Politik und Gefühl

12.01.2010
Wer Politik betreibt, sollte – so die landläufige Meinung – einen kühlen Kopf bewahren. Die Gestaltung komplexer sozialer Prozesse, das Handeln zum Gemeinwohl, die Lehre von den Staatszwecken – man bringt sie vor allem mit der Vernunft in Zusammenhang. Der französische Politologe Dominique Moisi hingegen behauptet, vor allem Emotionen hätten Einfluss auf die Politik und sollten stärker berücksichtigt werden.
2006 verfasste Dominique Moisi in Anspielung auf den von Samuel Huntington dreizehn Jahre zuvor geprägten Begriff vom "Kampf der Kulturen" unter dem Titel "Der emotionale Kampf der Kulturen" eine Kolumne. Ein Jahr später war daraus ein Essay geworden, veröffentlicht in der einflussreichen amerikanischen Zeitschrift "Foreign Affairs". Ein Radiovortrag zum Thema folgte, schließlich ein Buch. "The Geopolitics of Emotion" - ins Deutsche übersetzt nun mit "Kampf der Emotionen".

Der direkte Bezug auf den "Kampf der Kulturen" ist deutlich. Während der amerikanische Politologe Huntington 1993 die These aufstellte, dass das 21. Jahrhundert nicht von Auseinandersetzungen politischer, ideologischer oder wirtschaftlicher Natur, sondern von Konflikten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturkreise bestimmt sein werde, betont der Franzose Moisi, derzeit und auch in Zukunft würden vor allem Emotionen - er nennt insbesondere Angst, Demütigung und Hoffnung - den entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Weltpolitik haben, denn Identitätssuche anstelle von Ideologie sei inzwischen der Motor der Geschichte. Moisi ist überzeugt:

"Man kann die Welt in der wir leben, nicht wirklich verstehen, wenn man nicht ihre Emotionen berücksichtigt ... "

Die Emotionen der Welt ... Der realpolitisch geschulte Wissenschaftler Moisi begibt sich mit seiner These auf unsicheres Terrain. Er tut dies bewusst, bekennt sich zu einer subjektiven Sichtweise, das macht sein Buch sympathisch. Es will nicht originell sein, sondern konstruktiv. Für Moisi ist die Lesart von Konflikten vor dem Hintergrund von Emotionen der Schlüssel, um die Welt besser zu machen und weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Beispielhaft unterscheidet er drei Sphären: die arabisch-islamischen Gesellschaften, die sich als gedemütigt begreifen. Kolonialisiert fühlten sie sich, als Verlierer der Globalisierung. Doch auch Europa, aufgrund der Erfahrung zweier Weltkriege und zuletzt des Balkan-Krieges, des wirtschaftlichen Abschwungs und schwindender Dominanz, befände sich in einem Zustand von Angst und Depression. Ähnlich ginge es den USA, die aber trotz der Erfahrung eigener Verwundbarkeit weniger pessimistisch als das "alte Europa" seien. Eine "Kultur der Hoffnung" hingegen macht der psychologisierende Politikwissenschaftler in Asien aus. Indien, China, auch Russland, seien optimistische, dynamische Gesellschaften. Selbstbewusst nähmen sie fremde Einflüsse auf und seien überzeugt von eigener Leistungsfähigkeit bei der Steigerung ihrer Wirtschaftskraft und Macht.

Im letzten der sechs übersichtlich gegliederten Kapitel seines Buches wagt Moisi einen Ausblick auf das Jahr 2025. Zuerst prognostiziert er den Zustand der Welt, sollten sich die "schädlichen" Emotionen durchsetzen, dann entwirft er ein mögliches Szenario unter Berücksichtigung "richtiger" Emotionen im politischen Miteinander.

Dabei gerät Moisis Ansatz an seine Grenzen. Denn mit der Kategorisierung von Emotionen kommt wieder die Vernunft ins Spiel. Emotionen im gesellschaftlichen Handeln zu berücksichtigen und ins politische Kalkül einzubeziehen, ist letztlich ein rationales Argument. In aller Breite überzeugend ist Moisis These nicht. Es fehlt das ausgefeilte Vokabular, mit dem psychologische, biologische oder neurologische Erkenntnisse stringent auf geopolitische Vorgänge übertragbar wären. Es fehlt auch eine verbindliche Unterscheidung von Gefühlen und Emotionen. Anregend jedoch ist das Buch allemal, schärft es doch die Wahrnehmung für den subjektiven, menschlichen Faktor in der komplexen Gestaltung politischer Prozesse.

Autoreninfo:
Dominique Moisi, geboren 1946 als Sohn eines französischen Auschwitz-Überlebenden ist Mitbegründer und derzeit stellvertretender Direktor des IFRI (Französisches Institut für Internationale Beziehungen). Er unterrichtet Politische Wissenschaften u. a. an der Harvard Universität, in Cambridge, an der Ecole Nationale d'Administration in Paris und am College of Europe in Warschau. Regelmäßig schreibt er Aufsätze, Kommentare und Essays für Financial Times, Foreign Affairs, Der Standard, Die Welt.

Besprochen von Carsten Hueck


Dominique Moisi: "Kampf der Emotionen. Wie Kulturen der Angst, Demütigung und Hoffnung die Weltpolitik bestimmen".
Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt
Deutsche Verlags-Anstalt 2009. 240 S., 19,95 Euro