Politik? Nein danke!
Was wär’ schon heute noch zu holen mit dem derben Widerborst der frühen Jahre? - Wo doch heute das Unterschichten-Fernsehen jede Geschmackshürde locker unterschreitet, und analer wie sonst welcher Sex samt Hose-runter und Schwanzvergleich zum guten Ton beim Seelenstrip am Talkshow-Nachmittag gehört. Da darf es das Lust-und-Frust-Quartett aus dem Lieder-und-Glieder-Buch des Franz Xaver Kroetz in Kassel auch gleich ganz wie am Comedy-Boulevard treiben.
"Der Drang" jedenfalls, das Stück, das Kroetz 1994 aus dem Früh-Werk "Lieber Fritz" recycelte (und im Grunde damals nur um ein paar angestrengt zeitgenössische Aids-Anmerkungen bereicherte), zielt in Nicolai Sykoschs Inszenierung am Staatstheater in Kassel direkt aufs Zwerchfell. Das Kroetz-Panoptikum ist heiter wie selten – und selbst wenn das eine auf den ersten Blick eher sonderbare Sicht auf Kroetz sein mag, so bekommt sie dem doch erstaunlich gut.
"Lieber Fritz" war 1971 noch eins der Labor-Stücke des jungen Autors – rabiat steckte Kroetz damals regelmäßig vielfältig beschädigte Alltagsmenschen in die Zwangsjacke einer theatralischen Versuchsanordnung. 23 Jahre später hat "Der Drang" immer noch denselben Plot: Otto und Hilde, ein in Routine erkaltendes Friedhofsgärtnereibesitzerpärchen, nehmen Fritz bei sich auf, Hildes Bruder, der gerade eine Strafe für chronischen Exhibitionismus abgesessen hat und zur Bewährung triebhemmende Mittelchen einnehmen muss. Trotzdem (und halt gerade deshalb!) wird dieser Fritz zum Katalysator vieler verdrängter Lüste; auch bei Mitzi, die in der Gärtnerei hilft. Sie speziell, und Otto, der Chef, malen sich lustvoll sämtliche denkbaren Fritz-Perversionen aus, fangen auch ein Verhältnis miteinander an, was Hilde fast zum Mord an Mitzi treibt – während in diesem wachsenden Inferno nur der gefährliche Fritz bei allem völlig brav bleibt. Von wegen: versaut – die Sau lassen jetzt alle anderen raus, voller Triebstrukturen aus dem Paläozoikum oder von noch früher.
Kroetz selbst hat all diese Beschränkungen und Beschädigungen allerdings ehedem stets als systembedingte Macken kenntlich machen wollen – und seinen hilflosen Alltags-Akteuren sehr viel Sympathie entgegengebracht; speziell dort, wo sie alle sich immer wieder in Sprichwörtern und angelernten, eingebimsten Weisheiten versteigen. Sie sprachen halt nicht, sie "wurden gesprochen" – Sykoschs Spaß-Bande in Kassel hingegen setzt auf jedes taumelnde Wort-Gedrechsel immer noch eine ulkige Geste. Witz, komm raus, Du bist umzingelt – und tatsächlich: Der Witz kommt raus! Politik hingegen ist gestrichen – "Der Drang" sieht in Kassel so aus, als hätte Kroetz dem Personal nie auch nur die Spur eines Gedankens an politische Zwänge und Abgründe eingeschrieben und untergejubelt. Stattdessen geraten sie eher ins Philosophieren, dieser Otto und dieser Fritz – wenn sie etwa im (wirklich bunten!) Riesenblumenbühnenbild von Stephan Prattes, diesem Garten Eden voller geil sprießender Triebe, darüber bramarbasieren, ob ein Mensch ein Asparagus sei; und immer bleibe, wohin auch immer man in umtopft. Da klingt plötzlich fast ein bisschen Valentin mit. Nicht schlecht! So einen Kroetz gab’s selten – als wär’s ein Ayckbourn, auf den Bayern-Boulevard gebrettlt.
Plötzlich gibt’s auch richtig funkelnd naiv-bös-dumpfe Rollen: für Uwe Steinbruch vor allem als Otto und Anke Stedingk als Mitzi. Aber auch Christina Weise und Daniel Scholz als Geschwisterpaar Hilde und Fritz halten mit. Selbstverständlich geht mit dieser Sicht auf Kroetz auch sehr viel verloren – etwa dessen Methode, mit der er das Quartett stets so unerhört beispiel- und schablonenhaft agieren ließ; weil Kroetz ja im Theater-Labor reale Gesellschaft in Miniaturen vor- und nachbilden wollte. Stattdessen plustert nun Sykosch den Abend auf zweieinhalb, gefühlte dreieinhalb Stunden – wo das Stückchen doch gerade mal eine schnelle Fernsehspiellänge haben dürfte.
Dennoch ist Sykoschs Comedy-Strategie schlüssig, kompakt und konsequent. Den Jux hat er sich ja nicht machen müssen, der lauert auch bei Kroetz. Und auch wer nun diese Haltung einem der historisch wichtigsten deutschen Dramatiker gegenüber nicht teilt, nimmt sie dankbar zur Kenntnis – immerhin weiß Sykosch, was er will. Das ist bei Kroetz nicht immer so.
Nach dem "Fazit"-Livegespräch rekonstruiert und ergänzt.
Der Drang
Von Franz Xaver Kroetz
Regie: Nicolai Sykosch
Hessisches Staatstheater Kassel
"Lieber Fritz" war 1971 noch eins der Labor-Stücke des jungen Autors – rabiat steckte Kroetz damals regelmäßig vielfältig beschädigte Alltagsmenschen in die Zwangsjacke einer theatralischen Versuchsanordnung. 23 Jahre später hat "Der Drang" immer noch denselben Plot: Otto und Hilde, ein in Routine erkaltendes Friedhofsgärtnereibesitzerpärchen, nehmen Fritz bei sich auf, Hildes Bruder, der gerade eine Strafe für chronischen Exhibitionismus abgesessen hat und zur Bewährung triebhemmende Mittelchen einnehmen muss. Trotzdem (und halt gerade deshalb!) wird dieser Fritz zum Katalysator vieler verdrängter Lüste; auch bei Mitzi, die in der Gärtnerei hilft. Sie speziell, und Otto, der Chef, malen sich lustvoll sämtliche denkbaren Fritz-Perversionen aus, fangen auch ein Verhältnis miteinander an, was Hilde fast zum Mord an Mitzi treibt – während in diesem wachsenden Inferno nur der gefährliche Fritz bei allem völlig brav bleibt. Von wegen: versaut – die Sau lassen jetzt alle anderen raus, voller Triebstrukturen aus dem Paläozoikum oder von noch früher.
Kroetz selbst hat all diese Beschränkungen und Beschädigungen allerdings ehedem stets als systembedingte Macken kenntlich machen wollen – und seinen hilflosen Alltags-Akteuren sehr viel Sympathie entgegengebracht; speziell dort, wo sie alle sich immer wieder in Sprichwörtern und angelernten, eingebimsten Weisheiten versteigen. Sie sprachen halt nicht, sie "wurden gesprochen" – Sykoschs Spaß-Bande in Kassel hingegen setzt auf jedes taumelnde Wort-Gedrechsel immer noch eine ulkige Geste. Witz, komm raus, Du bist umzingelt – und tatsächlich: Der Witz kommt raus! Politik hingegen ist gestrichen – "Der Drang" sieht in Kassel so aus, als hätte Kroetz dem Personal nie auch nur die Spur eines Gedankens an politische Zwänge und Abgründe eingeschrieben und untergejubelt. Stattdessen geraten sie eher ins Philosophieren, dieser Otto und dieser Fritz – wenn sie etwa im (wirklich bunten!) Riesenblumenbühnenbild von Stephan Prattes, diesem Garten Eden voller geil sprießender Triebe, darüber bramarbasieren, ob ein Mensch ein Asparagus sei; und immer bleibe, wohin auch immer man in umtopft. Da klingt plötzlich fast ein bisschen Valentin mit. Nicht schlecht! So einen Kroetz gab’s selten – als wär’s ein Ayckbourn, auf den Bayern-Boulevard gebrettlt.
Plötzlich gibt’s auch richtig funkelnd naiv-bös-dumpfe Rollen: für Uwe Steinbruch vor allem als Otto und Anke Stedingk als Mitzi. Aber auch Christina Weise und Daniel Scholz als Geschwisterpaar Hilde und Fritz halten mit. Selbstverständlich geht mit dieser Sicht auf Kroetz auch sehr viel verloren – etwa dessen Methode, mit der er das Quartett stets so unerhört beispiel- und schablonenhaft agieren ließ; weil Kroetz ja im Theater-Labor reale Gesellschaft in Miniaturen vor- und nachbilden wollte. Stattdessen plustert nun Sykosch den Abend auf zweieinhalb, gefühlte dreieinhalb Stunden – wo das Stückchen doch gerade mal eine schnelle Fernsehspiellänge haben dürfte.
Dennoch ist Sykoschs Comedy-Strategie schlüssig, kompakt und konsequent. Den Jux hat er sich ja nicht machen müssen, der lauert auch bei Kroetz. Und auch wer nun diese Haltung einem der historisch wichtigsten deutschen Dramatiker gegenüber nicht teilt, nimmt sie dankbar zur Kenntnis – immerhin weiß Sykosch, was er will. Das ist bei Kroetz nicht immer so.
Nach dem "Fazit"-Livegespräch rekonstruiert und ergänzt.
Der Drang
Von Franz Xaver Kroetz
Regie: Nicolai Sykosch
Hessisches Staatstheater Kassel