Politik auf der Opernbühne

Von Mirjam Eck · 27.09.2007
Karola Obermüller zählt zu den Nachwuchsstars in der Szene der Neuen Musik. Die 30-jährige Komponistin behandelt in ihren Werken politische und soziale Themen. Ihre Kammeroper "Dunkelrot" erzählt die Geschichte einer afrikanischen Rechtsanwältin, die aus ihrer Heimat flieht und in Deutschland Asyl sucht.
"Es ist relativ häufig so, dass ich vom Kleinen ins Große gehe, also dass ich eine kleine Sache improvisiere und die quasi selber analysiere und dann daraus was Größeres baue. Dass es wie ein kleiner Baustein ist und dann irgendwann ein Haus daraus wird."

Ausdrucksstark gestikuliert Karola Obermüller beim Erzählen mit ihren Musiker-Händen. Keine langen Nägel und kein Schmuck, das würde beim Cello- oder Klavierspielen nur stören. Die dunkelblonden, glatten Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden. Die grünen Augen, über denen sich kräftige schwarze Augenbrauen wölben, blicken wach aus dem rundlichen Gesicht. Eine einnehmende Ruhe geht von Karola Obermüller aus. Die 30-jährige Komponistin hat viel Selbstvertrauen und weiß, wie sie ihre Ideen verwirklicht. Auch die musikalischen:

"Wenn ich mich bewege, dann entstehen viele Teile meiner Kompositionen, wenn ich irgendwie im Wald spazieren gehe oder laufe, oder irgendwas mache, was Bewegung und Rhythmus beinhaltet."

In ihrer Kindheit musiziert sie mit ihren vier älteren Schwestern, die ebenfalls Instrumente erlernen, stundenlang im elterlichen Wohnzimmer. So entstehen auf einer alten Geige und einer verstimmten Kindergitarre die ersten Improvisationen. Die Fantasie hat sie vom Vater. Der Fernmelde-Ingenieur liebt den Jazz und improvisiert in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne auf dem Klavier. Mit zwölf Jahren nimmt Karola Obermüller erstmals Kompositionsunterricht, an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt.

"Und da haben wir dann als erstes Projekt eine Oper geschrieben. 50 Kinder! 'Spiegel das Kätzchen' hieß die und ich hab daraus zwei Stellen komponiert. Die eine ging: 'Wenn so etwas nicht Liebe ist, dann die Maus die Katze frisst.'"

Mit 15 Jahren wird erstmals ein Werk von ihr in der Akademie aufgeführt. Es sind Lieder für Ensemble und Mezzosopran. Mit 17 beschließt Karola Obermüller, Komponistin zu werden. Später studiert sie das Fach an verschiedenen Universitäten in Deutschland und Österreich. 2003 erhält sie sogar ein Stipendium für die renommierte Harvard-Universität in Boston.

"Vor allem finanziell war das so viel einfacher, weil ich mir in Salzburg Geld so ein bisschen zusammen verdienen musste, mit Klavierunterricht geben und einen Männerchor in Etzelsdorf bei Nürnberg leiten und so weiter."

Harvard ist eine sehr produktive Zeit für die vielseitige Komponistin. Dort entstehen Orchesterwerke, kammermusikalische Stücke in ausgefallenen Besetzungen und Sprachkompositionen. An der Universität lernt sie auch den Amerikaner Peter kennen, der ebenfalls Komposition studiert.

"Damals hatte ich ein sehr wildes Leben. Verschiedene Liebhaber und Liebhaberinnen, alles so durcheinander. Und Peter war so einer von denen und bei ihm war das ähnlich. Wie das so ist als junge Komponistin und junger Komponist, irgendwie leben viele so ein Lotterleben."

Schließlich verlieben die Beiden sich doch ineinander. Seit Februar sind Karola und der 31-jährige Peter verheiratet und seit Mai stolze Eltern von Samuel. Die meiste Zeit verbringt die kleine Familie in Boston. Peter wünscht sich jedoch eine Großfamilie. Am besten sofort.

"Er ist auch nach wie vor der Meinung, nachdem wir mit Samuel schon die ersten drei Monate verbracht haben. Ja, und ich will auch kein Einzelkind, aber – wir werden sehen, wann wir dann da weitermachen."

Denn das Komponieren beansprucht viel Zeit. An der Kammeroper "Dunkelrot" arbeitete Karola Obermüller – mit Unterbrechung – vier Jahre.

"Dunkelrot" erzählt die Geschichte der afrikanischen Rechtsanwältin Mahjouba, die vor der Folter in ihrer Heimat flieht und in Deutschland Asyl sucht. "Dunkelrot" selbst ist weder Bühnenfigur noch Bühnenbild. Es ist ein Klang, der von verschiedenen Sängern gesungen wird, und zwar dann, wenn Mahjouba etwas widerfährt, das eigentlich alle Menschen angeht.

"Es ist mehr die Farbe Dunkelrot. Und die Farbe steht ja für viele Dinge; so taucht Dunkelrot meistens dann auf, wenn von etwas die Rede ist oder etwas passiert, das mit Dunkelrot zu tun hat, also mit Blut, oder mit Liebe, oder mit Folter."

Das Bühnenbild wandelt und färbt sich entlang des oft sehr poetischen Textes. Neben den 15 Musikern setzt Karola Obermüller auf elektronische Klänge, die das Kammer-Ensemble unterstützen. Sie hat schon viele Uraufführungen erlebt, einige sogar selbst dirigiert. Das Lampenfieber bleibt zwar …

"... aber es ist natürlich auch das, was das Reizvolle an diesem Beruf ist. Also das Komponieren an sich ist ja schön, aber das wirklich Spannende ist dann die Umsetzung mit den Musikerinnen und Musikern."

Oft behandelt Karola Obermüller politische und soziale Themen in ihren Werken. Sie sieht es als Möglichkeit, persönlich Stellung zu beziehen und die Menschen durch ihre Musik zum Nachdenken zu bringen.

"Es ist eine Gratwanderung, das weiß ich auch, weil mit der Kunst Politik zu machen ist immer so ein bisschen schwierig. Aber ich finde es nach wie vor so wichtig, dass ich das nach wie vor wagen möchte. Wichtig ist mir wirklich die – ja, ich finde kein anderes Wort als emotionale Berührtheit."

Nach Deutschland kommt Karola Obermüller etwa alle zwei Monate, denn sie ist Stipendiatin des Programms "Musiktheater Heute", das von der Deutschen Bank gefördert wird. Hier tauscht sie sich mit anderen jungen Musikern über neue Opern aus. Meist wohnt sie während ihres Aufenthalts bei den Eltern in Darmstadt-Eberstadt.

"Es ist nicht die Mitte der Republik, aber fast."

Entspannt sitzt Karola Obermüller am dunklen Holztisch im elterlichen Wohnzimmer. Als hätte sie unendlich viel Zeit. Ab und an bringt sie diese Gelassenheit im Beruf in die Bredouille.

"Das ist immer so ein bisschen schwierig, die Kreativität so zu bündeln, dass sie zum Termin ein Stück produziert hat so zu sagen, das fällt mir nach wie vor sehr schwer."