Polenz: Russland kaschiert seine Aufrüstung

Moderation: Birgit Kolkmann |
Im Streit über den Aufbau einer Raketenabwehr in Osteuropa hat der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz das Vorgehen Russlands kritisiert. Russland versuche die eigenen Aufrüstungsanstrengungen zu legitimieren, sagte Polenz.
Birgit Kolkmann: Gestern Abend traf US-Präsident Bush in Tschechien ein, wo er mit der Prager Regierung über die Stationierung des Raketenabwehrschirms sprechen will, den die Bevölkerung dort ja mehrheitlich ablehnt. Und während der mächtigste Mann der Welt auf dem Weg zu den NATO-Verbündeten in Prag und Warschau ist, rüstet Russlands Präsident verbal immer mehr auf und spricht von einem neuen Wettrüsten in Europa. Wenn tatsächlich US-Nuklearpotenziale in Europa stationiert werden sollten, dann müsste Russland neue Ziele in Europa ins Visier nehmen. Diese verschärften Drohungen aus Moskau bereiten nun auch Angela Merkel als Gastgeberin des G8-Gipfels Sorgen, könnte es doch sein, dass Putin in Heiligendamm die offene Konfrontation mit Bush sucht. – Wir sind jetzt mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag verbunden, dem CDU-Mann Ruprecht Polenz. Schönen guten Morgen.

Ruprecht Polenz: Schönen guten Morgen Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Polenz, muss Putin nun einmal deutlich in seine Schranken verwiesen werden?

Polenz: Es ist ja so, dass Russland den Eindruck erweckt, als sei die Diskussion um die amerikanische Raketenabwehr die Ursache dafür, dass man selbst in der letzten Woche neue Raketen getestet habe, Kurzstreckenraketen und Interkontinentalraketen. Jeder, der sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt, weiß, dass das gar nicht der Fall sein kann, denn um solche Tests durchzuführen, muss man ziemlich lange Vorbereitungen vorher gehabt haben, während das amerikanische System, um das jetzt hier diskutiert wird, frühestens 2009 in Bau gehen kann, 2011 fertig ist und vor 2013 überhaupt nicht einsatzfähig ist. Also Russland versucht hier, die eigenen Aufrüstungsanstrengung in einen Zusammenhang zu stellen, der so nicht gegeben ist. Das ist der erste Punkt und der zweite ist die Rhetorik, die der russische Staatspräsident in jüngster Zeit anwendet, die einschüchtern soll, und jetzt geht es darum, dem mit Festigkeit und Klarheit zu begegnen, das Angebot der Zusammenarbeit zu erneuern, was die Amerikaner gemacht haben, aber jedenfalls sich dadurch nicht beeindrucken zu lassen, dass jetzt Säbelrasseln aus Moskau kommt.

Kolkmann: Wie bewerten Sie denn diese verbale Kraftmeierei? Ist das ein tatsächlicher Weltmachtanspruch, oder hat dieses auch die Komponente, innenpolitisch zu wirken?

Polenz: Beides sicherlich. Man darf nicht vergessen: Russland steht vor Wahlen. Wir haben die Schirinowskis und Sjuganows, die sehr stark auf eine nationalistische Karte im Wahlkampf setzen, und Putin möchte hier mit seinen Kräften nicht zurückstehen. Aber es wirft natürlich auch ein bedenkliches Licht auf die innere Verfassung der russischen Gesellschaft, wenn man glaubt, mit diesen Tönen Wähler beeindrucken zu müssen, also mit Tönen, die sehr stark gegen einen angeblich möglichen äußeren Feind gerichtet sind.
Zum zweiten ist es natürlich auch so, dass Russland sieht, dass eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Raketenabwehr im Westen stattfindet. Das ist auch notwendig, dass man darüber spricht. Und diese Diskussion will man beeinflussen.

Kolkmann: Nun fragt man sich natürlich auch, ob es überhaupt geht, Putin in seine Schranken zu verweisen. Angenommen er legt es darauf an, jetzt beim G8-Gipfeltreffen in Heiligendamm die offene Konfrontation mit George Bush zu suchen, was kann Angela Merkel dann dagegen tun?

Polenz: Ich denke nicht, dass er das tun wird, aber es wird ein bilaterales Gespräch zwischen den USA und Putin in Heiligendamm geben und dann gibt es ja noch die Reise von Putin nach Washington. Die ist jedenfalls angekündigt und da werden sich beide noch einmal über diese Fragen austauschen. Es gibt das Angebot der Amerikaner, mit den Russen sehr eng zusammenzuarbeiten, und es gibt ja auch die Aussage des russischen Außenministers Lawrow, der sagt, warum entwickelt die NATO nicht gemeinsam mit Russland ein solches System, übrigens ein Angebot, was auf dem Tisch liegt. Es wird hier also auf mehreren Ebenen mit sehr unterschiedlichen Äußerungen gearbeitet. Das ist nicht ganz einfach auseinander zu halten. Die beste Vorgehensweise des Westens, der NATO ist sicherlich auf der einen Seite Transparenz, Offenheit, damit deutlich wird, das System richtet sich nun wirklich überhaupt nicht gegen Russland, und zweitens die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, aber drittens eben auch die Klarheit, dass man sich bei der eigenen Bedrohungsanalyse – und die geht nun mal dahin, dass im Jahre 2012, 2013, 2014 bestimmte Länder, die jetzt schon über Raketen immer längerer Reichweite verfügen, diese Rüstung fortgesetzt haben könnten und dann tatsächlich Europa beispielsweise auch erreichen können – einig ist. Wenn man sich gegen diese Bedrohung schützen will und vielleicht auch schützen muss, dann darf man sich von Russland davon nicht abhalten lassen.

Kolkmann: Nun hat ja der Iran – und gegen die möglichen künftigen Atomraketen des Iran, wenn es sie denn geben wird, richtet sich ja vor allen Dingen dieser Raketenabwehrschirm – gestern schon gesagt, das sei doch Quatsch, die Raketen könnten ja überhaupt keine Ziele hier in Europa erreichen, wohl aber jedes in Israel. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Ebenfalls verbale Kraftmeierei?

Polenz: Ja. Auch diese Äußerung ist wieder auf die Unwissenheit vieler Zuhörer, Zuseher und Konsumenten dieser Nachrichten abzielend, denn natürlich: niemand behauptet, dass der Iran das gegenwärtig kann, aber gegenwärtig gibt es das Raketenabwehrsystem auch nicht. Es geht darum, auf der Zeitschiene bis zum Jahre 2013, denn frühestens dann wäre ein solches System einsetzbar, Entwicklungen zu beobachten. Bis dahin wie gesagt, wenn die Kooperation auch von Iran mit Nord-Korea weitergeht, ist es durchaus denkbar, dass Iran über Raketen dieser Reichweite verfügt. Und was Israel anbetrifft: das ist schon heute der Fall. Iran kann mit seinen Raketen Israel bedrohen. Das ist ja gerade auch einer der Spannungsfaktoren im Nahen Osten, die allen Sorgen machen müssen, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Rhetorik von Ahmadinedschad, der ja mehrfach gesagt hat, man müsse Israel von der Landkarte tilgen.

Kolkmann: Vielen Dank! – Das war Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und CDU-Politiker, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich bedanke mich dafür.