„Politik fand ich schon immer interessant“

Von Jutta Heeß |
Claudia Kohde-Kilsch war Anfang der 80er-Jahre die mit Abstand erfolgreichste deutsche Tennisspielerin. Dann brachte ihr Stiefvater und Manager sie um ihr Vermögen. Heute hat die Saarbrückerin einen Job als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Partei Die Linke.
Federation Cup-Finale 1987. Das entscheidende Doppel. Steffi Graf und Claudia Kohde-Kilsch gegen Pam Shriver und Chris Evert. Sensationelle Ballwechsel, die Volleys pfeifen übers Netz, ein packendes Spiel. Auch beim Zuschauen fast 16 Jahre später fiebert man noch mit. Auszüge des Matches findet man bei Youtube. In der holzvertäfelten Cafeteria des saarländischen Landtags rufen das Plopp-Plopp-Plopp, die quietschenden Schuhe, der harte Kampf und schließlich der Triumph von Kohde-Kilsch und Graf Erinnerungen wach an die ganz große Zeit des deutschen Tennis in den 80er Jahren.

„Ein Unterfangen, das am Ende mit einer sensationellen Leistungssteigerung belohnt. Denn urplötzlich gelangen vor allem Claudia Kohde-Kilsch spektakuläre Punktgewinne am Netz, während Steffi Graf fast fehlerfrei spielte.“

Claudia Kohde-Kilsch ist seit einem Jahr Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion der Linken im Saarland. Per SMS teilt sie mit, dass sie noch in der Fraktionssitzung sei. Also weiter mit großem Tennis:

„Sieg und Federation Cup für die Vertretung des deutschen Tennis-Bundes ...“

Nach einer halben Stunde kommt Claudia Kohde-Kilsch. Sie ist leger gekleidet, Jeans, Turnschuhe, ein grünes Cord-Jacket. Nach einer freundlichen Begrüßung muss sie schnell wieder weg, eine Pressemitteilung schreiben, dann könne es aber losgehen.

Es bleibt etwas Zeit, die Karriere der Saarbrückerin Revue passieren zu lassen: 1985 war sie die Nummer vier der Weltrangliste, behauptete sich über fünf Jahre in den Top Ten. Zwei Mal schlug sie die Weltranglistenerste Martina Navratilova, gewann an der Seite von Helena Sukova die Doppelkonkurrenz in Wimbledon, holte mit Steffi Graf die Olympische Bronzemedaille im Doppel und wurde Federation-Cup-Siegerin mit der Deutschen Mannschaft. Eine Bilderbuch-Karriere – die allerdings unglücklich endete: Nach einem bitteren Zerwürfnis mit ihrem Stiefvater, der ihre Preisgelder verschleudert hatte, musste Claudia Kohde-Kilsch Privatinsolvenz anmelden.

Claudia Kohde-Kilsch kommt zurück, mit großen Schritten, kein Wunder, bei einer Körpergröße von 1,87 Meter. Wir ziehen um in die Kantine, da sind wir etwas ungestörter. Einige Abgeordnete essen zu Mittag – Tischordnung getrennt nach Fraktionen. An einem Tisch am Rande erzählt Claudia Kohde-Kilsch, wie sie zu ihrem neuen Job gekommen ist:

„Ich bin schon, was ja mittlerweile bekannt ist, sehr, sehr lange – fast seit ich zwölf bin – mit Oskar Lafontaine befreundet. Ich habe ihn kennengelernt, da war er Oberbürgermeister und ich war zwölf bei einer Ehrung hier im Rathaus, als die Stadt Saarbrücken erfolgreiche Sportler geehrt hat, da habe ich ihn zum ersten Mal gesehen. Dann waren ja im letzten Jahr bei uns die Neuwahlen, und da haben wir wieder mehr Kontakt bekommen im Vorfeld, und dann hat er mich gefragt, ob ich ein bisschen für ihn einstehen würde beim Wahlkampf für die Linke.

Da habe ich gesagt, okay, das mache ich. Und so kamen wir dann wieder in engeren Kontakt, und dann waren die Wahlen vorüber und diese Stelle der Pressereferentin war zu vergeben, nachdem sich die Fraktion neu gebildet hat. Und nachdem Oskar auch wusste, dass ich ausgebildete Journalistin bin, hat er mir die Stelle dann angeboten und gefragt, ob ich das machen möchte, so kam das.“

Auch Oskar Lafontaine erinnert sich heute noch an die erste Begegnung im Saarbrücker Rathaus:

„Ja, ich kann mich gut erinnern. Frau Kohde-Kilsch hatte als Jugendspielerin im Tennis einen Preis gewonnen und war im Rathaus eingeladen und hat von mir als Bürgermeister eine Urkunde entgegen genommen, da gibt’s auch noch Bilder von, an diese erste Begegnung kann ich mich gut erinnern, weil die junge Frau damals fast schon so groß war wie ich als Bürgermeister.“

Nach ihrer Tennis-Karriere absolvierte Claudia Kohde-Kilsch ein Fernstudium an einer Journalistenschule in Berlin, anschließend hospitierte sie im ZDF und beim Saarländischen Rundfunk. Ihre Lebensaufgabe aber scheint sie nun in der Politik gefunden zu haben:

„Für mich stand auch nicht zur Debatte, da lange zu überlegen, weil das ist für mich ‚ne Riesenchance war, weil ich Politik schon immer interessant fand, und den Weg da auch weitergehen möchte, immer so Schritt für Schritt. Ich denke, man muss auch Chancen ergreifen, das Leben ist viel zu kurz, um solche Chancen vorbei gehen zu lassen. Deswegen habe ich auch gesagt, mach ich. Was auf mich zukommt, wusste ich in dem Moment ja noch nicht, habe mich dem aber sofort gewachsen gefühlt, und habe gedacht, das schaff ich, das ist bestimmt auch super interessant, und so ist es auch geworden.“

„Ich glaube, dass sie dort die Stärken ausspielen kann, die sie auch als Sportlerin hatte. Einmal fällt mir eben auf, dass sie bei Belastungen immer ruhig und die Aufregungen des Alltags so nimmt, wie sie zu nehmen sind. Und dass sie zweitens gelernt hat, zu trainieren, das heißt sie arbeitet daran, dass die Pressearbeit der Fraktion immer besser wird.“

Claudia Kohde-Kilsch ist nicht die erste Sportlerin, die in die Politik gegangen ist: Die blinde Biathletin Verena Bentele ist im SPD-Wahlkampfteam von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude. Der ehemalige Turner Eberhard Gienger sitzt für die CDU im Bundestag. Ex-Boxer Vitali Klitschko kandidierte zwei Mal für das Bürgermeisteramt in Kiew. Und auch die Leichtathleten Carl Lewis und Sebastian Coe sind politisch aktiv, ebenso Schachweltmeister Garri Kasparov. Aber der Superstar ist Arnold Schwarzenegger: Der Bodybuilder war sieben Jahre lang Gouverneur von Kalifornien. Sind Sportler vielleicht die besseren Politiker?

„Die Sportler, die in die Politik gehen, wir denken sportlich, für uns ist das auch ein Kampf, etwas durchzusetzen, für etwas zu stehen, aber ohne unfaire Mittel. Und wenn man eine Einzelsportart betrieben hat und begibt sich dann in dieses Metier, muss man schon ein Teamplayer sein, weil ganz allein auf weiter Flur kommt man nicht weit. Man muss ja mit der Partei, mit den anderen, in dem Fall mit der Fraktion, man muss ja zusammenarbeiten.“

Und Claudia Kohde-Kilsch ist noch nicht am Ziel ihrer Träume: Sie will noch eins drauf setzen, sie will in den Bundestag.

„Ja, ich bin im Gespräch als Direktkandidatin für den Kreis Saarbrücken. Was die Landesliste angeht, ist noch alles offen bei uns jetzt hier im Saarland. Und die Entscheidung für alles fällt am 5. Mai.“

Warum aber engagiert sich Claudia Kohde-Kilsch gerade für die Linkspartei? Eine Freundschaft mit Oskar Lafontaine macht noch keine politische Einstellung. Und in Tenniskreisen, die ja nach wie vor eher als elitär gelten, sind die politischen Ansichten der Linken möglicherweise eher verpönt. Schlägt ihr Herz wirklich links?

„Da gibt es viel, so gut wie alles, für was ich auch stehe. Ich war zum Beispiel, dafür schlägt mein Herz wirklich, immer schon sozial engagiert, habe immer schon nach unten geschaut, mir waren immer die Menschen wichtig, denen es nicht so gut geht, habe ja auch in meinem Leben seit Jahren sehr viel für Charity gemacht, und das liegt mir wahnsinnig am Herzen, dafür zu kämpfen. Ich kann es auch nicht mehr mit ansehen, wie diese Schere von Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinandergeht, dem Mittelstand geht’s auch nicht mehr so gut.

Dann sind natürlich die Punkte Krieg, warum muss man unsere Truppen ins Ausland schicken? Da bin ich zum Beispiel auch dagegen. Also ich fühle mich hier wohl. Klar, muss ich manchmal dagegen ankämpfen, wenn die Menschen kommen und sagen Luxussozi, aber das sind auch Einzelfälle gewesen. Da weiß ich mich auch schon zu wehren und ich möchte da bleiben und dafür kämpfen.“

Das Wort „kämpfen“ wird noch häufiger fallen in unserem Gespräch. Jetzt aber muss Claudia Kohde-Kilsch noch einmal schnell ins Büro, eine Pressemitteilung abschicken.

„Dann mach ich das jetzt mal und um kurz nach eins bin ich wieder hier runter... – okay?“

Nach dem Mittagessen reden wir über Tennis. Bereits mit neun Jahren wurde Claudia Kohde-Kilsch vom Deutschen Tennis Bund entdeckt und regelmäßig gefördert. Nachdem sie als Jugendliche große Erfolge feierte, beschloss „der Familienrat“, wie sie sagt, dass sie nach der Mittleren Reife die Schule abbricht und eine Karriere als Profispielerin einschlägt. Mit der Option wieder an das Gymnasium zurückzukehren, falls die Erfolge ausbleiben. 1980 ging sie dann auf die Profitour.

„Da war ich nach einem Jahr schon erste 20 in der Welt, und da bin ich dann natürlich nicht zurück zur Schule, wäre schön blöd gewesen.“

Denn es lief ja wie geschmiert. Claudia Kohde-Kilsch war Anfang der 80er-Jahre die mit Abstand erfolgreichste deutsche Tennisspielerin. Betreut und gemanagt wurde sie von ihrem Stiefvater Jürgen Kilsch, der sie mit 18 Jahren adoptierte. Die beiden tingelten um die Welt, von Turnier zu Turnier. Klaus Hofsäss war damals Bundestrainer der Damen. Heute hat er eine Tennis-Akademie in Marbella. An die Anfänge der gemeinsamen Zeit mit Claudia Kohde-Kilsch erinnert er sich genau:

„Ich bin 1982 im Mai Bundestrainer geworden für die Damen, und sie war damals 18 Jahre alt, und es war natürlich ein großes Glück für mich, und da bin ich auch dankbar, wenn man zum Einstieg mit so einer Spielerin arbeiten kann, die eine fantastische Teamspielerin war für den Federation Cup. Wir haben ja auch in dem Jahr Finale gespielt in San Francisco. Sie war sehr fleißig, und das war ein wunderbarer Einstieg für mich.“
Die deutsche Tennisspielerin Claudia Kohde-Kilsch spielt 1985 beim Wimbledon-Turnier.
1985 beim Wimbledon-Turnier© ture-alliance / dpa
Claudia Kohde-Kilsch, die Kämpferin, ging weiter ihren Weg
Doch 1984 wurde bereits klar, wer in Zukunft das deutsche Tennis dominieren würde: Die 20-jährige Claudia Kohde-Kilsch unterlag als Top-Ten-Weltranglistenspielerin beim Turnier in Filderstadt der gerade einmal 15-jährigen Steffi Graf. Mit Steffi Grafs Aufstieg und zeitgleich den Erfolgen von Boris Becker geriet Claudia Kohde-Kilsch in der öffentlichen Aufmerksamkeit ins Hintertreffen – trotz ihrer beachtlichen Erfolge.

„Natürlich war es auch schwierig für Claudia, sie war die Dominierende am Anfang, sie war Nummer 5, Nummer 4 in der Welt, Steffi kam von hinten mit diesem großen Potenzial, das ist natürlich auch schwierig.“

Doch Claudia Kohde-Kilsch, die Kämpferin, ging weiter ihren Weg, manchmal sogar an der Seite ihrer Rivalin. Zum Beispiel 1987 beim legendären Doppelsieg im Federation-Cup, bei dem das deutsche Doppel im Finale gegen die USA schon 1:6 und 0:4 zurückgelegen hatte.

„Wir haben beide gedacht, wir spielen jetzt einfach weiter, jetzt haben wir nichts mehr zu verlieren, haben mit nichts mehr gerechnet, und auf einmal lief's, von einer Sekunde zur anderen lief's super. Wir haben am Netz teilweise super Volleys gehabt und dann noch gewonnen, was am Anfang umgekehrt war. Es lief dann besser, wir waren dann einiges ruhiger als am Anfang.“

„Ja, das war natürlich ein großer Fight, auch im Umfeld, wir hatten damals 35 Journalisten da, vier Fernsehteams, es war ein Riesenrummel. Steffi wurde dann kurze Zeit später Nummer 1, und dann die beiden Väter, die sich ja nicht immer unbedingt grün waren, die von außen das ihrige hinzugetan haben. Aber die Mädchen auf dem Platz waren fantastisch und haben dann ja zwei Mal, Halbfinale und Finale, durch das Doppel den Siegpunkt geschafft, Steffi hat immer ihr Einzel gewonnen.“

„Obwohl es viele Stimmen gab, ja Steffi und Claudia zusammen im Doppel geht nicht, ich habe mich damals dazu entschieden, die hätten mir wahrscheinlich den Kopf abgerissen, wenn es dann nicht funktioniert hätte, aber für mich war klar, wenn wir eine Chance haben wollen, dann geht das nur mit Claudia im Doppel, weil sie war schon eine sehr, sehr gute Doppelspielerin mit ihrer Größe und ihrer Erfahrung, sie hat ja ganz viele Titel gewonnen, da gab es für mich eigentlich keinen Zweifel.“

Klaus Hofsäss spricht etwas an, was das Verhältnis von Claudia Kohde-Kilsch und Steffi Graf immer prägen sollte: „Die beiden Väter, die sich nicht ganz grün waren.“ Jürgen Kilsch und Peter Graf waren zwei ehrgeizige Tennisväter, die ihre Töchter von Erfolg zu Erfolg trieben. Da wurde auch die eine oder andere Stichelei publik.

„Ich könnte das auch so stehen lassen, dass vieles hoch geschrieben wurde, ist nun Mal das was die Öffentlichkeit will, hinter dem Journalisten her sind, immer mal ein kleines Skandälchen oder eine Sondergeschichte, die dann immer weitergetragen wird. Allerdings war es schon so, dass sich mein Vater damals nichts hat gefallen lassen, aber er hat immer versucht, die beiden Töchter rauszuhalten, wir haben uns ja gut verstanden, Olympia, FedCup, das hat ja gut geklappt.

Ich habe Steffi kennengelernt, da war sie zwölf, da waren wir teilweise noch ohne ihren Vater unterwegs, in Australien, war immer lustig, da haben wir uns auch gut verstanden. Man darf sich halt im Leben nicht alles bieten lassen, es waren ja auch zwei Charaktere und zwei Leitwölfe, und Peter Graf hat sich ja mit vielen angelegt, auch mit vielen Journalisten, er war halt ein schwieriger Mensch, drücken wirs mal so aus, für uns zumindest.“

Auch Klaus Hofsäss, der Damen-Trainer, beschreibt die Feindseligkeiten der Väter als schwierig und belastend – zum Teil auch durch die Medien geschürt und zugespitzt.

„Ja, ich war natürlich auch unerfahren und ein paar Jahre jünger. Heute würde mir das sicherlich nicht mehr so nahe gehen. Aber ich glaube, dass wir es ganz gut handeln konnten, und es war auch manchmal etwas übertrieben dargestellt. Man darf ja auch nicht vergessen: Wenn sie heute einen Fußballspieler nach einem verlorenen Match fragen, da kommt dann auch oft irgendwas raus, was vielleicht nicht druckreif ist. Und wenn ich nach einem verlorenen Match zu dem einen oder anderen Vater hingehe, wo man angespannt ist und jeden Ballwechsel mitgegangen ist, dann ist das ja auch manchmal verständlich.“

Einen Höhepunkt der Rivalität gab es offenbar bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul. Steffi Graf gewann im Einzel die Goldmedaille und zusammen mit Claudia Kohde-Kilsch die Bronzemedaille im Doppel. Nach der Niederlage im Halbfinale soll Jürgen Kilsch Peter Graf gefragt haben, wieso Steffi gegen ihre Gewohnheit die Rückhand immer durchgezogen habe, anstatt ihren sicheren Slice zu spielen. Peter Grafs Antwort soll gewesen sein: „Meinst du etwa, die Claudia soll auch eine Goldmedaille kriegen?“ In einem ausführlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Claudia Kohde-Kilsch auch diese Szene erwähnt.

„Das war ein Gespräch zwischen meinem Vater und ihrem Vater, das wurde leider plötzlich rumgedreht, auch von der BILD-Zeitung, und da musste ich das noch ein paar Mal klarstellen. Mein Vater ist nun mal jetzt verstorben, ich kann ihn nicht noch mal fragen, aber ich glaube ihm das, was er mir damals gesagt hat, mit der Medaille da. Das lief so ab, und das hatte ja nichts mit Steffi und mir zu tun. Richtig Freunde sucht man sich ja selber aus, und die entstehen oder entstehen nicht, und wir waren jetzt nicht so Freundinnen, dass wir nach der Karriere oder zwischendurch viel miteinander zu tun gehabt hätten. Aber wir mussten in einem Team spielen, wir haben für Deutschland gespielt, wir waren junge Mädchen, wir haben ja nix Bösartiges gemacht, warum sollten wir uns mit der anderen nicht verstehen? Was soll man dazu sonst noch sagen?“

Eine Interviewanfrage an Steffi Graf wurde von ihrer Marketing-Abteilung per Mail abgelehnt:

„Nach Rücksprache mit Frau Graf müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass sie kein Interview geben möchte.“

Claudia Kohde-Kilschs Karriere ging weiter – 1988 gewann sie das Turnier in Birmingham, 1990 das in Kitzbühel. Auch im Doppel spielte sie nach wie vor erfolgreich. Die großen Siege der frühen Jahre blieben jedoch aus. 1989 hatte sie die erste Krise, stieg vorübergehend aus dem Tenniszirkus aus.

„Heute wurde man neumodisch sagen ein Burn-out, wo ich mich mal ausgeklinkt hatte, drei, vier Monate, ganz plötzlich, jedenfalls für mein Umfeld zumindest überraschend. Ja, das ist ja auch hart, es ist ein harter Beruf, den man in jungen Jahren anfängt, und wo man wirklich 20 Jahre ackert und seinen Körper strapaziert und man auch nicht weiß, passiert mir irgendwas, man verdient ja damit auch sein Geld.

Es ist sehr viel Druck, Hochleistungssport ist hart. Das vergessen die Leute manchmal, die sehen ja nur die, die da ob sind, aber der Weg dahin, was das alles kostet, das wollen viele nicht sehen. Dann muss man irgendwann den richtigen Zeitpunkt finden, indem man das dann beendet.“
Preisgelder in Höhe von vier Millionen D-Mark waren futsch
Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ihre Karriere zu beenden und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, das ist Claudia Kohde-Kilsch schwer gefallen. Vor allem ihr Verhältnis zum Stiefvater beschreibt sie rückblickend als kompliziert.

„Bei mir hat es sehr lang gedauert, weil am Anfang jeder kleinste Versuch, mich zu lösen – mein Vater hat mich da schon sehr vereinnahmt. Es waren ja nicht nur die letzten Jahre, wo diese Dinge dann passiert sind – er hat ja auch vieles richtig gemacht, wir hatten ja auch eine tolle Zeit in den zwanzig Jahren davor – aber man ist dann so ineinander verzahnt, bis einem bewusst wird, dass man sich noch nicht gelöst hat, das hat bei mir gedauert.

So richtig habe ich es erst geschafft, als ich meinen Mann kennengelernt habe, da war ich Anfang 30. Der mir dann auch geholfen hat. Das ist sehr, sehr schwer zu erklären, dass kann wahrscheinlich ein Psychologe besser, diese Abhängigkeit, die da entsteht, und dass man dann gerade als Frau auch eine Kraft braucht, und irgendwie auch, dass man es überhaupt mal merkt, was da abgeht und sagt, ich muss mich richtig lösen und mein eigenes Leben führen.“

Während dieses Ablöseprozesses wird Claudia Kohde-Kilsch nach und nach klar, dass ihre Preisgelder in Höhe von rund vier Millionen D-Mark futsch sind. Jürgen Kilsch, von Beruf Anwalt, hatte das Vermögen seiner Stieftochter verwaltet – doch am Ende das ganze Geld ausgegeben oder falsch angelegt. 1999 begann der Prozess Kohde-Kilsch gegen Kilsch – und zog sich über fast fünf Jahre hin. Ob Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht – immer bekam die Tochter Recht, immer ging der Stiefvater in Berufung. Als er 2004 schließlich um die Zulassung des Prozesses am Bundesgerichtshof kämpfte, verstarb Jürgen Kilsch plötzlich.

Claudia Kohde-Kilsch blieb fast nichts mehr von ihren Preisgeldern – und am Ende musste sie noch die Anwaltskosten tragen. Vor unserem Treffen bat Claudia Kohde-Kilsch, nicht allzu viele Fragen zu ihrem Stiefvater beantworten zu müssen. Zu anstrengend sei diese Zeit gewesen, zu schmerzhaft die Erinnerungen daran.

„Ja, das prägt einen dann natürlich, aber ich habe meine Schwester, wir lieben uns auch sehr, und der Rest der Familie, wir haben immer alle zusammengehalten, das ist auch heute noch so, das ist dann wenigstens sehr schön.“
Doch nach den Prozessen und dem Tod des Stiefvaters war noch nicht Schluss mit den bitteren Momenten. Claudia Kohde-Kilsch ließ sich von ihrem Mann scheiden – und hatte zunehmend Geldsorgen. Bis sie sich eines Tages zu einem großen Schritt entschloss: 2011 meldete sie Privatinsolvenz an.

„Eine Erleichterung ist es vor allem, wenn man sich entschließt, das zu tun, wenn man dann wieder einen Faden hat. Davor ist alles Durcheinander. Man weiß nicht mehr, wo hinten und vorne ist, man braucht ja auch noch ein bisschen Geld zum Leben, man muss ja essen und trinken und Miete zahlen, alles geht durcheinander. Das war so eine Erleichterung. Dem vorweg ging ein langes Gespräch mit meiner Anwältin, die hat mich ermutigt, dann hat sie mir versprochen, in einem Jahr geht’s dir besser, und so war's auch.“

Seitdem ist viel geschehen: Nach einer kurzen Zeit, in der sie als Maklerin arbeitete, ist Claudia Kohde-Kilsch nun seit einem Jahr bei der Linkspartei, sie lebt mit einem neuen Lebensgefährten zusammen und ihr Sohn aus erster Ehe wohnt abwechselnd bei ihr und bei seinem Vater.

„Letztendlich bin ich stolz, gut durchgekommen zu sein, einen guten Job zu haben, bin auch privat glücklich wieder, ich meine eine Scheidung ist dann auch nicht leicht, die da mitten rein fällt. Es hat sich bestätigt für mich, wenn man immer kämpft und jeden Tag aufs Neue weiterlebt, und was für sein Glück tut, dass man es dann auch wieder schafft, das gibt einem auch wieder die Stärke, dass man sich nicht unterkriegen lässt von solchen Geschichten.“

Es bleibt noch ein wenig Zeit, bevor Claudia Kohde-Kilsch den nächsten Termin hat. Wir reden noch ein bisschen über Tennis, vor allem über das Verhältnis von jungen Sportlern zu ihren Eltern.

„Es sind allgemein Sporteltern, in Sportarten, wo es um viel Geld geht, die man sehr, sehr jung beginnt und wo man sehr, sehr jung schon gut ist – man ist ja auch abhängig von den Eltern, dass die für einen da sind, und man vertraut denen ja auch und dass Eltern die Kinder dann auch irgendwann loslassen, das fällt vielen dann auch schwer, weil man ist sehr, sehr eng, man ist sehr fokussiert nur auf das eine, sonst wird man nicht Weltspitze in einer Sportart. Und da ist die Gefahr, dass sich das so entwickeln kann, ist dann immer sehr groß. Es gibt mehrere Fälle, es gibt Sanchez, es gibt Kournikova, bei Sanchez muss es ganz schlimm sein.“

Auch die einstigen Spitzenspielerinnen Arantxa Sanchez und Anna Kournikova haben sich mit ihren Eltern überworfen. Sanchez beschreibt in ihrer Biografie, wie ihre Eltern sie bevormundet und um ihre Preisgelder gebracht haben. Kournikova wurde von ihren Eltern verklagt. Streitpunkt war Kournikovas Haus in Miami, von dessen Wert ihre Eltern zwei Drittel beanspruchten – späte Feindseligkeiten nach einer langen und frühen Abhängigkeit der Spielerinnen von ihren ehrgeizigen Eltern.

„Das ist ein Riesenproblem. Und bei Mädchen noch wesentlich größer, weil sie jünger sind, wenn sie anfangen zu spielen aufgrund der körperlichen Entwicklung. Und wenn sie mit 16, 17 rausgehen, da ist meistens ein Elternteil dabei. Und dass mal so zu händeln, dass man eben trotzdem genügend Persönlichkeit entwickeln kann, und Entscheidungsfreiheit und Eigeninitiative entwickelt und nicht nur das Vorgegebene tut, das ist sehr schwierig, das ist ein Problem.“

Claudia Kohde-Kilsch hat es geschafft. Spät, sehr spät, nach vielen Tränen und Sorgen, aber letztlich erfolgreich und konsequent. Ihr Kampfgeist, der sie schon als aktive Sportlerin ausgezeichnet hat, habe ihr dabei geholfen:

„Ich glaube, das ist ein großer Vorteil von uns Sportlern, dass man mit Niederlagen ganz anders umgeht als andere Menschen, und mit einem enormen unbändigen Kampfeswillen dann durch alles irgendwie durchgeht. Meine Mutter sagte auch immer, ich bewundere dich, dass du das alles so schaffst, ich wäre schon längst in die Saar gesprungen und mir ging es zwischenzeitlich wirklich schlecht. Man muss im Sport ja auch mit Niederlagen umgehen, mit schlechter Presse, wenn man in den Augen der Öffentlichkeit versagt hat, man lernt so vieles, zu kämpfen, hart zu trainieren, Disziplin, nie aufgeben, niemals aufgeben. Das ist im weiteren Leben sehr, sehr nützlich. Da kann einen so leicht nichts aus der Bahn werfen.“

„Ich kannte ja die Familie, ich kannte auch ihre Mutter und ihren Stiefvater gut, insofern war ich auch überrascht als ich hörte, dass diese finanziellen Probleme auftraten und habe zunächst gedacht, das muss ja Claudia Kohde-Kilsch sehr treffen, dass plötzlich ihre ganzen Preisgelder nicht mehr da waren. Und da muss man sich dann ja mit dem Leben auseinandersetzen, was macht man jetzt, nachdem der Vater gestorben war. Und sie hat ja in einer schwierigen Zeit schlicht und einfach die Herausforderung gehabt, ihr Leben zu gestalten und hat das auch mit der Zähigkeit, die sie hat, gemacht. Und insofern glaube ich, dass sie in dieser Zeit auch eine größere Sensibilität für die Politik und für die Frage der sozialen Gerechtigkeit erworben hat.“

Das Leben nach der Tennis-Karriere – für Claudia Kohde-Kilsch eine neue Herausforderung. Viele ehemalige Leistungssportler wissen nach einer erfolgreichen Laufbahn nicht so recht, was sie im sportlichen Ruhestand anfangen sollen, zu intensiv wurde an der Karriere gebastelt, zu wenig wurde an eine Ausbildung und an die Zeit danach gedacht. Ein Problem im Sport, für das mittlerweile Laufbahnberater und Psychologen eingesetzt werden. Claudia Kohde-Kilsch hat sich – zwar spät, aber beharrlich – um ihre berufliche Ausbildung gekümmert. Der Job als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei den Linken ist ein erstes Ziel, das sie erreicht hat.

„Ich bin nicht so jemand, der sich völlig utopische Ziele setzt, ich denke auch, dass man kleinere Ziele immer erreichen kann, wenn man dafür kämpft, wenn man dafür gekämpft hat und sie nicht erreicht hat, weiß man aber, was man dafür getan hat. Dann fühle ich mich trotzdem gut. Ich bin ja auch stolz auf meine Tennis-Karriere, ich war nicht Nummer eins, aber ich war Nummer vier. Ich weiß, dass es nicht besser ging, für mich zu diesem Zeitpunkt, und so denke ich das in meinem weiteren Leben auch. Glück sind viele Dinge, nicht immer nur Karriere und Erfolg, Glück ist, dass man mit sich selbst zufrieden ist.“

Zufrieden wirkt sie – und selbstbewusster als man sie je auf dem Tennisplatz wahrgenommen hat. Einen Schläger nimmt sie heute nur noch selten in die Hand. Mit einem festen Händedruck verabschiedet sie sich, es steht heute noch einiges auf dem Programm. Claudia Kohde-Kilsch hat viele Matches bestritten, Siege gefeiert, Niederlagen weggesteckt. Es scheint aber, als würde sie jetzt gerade erst anfangen, die Partie ihres Lebens zu spielen.
Mit ihrer Doppelpartnerin Steffi Graf (r.) gewinnt Claudia Kohde-Kilsch 1987 in Vancouver den Federation-Cup.
Mit ihrer Doppelpartnerin Steffi Graf (r.) gewinnt Claudia Kohde-Kilsch 1987 in Vancouver den Federation-Cup.© picture-alliance / dpa