Politik als schmutziges Geschäft

Von Dina Netz |
Die Aufführung nach der Vorlage des antiken Dramas "Iphigenie" kommt ohne Videos, Nackte und mit nur einem Liedchen aus. Regisseurin Karin Henkel setzt vollständig auf den Text und die Schauspieler. Zugespitzt formuliert, hat sie ihnen eine abendfüllende szenische Lesung aufgegeben.
Ein mit weißem Tuch bespanntes Haus wird von einem Windstoß auf die Bühne geblasen, es irrt ein bisschen von links nach rechts, die riesige graue Bühnenrückwand schwingt zu, der Wind ebbt ab. Bühnenbildnerin Kathrin Frosch hat ein schönes Bild gefunden für das noch unbefleckte, unschuldige Haus der Griechen, das feststeckt: Die griechische Flotte kann nicht gen Troja auslaufen, weil der Wind stillsteht.

Agamemnon muss seine Lieblingstochter Iphigenie opfern, wenn wieder Wind aufkommen soll, hat der Seher Kalchas prophezeit. Agamemnon folgt ihm, gegen den Widerstand seiner Frau Klytämnestra. So die ganz kurze Fassung von Euripides’ "Iphigenie in Aulis", für die Karin Henkel in Köln immerhin zwei Stunden braucht.

Mit dem zweiten Teil "Iphigenie bei den Taurern" wird sie um so schneller fertig, dafür braucht es nur eine Viertelstunde: Iphigenies Opfer war umsonst, denn ihre Familie ist inzwischen tot oder verbannt, Iphigenie lebt in Tauris, und die Geschwister Orest und Iphigenie finden sich wieder.

Die Behauptung, Karin Henkel habe beide "Iphigenie"-Dramen des Euripides auf die Kölner Bühne gebracht, wie es das Programmheft behauptet, ist also ein kleiner Etikettenschwindel: Durch die "Iphigenie bei den Taurern" ist sie lediglich durchgerast, um die Aussageabsicht ihrer Inszenierung zu untermauern: Politik ist ein schmutziges Geschäft, Krieg führt nie zu Gutem und Kinder opfert man nicht für egal welche Ziele. "Mein Recht zu fühlen, gab ich auf", seufzt der Agamemnon von Felix Goeser. Die Götter spielen in diesem Text nur noch die Rolle der Strippenzieher, Artemis fordert erst Iphigenies Opfer und rettet sie dann. Doch die Konsequenzen des göttlichen Handelns müssen die Menschen ausbaden, und sie machen das nicht besonders gut, sondern intrigieren, lügen, betrügen und missbrauchen.

Euripides selten gespielte "Iphigenie in Aulis" ist ein zutiefst skeptischer Text, und es ist Karin Henkels Verdienst, dieser desillusionierten Menschen- und Weltsicht, die wohl auch heute viele teilen dürften, Raum zu bieten. Im Vergleich dazu ist Goethes "Iphigenie" geradezu sentimentalischer Kitsch.

Bemerkenswert ist, dass diese Aufführung komplett ohne Videos, Nackte und mit nur einem Liedchen auskommt: Karin Henkel setzt vollständig auf den Text und ihre Schauspieler. Wobei der Text von Soeren Voima nur ganz gelegentlich geschliffen wurde und im Wesentlichen dem Original entspricht: Rückschauen, Botenberichte, Briefe, Monologe – etwas spröde, wenig dramatische Texte. Das alles ist eine große Herausforderung für die Schauspieler, die sie entschieden annehmen, der sie aber letztlich gar nicht gewachsen sein können.

Nicht ganz fair pointiert, hat ihnen Karin Henkel 2,5 Stunden szenische Lesung aufgegeben, unter durch einen großen Bühnenkubus bedingten schwierigen akustischen Bedingungen. Als am Schluss Agamemnon sein Haus in Brand setzt, ist das zwar ein etwas unnötiges Sinnbild. Doch man ist froh, dass endlich mal etwas passiert.