Politik und Journalismus

Von Hajo Schumacher |
Joe Klein war immer ein Fan der Babyboomer. Deren erfolgreichster Vertreter hieß in den USA Bill Clinton. Hierzulande versieht diese Generation seit sieben Jahren den Regierungsdienst unter dem Namen "Achtundsechziger".
Als Chefinterpret dieser Generation schrieb Klein den Bestseller Primary Colors über Clinton, den letzten demokratischen Präsidenten.

Im Prinzip eine Eloge. Nur in einem Punkt war Klein gar nicht einverstanden mit seinem Idol: Es war Clintons Glaube an die Macht der Reklame. "Marketing war das schleichende Gift, das entscheidend zum Schwund des öffentlichen Lebens beitrug", schrieb Klein. Die allgegenwärtigen Demoskopen und Werbfachleute befragten die Menschen, was sie haben wollten. Die Antworten waren unschwer vorherzusehen: bessere Schulen, besseres Gesundheitssystem, sichere Straßen, weniger Steuern.

Und - so Klein - wurden "die Politiker bedingungslose Pragmatiker, sklavische, ängstliche Mitläufer. Meist gerannen ihre Botschaften zu Standpunkten irgendwo in den sichersten, konservativsten Bereichen der politischen Mitte, ohne die brillanten, exzentrischen und unvorhersehbaren Einfälle, die die Erkennungszeichen einer echten politischen Führungsnatur sind."

Das trifft, mit der üblichen transatlantischen Zeitverzögerung, auch auf Deutschland zu. Nie zuvor hat eine Regierung mehr Geld für Reklame ausgegeben. Nie zuvor machten, in allen Parteien, so viele Werber Politik.

Und die geht so: Erst wird von einer Agentur eine hippe Kampagne ersonnen, dann politischer Inhalt nachgefüllt. So entstanden Plakate, die "Teamarbeit für Deutschland" versprachen oder "Vier Milliarden Euro für neue Ganztagsschulen". Die Poster hatten allerdings ein Problem: Die Bürger fanden weder Arbeit noch Ganztagsschulen.

Damit wir hier nicht einseitig werden: Die Journalisten haben gewaltig mitgeholfen bei der Verharmlosung des Politischen durch die Reklame.

In einem schlauen Aufsatz über Journalisten als politische Akteure beschreibt die Politikprofessorin Gesine Schwan eine Taxi-Fahrt mit Medienvertretern: Ihr lebhaftes Gespräch - sie waren alle in so genannten kritischen Medien tätig – drehte sich durchweg um Quoten und Aufmacher. Dabei ging es durchaus differenziert um ästhetische Fragen und um den Zusammenhang zwischen Aufmacher und Quote. Und je höher sie war, desto heller leuchteten die Augen und desto mehr wuchs der kollegiale Respekt.

Und was heißt das für den Journalismus: Erstens hängt er einem irrationalen Negativismus an - nur bad news zählen.

Zweitens werden die Journalisten selbst, und das nicht mal ungern, zu politischen Akteuren.

Und drittens schaffen sie ihre eigenen Debatten, die mit richtigen Menschen nicht immer viel zu tun haben. Das bewiesen zuletzt zwei dramatische Fehleinschätzungen der Hauptstadtjournalisten aus diesem Wahlkampf. Einhellig hatten die Reporter beim TV-Duell Schröder-Merkel die Herausforderin mehr oder weniger gleichauf gesehen.

Zum anderen: Die Berufung Paul Kirchhofs wurde nahezu durchgängig als Riesenerfolg bejubelt. Die Bürger sahen beides offenbar völlig anders.

Wir halten fest: Auf der einen Seite eine marketinghörige Politik, die parteiübergreifend immer prächtigere Verheißungen macht. Auf der anderen Seite krisengierigen Pressevertreter, die sich am liebsten mit sich selbst unterhalten.

So existieren statt politischen Auseinandersetzungen inzwischen zwei Parallelwelten, zwischen denen sich eine endlose Schraube dreht. Hier immer größere Erwartungen, dort immer größeren Enttäuschungen.

Das Ergebnis sind aufgesetzte, unehrliche, künstlich empörte Debatten, die alles befördern - nur keine ehrlichen Lösungen für echte Probleme.

Egal, was man von Kirchhofs Rechnungen halten mag: Der Mann hat nicht eine Sekunde lang die Chance gehabt, seine wissenschaftlichen Studien in einen Gesetzentwurf zu übersetzen und dann in den koalierenden Fraktionen sowie im Bundestag zur Debatte zu stellen. Das wäre der demokratische Weg gewesen.

Nach diesen Erfahrungen wäre es nicht verwunderlich, wenn der arme Professor sich gleich nach der Wahl zurückzieht nach Heidelberg, um sich fortan gefahrloseren Themen wie der Ornithologie zu widmen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel, den Welttreibstoff Öl. Die Medien schüren etwa zum achtundzwanzigsten Mal seit drei Jahren die so genannte Benzinwut, um sie sofort darauf zu beklagen. Auch hier wird grob an der Realität vorbei argumentiert.

Fakt ist, dass der Benzindurst von Indien und China dafür sorgen wird, dass der Preis für Rohöl niemals mehr dauerhaft fallen wird. Nur diejenigen Volkswirtschaften werden dauerhaft Erfolg haben, die erstens sparsam mit dem kostbaren Saft umgehen und zweitens Motoren entwickeln, die ohne Erdöl laufen. Dafür muss man weder Prophet sein noch Grüner.


Hajo Schumacher, Journalist, nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "SPIEGEL", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.