Polit-Krimi aus dem Ruhrgebiet

Rezensiert von Lutz Bunk |
Der Roman spielt an sieben Tagen im Jahr 1980 in Essen im Ruhrgebiet. Die Königin von England ist gerade auf einem Staatsbesuch in der Stadt und soll entführt werden. Lodemanns Buch ist ein wütender politischer Rundumschlag, global, europäisch und vor allem besonders, was die deutsche Geschichte und deren Verdrängung betrifft. Dennoch auch eine Art Krimi, schließlich soll die Queen entführt werden.
Jürgen Lodemann, am 28. März feierte er seinen 70. Geburtstag. Einen "Schreibtischwüstling", so nannte ihn das Magazin "Der Stern". 21 Bücher hat er geschrieben, 26 Dokumentarfilme gedreht. 30 Jahre war er Redakteur und Moderator beim SWR, schon lange vor Reich-Ranicki und Heidenreich moderierte er ab 1965 eigene Literatur-Talk-Shows, das "Literaturmagazin" und "Café Größenwahn", 1983/84 war er Vizepräsident des Deutschen PEN, des Deutschen Schriftstellerverbandes.

Vier Literaturpreise hat Lodemann für seine Romane bekommen. Unter die ganz großen Schriftsteller Deutschlands schrieb er sich 2002 mit seiner Neufassung der Nibelungen-Saga "Siegfried und Krimhild".

Nun ist Lodemanns neuer Roman erschienen, "Nora und die Gewalt- und Liebessachen", der Abschluss von Lodemanns Ruhrgebiets-Trilogie ("Anita Drögemüller", "Essen Viehofer Platz").

Der Roman spielt an sieben Tagen im Jahr 1980 in Essen im Ruhrgebiet. Die Königin von England ist gerade auf einem Staatsbesuch in der Stadt und soll entführt werden. Jedenfalls finden sich fünf recht unterschiedliche Menschen zusammen, die diesen Plan aushecken: Ein 80-jähriger pazifistischer Jude, dann zwei junge Männer, ein nordirischer Separatist und ein schwäbischer Terrorist, wie es scheint ein Überbleibsel der RAF, dann jene Frau namens Nora, eine deutsche Studentin der Philosophie, und last not least: der Hauptprotagonist des Romans Rudolf Langensiepen, 40 Jahre alt, Frührentner, Ex-Kommissar der Mordkommission, Ex-Alkoholiker - und Welt-Verbesserer. Diese Fünf planen nun, die Queen zu entführen, um die Weltaufmerksamkeit auf Ausbeutung und Unterdrückung weltweit zu lenken.

Der Roman ist ein wütender politischer Rundumschlag, global, europäisch und vor allem besonders, was die deutsche Geschichte und deren Verdrängung betrifft.

Da beginnt Lodemann noch harmlos mit der demokratischen Revolution von 1848. Besonders bissig aber wird Lodemann beim Thema Bundesrepublik, die zu 99 Prozent jene alten Nazi-Beamten, -Diplomaten, -Ärzte, -Apotheker, -Lehrer und so weiter übernahm, aber bis heute nicht darüber sprechen will.

Lodemann bekennt sich explizit zum Pazifismus, fordert den Leser auf, all jene zu boykottieren, die behaupten, mit Gewalt und Krieg die Welt verbessern zu können. Und er verurteilt damit grundsätzlich auch alle Weltreligionen als "Verdummungsmaschinerien".

Neben aller Agitation bleibt der Roman eine Art Krimi, schließlich soll die Queen entführt werden - da wird Spannung geschürt, man will wissen, wie es weitergeht.

Lodemanns Sprache selbst ist wie ein Spagat zwischen Comic und antikem Theater. Das ist schnurrig, skurril, manchmal umgangssprachlich Ruhrpott: "Womma domma gucken", oft sehr komisch, dann wieder pathetisch-poetisch im Stil von Heinrich Heine und auch manchmal erstaunlich erotisch.

Auf einen Nenner gebracht: Lodemann verfügt souverän und spielerisch über alle Möglichkeiten und Facetten der deutschen Sprache, und er prägt ihr bewusst seinen Stil auf. Er verändert einfach Grammatik, er schöpft neue Begrifflichkeiten wie "die Verdüsseldorfung" der Bundesrepublik. Seine Sprache, obwohl genuin, erinnert stark an die von Günter Grass: Lodemann ist einer der ganz großen deutschen Autoren.


Jürgen Lodemann: Nora und die Gewalt- und Liebessachen
assoverlag, Oberhausen 2006, 286 Seiten