Polens Kunstdenkmäler

Rezensiert von Nikolaus Bernau |
Eine politische Sensation ist zu bewundern – ein mehr als 1000-seitiger Band, der von deutschen und polnischen Kunsthistorikern erarbeitet wurde und in beiden Ländern gleichzeitig erscheint. Im Mittelpunkt des ersten Bandes des "Dehio"-Handbuches der polnischen Kunstdenkmäler steht die Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens.
Vor einhundert Jahren erschien das erste "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler", kurz "der Dehio" genannt. Gestern Abend wurde im Berliner Rathaus – dem nach seiner Außenfarbe und nicht nach der derzeitigen politischen Belegung so genannten Roten Rathaus – der jüngste und neueste Band des Dehio vorgestellt. Nikolaus Bernau hat das 1340 Seiten dicke Buch für uns bereits gelesen

Vorgestellt wurde ja eben nicht ein Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, sondern der erste Band des "Dehio"-Handbuches der polnischen Kunstdenkmäler. Und damit ist eine politische Sensation zu bewundern – angesichts der Masse von Material kann man nur in bewundern sprechen, denn dieser Band wurde von deutschen und polnischen Kunsthistorikern bearbeitet. Und er erscheint gleichzeitig in Polen und in Deutschland und da finde ich es durchaus angemessen, wenn das Berliner Rathaus als Ort der Vorstellung dient. Eigentlich hätte man sich hier auch den neuen Kulturstaatsminister vorstellen können.

Das sind 1340 Dünndruckseiten ohne Foto, enger Schrift und einer Unzahl von Abkürzungen. Aber gute Lesbarkeit ist auch gar nicht die Aufgabe dieses Handbuches. Das hier ist ein Lexikon. Es geht um eine nüchterne Zusammenstellung von Fakten zur Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens. Und da muss man schon sagen, hier ist uns in Westeuropa durch vier Jahrzehnte Kalten Krieg eine ganze Kunstlandschaft aus den Augen geraten.

Wer weiß schon, dass man in Breslau die gesamte Geschichte des Konsumverhaltens bis heute studieren kann. Kaufmannshäuser, spezialisierte Geschäftshäuser, Warenhäuser, Kaufhäuser – das ganze Set ist vorhanden bis hin zum eleganten Konfektionsgeschäft von Erich Mendelsohn aus den zwanziger Jahren oder dem gewaltigen Messegelände mit der Jahrhunderthalle von Max Berg von 1913.

… oder die Barockschlösser und –Abteien Oberschlesiens, die zur habsburgischen Zeit entstanden sind, und die ohne weiteres mit denen in Österreich und Bayern konkurrieren können. Die feudalen großen Villen und Landschlösser, die sich preußische Kohlebarone gebaut haben. Die hinreißenden mittelalterlichen Kirchen und Kathedralen von Breslau, Liegnitz, aber eben auch das Konzentrationslager Groß-Rosen.

Gewiss gibt es Lücken, auch wenn selbst die in den 1840er Jahren ins Riesengebirge transferierte norwegische Stabkirche aus Wang erwähnt ist. Aber wirklich auffällig ist eigentlich nur der vergleichsweise geringe Anteil derjenigen Kunstproduktion, die seit 1945 entstanden ist. Selbst wenn das kulturpolitisch überkorrekt gewesen wäre: Hier hätte ich doch dafür plädiert, mehr moderne Architektur und Skulptur aufzunehmen, selbst zweit- und drittklassige Werke.

Der Maßstab rüttelt sich dann schon zurecht. Aber es wird so im "Dehio" kaum deutlich, dass Schlesien auch eine Nachkriegsgeschichte hat. Das hat schon seine Ironie. Schließlich war Polen über Jahrzehnte damit beschäftigt, erst einmal die Kriegsschäden zu beseitigen und so quasi die Erinnerung an das deutsche Schlesien ironischer Weise immer mehr erstarken zu lassen.

Andererseits: Das Problem mit der modernen Architektur ist ein chronisches der "Dehio"-Handbücher. Sie sind wie die meisten Lexika strukturkonservativ und warten lieber ab, bis klar ist, was wichtig war und was nicht. Angesichts des schnellen Umschlags von Bauwerken in der Moderne ist damit die Gefahr allerdings groß, dass so manches Werk bereits abgerissen ist, wenn man seinen Wert endlich erkennt.

Um allen Konflikten aus dem Weg zu gehen, hat man die Grenzen der preußischen Provinz Schlesien zum Maßstab genommen, wie sie bis 1919 existierte. Dazu sind kleine angrenzende Gebiete gekommen, die bis 1919 österreichisch oder bis 1945 sächsisch waren. Eine Konkordanz verbindet die in Deutschland oft vertrauten Ortsbezeichnungen aus der Zeit vor 1945 mit den heutigen Namen im Text und auf den Landkarten.

Schlesien ist über 800 Jahre von deutschsprachigen Menschen kulturell geprägt worden und bis heute gibt es eine große deutschsprachige Minderheit sowie die vielen, die im heutigen Deutschland leben und sich an Schlesien gebunden fühlen. Das ist einmal, ganz schnöde gesagt, ein großer Markt. Aber was wir nicht vergessen dürfen - bis ins 18. Jahrhundert hinein war die Frage der Nationalität viel weniger wichtig als etwa die der Religion.

Und so sind etwa die wenigen protestantischen Kirchen im Land oder die Synagogen ein wichtiges Dokument einer Region, die 1744 von Preußen erobert wurde und danach weitgehende kulturelle Autonomie erhielt.

Der andere Grund, warum das Buch in deutscher Sprache erscheint, ist ein wissenschaftspolitischer. Deutsch wird einfach von drei Mal mehr Menschen gesprochen als Polnisch. Und gerade die polnischen Kunsthistoriker, die sich mit der Geschichte dieser Region beschäftigen, wissen, wie wichtig der Austausch ist, wie wichtig die Information über den Nachbarn und des Nachbarn sind.

Und sie wissen, dass Polen nur dann wieder voll als Teil der westlichen Welt akzeptiert wird, wenn es auch seine kulturellen Schätze bekannt macht. Versuchen Sie einmal einen durchschnittlichen deutschen Kunsthistoriker – und die sind wahrscheinlich noch am offensten – davon zu überzeugen, die Exkursion mit den Studenten nicht nach Paris oder Rom, sondern nach Krakau und Warschau zu machen. Es gibt immer noch breite Bände, die die moderne Architektur ohne den Beitrag Polens darstellen.

Der "Dehio" ist auch ein Mittel gegen diese Sehschwäche des westlichen Europa