Politik und Wahrheit

Wer regieren will, muss lügen können

06:31 Minuten
Donald Trump empfängt mit ausladender Geste Journalisten.
Liane von Billerbeck meint, wir müssen uns nur Politiker wie Donald Trump vor Augen führen, die lügen teilweise wie gedruckt und man weist ihnen die Lügen nach. Es gibt Journalisten, die sind nur damit beschäftigt, aber es bringt nichts. © Getty Images / Win McNamee
Philipp Hübl im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.12.2019
Audio herunterladen
Ein paar Lügen schaden nicht – im Gegenteil: sie nutzen. Anhänger einer politischen Richtung lassen ihren Führungsfiguren daher ziemlich viel durchgehen, sagt der Philosoph Philipp Hübl. Ihnen komme es auf etwas anderes an.
Liane von Billerbeck: Es ist inzwischen 20 Jahre her, als Helmut Kohl über Spender in der CDU-Parteispendenaffäre sagte: 'Ich habe nicht die Absicht, deren Namen zu nennen, weil ich mein Wort gegeben habe.' Und dabei ist er bekanntlich auch geblieben. Wie aber ist das heute mit Vertuschung und Lüge? Ist Lügen in der Öffentlichkeit in digitalen Zeiten leichter oder schwerer als damals?
Wir reden darüber mit Philipp Hübl. Er ist Philosoph und Sachbuchautor, hat unter anderem ein Buch geschrieben, dass heißt "Bullshit-Resistenz". Es geht darin darum, was uns anfällig für Lügen und Verschwörungstheorien macht und wie wir uns im digitalen Zeitalter davor schützen können.
Helmut Kohl hat in der Spendenaffäre vertuscht und stand auch noch dazu. Wäre ein solches Aussitzen heute eigentlich noch möglich?
Hübl: Ich glaube, es ist schwieriger möglich heutzutage, weil der Druck viel, viel größer ist durch die sozialen Medien. Man konnte bei vielen Problemen in der Politik früher, vor 20, 30 Jahren, darauf setzen, dass sich nach ein paar Wochen vielleicht keiner mehr drum kümmert. Das ist auf jeden Fall schwieriger geworden, aber es ist sicherlich nicht ganz unmöglich.

"Besser, wenn man Fehler nicht eingesteht"

Billerbeck: Früher hat man einfach gewartet, bis die nächste Sau durchs Dorf getrieben wurde, wie das in der Presse immer hieß. Ist es denn nun leichter, einen Fehler einzugestehen, als so ein Lügengebäude aufzubauen und daran festzuhalten?
Hübl: Fehler einzugestehen kann leichter sein für die Person, die es tut, aber für die Wirkung ist es meist besser, wenn man Fehler nicht eingesteht, weil bei vielen Menschen es immer wichtiger ist, dass das Gegenüber oder der Politiker, dem man folgt, dass der konsistent und selbstbewusst ist und das sozusagen rüberbringt. Selbst ein Politiker, der lügt, dem es eindeutig nachgewiesen ist, wird – wenn er dabei bleibt – bei seinen Anhängern eher Vorteile haben, als wenn er es eingesteht.
Billerbeck: Das widerspricht ja allem, was wir so gelernt haben und was wir unseren Kindern beibringen.
Hübl: Genau. Im Alltag zwischen Freunden, Verwandten – im Nahbereich – wollen wir das eigentlich sehr gerne, dass Leute ihre Fehler eingestehen, und da verzeihen wir sie ihnen auch. Aber immer, wenn es um so Gruppendynamiken geht, wir gegen die anderen, dann fangen die Leute sofort an, ihr eigenes Team sozusagen, ihre eigene Gruppe positiver zu sehen und die Gegengruppe eher sehr kritisch zu sehen. Bei den Gegengruppen entdeckt man eher Fehler und wirft ihnen auch ihre Fehler und Inkonsistenzen vor, bei der eigenen Gruppe ist man aber schnell dabei, die viel eher zu verzeihen.
Es gibt einige Studien, die zeigen: Die Leute erkennen die Lügen der Politiker, aber wenn es der eigene Lügner ist der eigenen Gruppe, dann sagen sie innerlich sowas wie 'Das ist zwar ein Lügner, aber es ist wenigstens unser Lügner.' Da sind sie dann viel weniger streng und viel weniger kritisch.

Lügen lohnt sich – weitgehend

Billerbeck: Das heißt schlicht: Lügen in der Politik lohnt sich.
Hübl: Bis zu einem gewissen Punkt. Jeder Politiker sagt mal die Unwahrheit, das ist uns allen irgendwie klar. Wir akzeptieren das auch auf der Gegenseite und auf der eigenen Seite bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn es aber kippt, es gibt ein paar Studien, die deuten darauf hin, wenn es so vier zu eins ist ungefähr, also wenn ein Großteil dessen, was der Politiker sagt, eine Lüge ist, dann gibt es irgendwann den Punkt, dass man dem nicht mehr vertraut und dass es dann kippt. Aber wenn es so ein paar Lügen sind, immer mal wieder, dann funktioniert das ganz gut.
Billerbeck: Nun reden wir darüber, ob es einfacher ist im digitalen Zeitalter zu lügen. Wir reden viel von Fake News, aber andererseits ist es doch auch viel leichter, Lügen aufzudecken, weil ja im Netz fast alles Spuren hinterlässt und aufgezeichnet wird.
Hübl: Ja. Ich glaube, da hat sich so ein Wettrüsten jetzt etabliert: Auf der einen Seite ist es leichter geworden, zu lügen, im Sinne von: Man kann die Lügen leichter unter die Leute bringen, man kann einfach irgendwas hintippen, es posten und mit ein bisschen Glück verbreitet sich das auch.
Aber wie Sie gesagt haben, die Täuschung hat auf der einen Seite zugenommen, aber die Möglichkeiten der Enttarnung haben auch zugenommen. Das ist eigentlich sehr vergleichbar mit dem Tierreich, da gibt es auch die Tiere, die sich tarnen, die andere Tiere täuschen, nicht gut zu erkennen sind, und die Jagdtiere, die immer bessere Sinnesorgane bekommen haben. Das passiert jetzt gerade im Netz, es gibt immer mehr Möglichkeiten zu täuschen, aber wir selber sind schon viel sensibilisierter, wenn wir etwas lesen, im Mittel – und wir haben auch Mittel plötzlich gefunden, Sachen zu entlarven, zum Beispiel sowas wie Fact Checking, Apps für Browser, die gleich anzeigen, ob etwas Fake News ist und so weiter. Also das ist auch besser geworden.

Republikanern sind Trumps Lügen nicht wichtig

Billerbeck: Das Dumme ist ja nur, wir müssen uns nur zwei Politiker wie Donald Trump oder Boris Johnson vor Augen führen, die lügen teilweise wie gedruckt und man weist ihnen die Lügen nach. Es gibt Journalisten, die sind nur damit beschäftigt, aber es bringt nichts.
Hübl: Genau, es bringt etwas schon, kann man sagen, bei der Mehrheit in Amerika. Etwas mehr als die Mehrheit weiß, dass Trump ein Lügner ist. Aber bei denen, das ist wieder diese Stammesmentalität, dieses Teamdenken, wenn man Wähler der Republikaner ist, dann ist den Leuten das, auch wenn die das wissen, nicht so wichtig. Dann ist es wichtiger, zur richtigen Gruppe zu gehören, als die Fehler des Anführers zu ignorieren.
Wir kennen das eigentlich aus den Religionen. Weil Religionen, – wenn man sich mal genauer die religioösen Schriften anschaut –, die sind voll von Fake News und Verschwörungstheorien, da stehen absurde Dinge drin, wenn man die wörtlich nimmt. Aber über Jahrhunderte, Jahrtausende haben die Anhänger von Religionen das geglaubt und auch verteidigt, obwohl es ihrer gesamten Lebenserfahrung widersprochen hat. Brennende Büsche können nicht sprechen, um ein Beispiel aus der Bibel zu nennen. Aber man hat das verteidigt, weil es viel wichtiger war zur richtigen Gruppe zu gehören, nämlich der Religionsgemeinschaft oder in unserem Fall heute der politischen Gruppe, der politischen Ausrichtung, als genau das immer rauszufinden, was wahr und exakt ist.
Billerbeck: Also, wenn ich meinen Beruf wechsle und tatsächlich in die Politik gehen sollte, dann kann ich es mir ganz leicht machen und einfach wild vor mich hin lügen.
Hübl: Wie gesagt, es muss in einem gewissen Rahmen bleiben. Aber man kann sich zu einem gewissen Grade darauf verlassen, wenn man die richtigen Anhänger hat, dass die das mehr verzeihen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema