Polit-Theater

Zwischen Satire und möglicher Realität

Ein Plakat mit der Aufschrift "Raja muss sterben!" am Theater Dortmund (Nordrhein-Westfalen). Mit einer angeblichen Tiertötung im Dortmunder Zoo will die Berliner Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) den Blick der Öffentlichkeit auf das anhaltende Leid in Syrien lenken.
Soll auf das Leid der Menschen in Syrien aufmerksam machen: Ein Plakat mit der Aufschrift "Raja muss sterben!" am Theater Dortmund. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Stefan Keim · 19.09.2015
In ihrem Theaterstück "2099" schicken die Aktionskünstler des Zentrums für Politische Schönheit die Zuschauer auf eine Zeitreise. Nach der Uraufführung soll ein Jaguarbaby getötet werden. Wirklich? Oder ist das nur eine PR-Aktion?
"Aufstehen! Jetzt bleiben bitte mal die stehen, deren Kinder Traumberuf UN-Generalsekretär haben. – Stopp, das müssen wir klären."
Schauspieler und Techniker basteln noch an einer Menge Kleinigkeiten vor der Uraufführung des Stücks "2099". Philipp Ruch, der Kopf des Zentrums für politische Schönheit, ist kein erfahrener Theaterregisseur. Also helfen alle, damit die Wand auf der weißen Bühne im richtigen Moment zurückfährt und die Requisiten dort sind, wo sie gebraucht werden. Vier Männer stehen auf der Bühne. Sie fragen die Zuschauer nach den Zukunftsplänen für ihre Kinder und erzählen, was im 21. Jahrhundert passieren wird. Denn für die vier ist unsere Zukunft bereits Vergangenheit.
"Es ist so, dass diese Menschen, die vom Ende des 21. Jahrhunderts kommen, auf eine Theaterbühne einbrechen und vor etwas warnen. Die Geschichte entspannt sich eher in dieser Konfrontation, in diesem konfrontativen Akt, dass im Zuschauerraum Menschen vom Anfang des 21. Jahrhunderts sitzen. Und vor ihnen stehen Menschen vom Ende des Jahrhunderts."
Die Inszenierung beschränkt sich nicht auf das Dortmunder Schauspiel. Philipp Ruch und die Schauspieler haben sich auch in die Wirklichkeit begeben. Das ist typisch für die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit. In ihren Rollen haben die Schauspieler ohne Ankündigung Dortmunder Neonazis besucht.
"Wir haben Jagd gemacht auf den Drahtzieher der Ermordung von Til Schweiger 2016. Und sind da nach Dortmund-Dorstfeld gefahren, es gibt da eine Nazi-WG, also ein ganzes Haus, haben die da aufgesucht, schwer bewaffnet. Unsere Protagonisten kommen aus der Zukunft, und die haben mit Kalaschnikow und G36 im Anschlag die Nationalsozialisten da besucht."
Die vier Helden sind Humanisten und Philosophen
Und trafen auf verunsicherte, junge Männer. Die Ermordung von Til Schweiger im nächsten Jahr muss verhindert werden. Denn sonst wird eine seiner Töchter Bundeskanzlerin, was fatale Folgen haben wird. Das ist einer der Handlungsstränge dieser Zeitreisegeschichte, die sich auf der Schwelle zwischen Satire und möglicher Realität bewegt. Die vier Helden sind Humanisten und Philosophen. Sie wollen den Gang der Geschichte verändern und sie verbessern. Dafür greifen sie zu ungewöhnlichen Mitteln. Nach der Uraufführung heute Abend – so hat Philipp Ruch es angekündigt – werden Schauspieler, Publikum und Sympathisanten zum Dortmunder Zoo ziehen, um ein Jaguarbaby zu töten.
"Raja muss erschossen werden, damit die Botschaft, die diese vier Protagonisten vom Ende des 21. Jahrhunderts an uns haben und tragen, auch wirklich ankommt."
Heftige Reaktionen besorgter Bürger
Dieser Plan hat heftige Reaktionen der Dortmunder Bevölkerung ausgelöst. Das Zentrum für politische Schönheit lässt seinen Ankündigungen bisher immer Taten folgen. Menschen wollen das Jaguarbaby adoptieren und mit ihrem Leben verteidigen, in Mails und Zuschriften werden die Theatermacher wüst beschimpft.
"Das ist tatsächlich ein Zustand, wie wir ihn selten hatten oder noch nie. Und ihn uns unbedingt wünschen würden: Dass dieselbe Empörung es mal gäbe für die Menschen, die in Syrien sterben und wirklich auch vernichtet werden."
Nie wieder Auschwitz!
Philipp Ruch verwendet krasse Methoden, um seinen Botschaften Gehör zu verschaffen. Bei aller Überspitzung steckt ein tiefer Ernst in ihm, die Aktionskunst und nun das Theater sind seine Methoden, Widerstand zu leisten.
"Was mich am meisten auch nachts umtreibt und nicht schlafen lässt, das sind Dinge, die ich mir mal geschworen habe, zum Beispiel: Nie wieder Auschwitz! Dann schau ich mir die Bilder an, die da in HD-Qualität aus Aleppo kommen. Und das ist was, das mich so umtreibt, dass man versucht, daraus dann Kunst zu erschaffen."
Werden die Schauspieler wirklich ein Jaguarbaby töten? Man kann es sich nicht vorstellen. Aber haben wir es für möglich gehalten, dass das Zentrum tote Flüchtlinge exhumiert und nach Berlin bringt? Vielleicht wird die Dortmunder Polizei heute Abend den Dortmunder Zoo abriegeln. Aber Philipp Ruch will nicht zurückweichen.
"Ja, klar, wir sind ja bewaffnet."

Mehr Informationen, und Aufführungstermine unterwww.theaterdo.de
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