüberschätzung gehört dazu

Heise: Und deshalb zitieren Sie auch Herrn Döpfner: "Nur die Paranoiden halten sich an der Macht." Das finde ich auch interessant.
Hank: Genau, ein bisschen, wie soll man sagen, Verrücktheit braucht es auch dazu. Oder man kann das auch wieder etwas rationaler sagen, ein bisschen Selbstüberschätzung gehört dazu. Wer wirklich realistisch seine Fähigkeiten einsetzt, der wird sagen, hm, es gibt ja vielleicht bessere, und wenn wir es uns genau angucken, und ich hab nicht viel genug gelesen und nicht viel genug geübt et cetera.
Heise: Ist die Macht der einen eigentlich nur möglich durch die Ohnmacht der anderen? Sie sprechen nämlich auch – und das fand ich auch wirklich interessant – von der Macht der Ohnmächtigen, und da bringen Sie ein Beispiel, was mich ehrlich gesagt sehr verärgert hat, nämlich das Geschäftsmodell Alleinerziehende.
Hank: Ja, das war vielleicht nun wirklich etwas provokant, aber auch nicht nur um der Provokation willen. Es gibt so was, was die Psychologen sekundären Krankheitsgewinn nennen, nämlich aus der Unterlegenheit seinerseits wieder Macht zu beziehen. Über die Alleinerziehenden müssten wir vielleicht ein bisschen ausführlicher reden, sonst klingt das wirklich nur wie eine Unverschämtheit, und so ist es wirklich nicht gemeint.
Heise: Zumal Sie jetzt aber Krankheit ins Spiel gebracht haben, jetzt wird es ja immer krasser.
Hank: Ja, Krankheit aus der Ohnmacht und Unterlegenheit, und die Unterlegenheit selbst ist natürlich eine Hilflosigkeit. Aber statt aus der Hilflosigkeit sich selber frei und selbstständig irgendwohin anders zu entwickeln, bleibe ich in dieser Situation befangen. Nehmen wir mal, wenn Sie mir die Alleinerziehenden nicht durchgehen lassen, nehmen wir das, was die Griechen lange Zeit in Europa gemacht haben: Sie haben aus ihrer Schwäche, die es deutlich war, ihre Schulden völlig überzogen, nun nicht den Schluss gezogen, nun müssen wir wieder als Staat finanziell auf eigene Beine kommen, sondern sie haben gesagt, wir nutzen die anderen dazu aus, uns zu unterstützen, die sollen solidarisch sein, sonst reißen wir die mit in den Untergang Europas. Das ist ungefähr der Mechanismus, über den ich da geschrieben habe.
Heise: Da könnten wir jetzt noch weiter streiten, aber wir sollen und wollen uns jetzt ja gar nicht streiten.
Hank: Ein bisschen streiten tue ich gerne, wie Sie merken.
Heise: Ja, gut, okay. Nehmen wir doch mal eine Stunde dazu..
Hank: Gerne.

Angst vor Google, Facebook und Amazon

Heise: Sie sind Wirtschaftsredakteur, und gerade Alleinerziehende und wenn wir dann auf die Mächtigen in der Wirtschaft den Blick richten, wo die eigentliche Macht ja sitzt in Zeiten der Digitalisierung, macht Ihnen das nicht langsam auch Angst?
Hank: Das kommt drauf an, an welcher Stelle mir die wirtschaftliche Macht Angst macht. Sie macht mir weniger Angst, wenn wir uns jetzt hier die klassischen Konzerne anschauen. Ich freue mich eher drüber, dass, sagen wir, Daimler ein erfolgreicher Konzern ist, und das schafft Arbeitsplätze, das schafft Wohlstand et cetera.
Man muss sich so langsam ein bisschen Angst machen und Angst haben vor den großen Konzernen im Silicon Valley. Die segeln immer noch so ein bisschen unter der Überschrift, wir sind die Kreativen, wir sind die Neuen, wir sind so eine Art von Start-up-Kultur, aber Google, Facebook, Amazon, das sind ganz große und wohl auch oligopolistische Konzerne. Und das ist eine große These, die ich versuche in dem Buch immer wieder deutlich zu machen: Macht ist gut, solange sie bestreitbar ist.
Also wenn ich die Mächtigen vom Thron stürzen kann, um selber mächtig zu werden, dann ist alles wunderbar. Wenn sich aber eine kleine Gruppe von Konzernen derart installiert, dass niemand mehr ihre Macht bestreiten kann oder dass die Bestreitung der Macht immer scheitern wird, dann müssen wir Angst haben, weil dann können sie die Preise setzen, so wie sie es wollen und nicht so, wie der Wettbewerb es will. Macht ist immer gut, so lange es Wettbewerb gibt.
Heise: Also eigentlich Lob des Machtkampfes. Aber es heißt "Lob der Macht", ab heute kann es jeder selbst beurteilen. Das Buch von Rainer Hank ist bei Klett-Cotta erschienen. Danke schön, Herr Hank, für das Gespräch!

Rainer Hank: "Lob der Macht"
Klett Cotta, 2017
20 Euro

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