Politik, Medien und Moral

14.01.2012
Bundespräsident Christian Wulff gerät nicht aus den Schlagzeilen, der Druck wächst, die versprochene Transparenz rund um die Kredit- und Medienaffäre einzulösen. Immer mehr Politiker sehen das Amt nachhaltig beschädigt, auch aus den eigenen Reihen werden Rücktrittsforderungen laut.
Was sagt diese Affäre über die deutsche Politik und ihre Protagonisten? Wie steht es um das Verhältnis zwischen Politik und Medien?

"Wer mit dem Teufel Suppe isst, braucht einen langen Löffel", sagt der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler und zielt damit auf das Verhältnis der Springer-Presse zu Christian Wulff.

"Wenn 'Bunte' und 'Bild' die Zentralorgane der gesellschaftlichen Debatte werden, dann läuft etwas schief. Und genauso ist es bei dem Patchwork-Paar Wulff gewesen."

Der ungeschickte Umgang mit der Kreditaffäre habe Wulff seines wichtigsten Mittels beraubt: der Sprache.

"Wie soll er über Freundschaft, über uneigennütziges Agieren reden? Wie über Ehrlichkeit, Anstand? Das kann er nicht mehr. Das Furchtbare ist, dass er sich sprachlos gemacht hat. Und dann ist da noch - wie soll ich es sagen - der Einzug des Halbseidenen in die Politik."

Der ehemalige Leiter des Adolf Grimme Instituts kennt das ambivalente Verhältnis zwischen Politik und Medien nur zu genau.

"Gleichzeitig muss man gucken, dass jeder seinen Job machen kann. Dass die Medien unabhängig agieren können, alle Grauzonen sollten thematisiert werden, Staatsferne muss durchgesetzt werden."

Den Politikwissenschaftler Gero Neugebauer erinnert die Affäre an das "Hase-und-Igel-Prinzip":

"Wulff konnte nur noch hinterher traben, weil die Presse einfach schneller war und neue Informationen präsentierte."

Durch die Schnelligkeit der neuen Medien und des Internets stehe er unter einem nur schwer zu kontrollierenden Druck.

Der Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin beobachtet die Politik seit mehreren Jahrzehnten. Politische Skandale und Politiker, die diese aussitzen, habe es schon zuvor gegeben, siehe die CDU-Spendenaffäre und die Verbindung zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Medien-Mogul Leo Kirch.

Ihn beschäftigt aber auch die Frage, wie jemand überhaupt zum Politiker wird. Seine Beobachtung: Die entscheidende Frage, "Ist jemand geeignet für das Amt?" gerate immer mehr in den Hintergrund.

"Wulff war durch nichts ausgewiesen, außer durch eine Karriere als politischer Beamter. Aber was muss man besitzen, um Präsident zu werden? Es reicht nicht, einem bestimmten Kalkül, einer Berechnung der Kanzlerin zu genügen. Wenn er sagt, 'Ich kann nicht Kanzler', dann hätte er sich erst recht fragen müssen, 'Kann ich Bundespräsident?'. Das Amt genießt ein sehr hohes Ansehen, darüber steht nur noch das Bundesverfassungsgericht oder der Papst. Aber das Amt ist auch ziemlich groß, und Wulff hat drei Anläufe gebraucht, um hineinzukommen. Er ist, was er ist: Provinz!"

Der Wissenschaftler verweist auch auf die Auswirkungen solcher Skandale: Die Menschen erwarteten, dass die Politiker gewisse Regeln einhalten. Täten sie das nicht, führe das zu Frust und Kritik. Und diese äußerten sich auch an der Wahlurne.

"Politik, Medien und Moral" - darüber diskutiert Dieter Kassel heute mit Bernd Gäbler und Gero Neugebauer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@dradio.de oder auf unserer Facebook-Seite.

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