Polen

Angst um den Acker

Landidylle in Westpommern, Polen.
Der Unmut auf dem Land ist groß - die Pacht- und Verkaufspreise von Ackerland sind in Polen explodiert. © Deutschlandradio / Ernst-Ludwig von Aster
Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster  · 30.05.2016
Erst seit Anfang Mai dürfen Ausländer in Polen Ackerland kaufen, davor war das nur mit Sondergenehmigung möglich. Die Folgen dieser Regelung sind seit Jahren spürbar - und der Unmut ist groß.
Edward Kosmal stapft über seinen Hof. Ein bulliger 60-Jähriger mit Schnäuzer, der grau-gestreifte Arbeitspulli spannt stramm über dem Bauch, die Jeans ist dreckverschmiert. 200 Hektar bewirtschaftet der Landwirt unweit von Stettin, er baut Kartoffeln an. Und Mais. Den liefert er an die Biogasanlage im brandenburgischen Penkun, gleich hinter der Grenze. Ein gutes Geschäft für den Landwirt Kosmal. Trotzdem blickt er missmutig. Edward Kosmal ist Vorsitzender des "Protestkomitees der Bauern".
Manchmal fahre man 20 Kilometer und passiere nur Ackerland, das ausländischen Unternehmen gehöre, brummt Edward Kosmal. Schon 500 Meter hinter seinem Hof gehe es los.
"180 Hektar hat die Firma. Und drei Kilometer weiter die Straße hinunter gibt es eine weitere, die mehrere Tochterfirmen hat. Dort gibt es diesen Strohmann, der Land aufkauft für deutsches Geld. Er kauft es von Privatleuten oder von der Agentur, von jedem und er zahlt mehr, als das Land wert ist."

Polnische Kleinbauern als Strohmänner für ausländische Investoren

Eigentlich ist der Landkauf in Polen streng geregelt. Die Agrar-Agentur, die im Auftrag der Regierung ehemaligen Staatsbesitz veräußert, arbeitet nach einem ausgeklügelten Katalog. Vor allem kleine, polnische Bauern aus der jeweiligen Region sollen bevorzugt werden. Theoretisch. Doch praktisch, kritisiert Kosmal, frage die Agentur nie, woher die kleinen Bauern plötzlich das Geld hätten.
"Denn diese Strohmänner erfüllen auch diese Bedingungen, weil in Polen jeder, der nur einen Hektar Land besitzt und in die Sozialversicherungsanstalt für Landwirte einzahlt, als Bauer gilt. Und der kann bis zu 300 Hektar Land kaufen. Unternehmen können bis zu 500 Hektar kaufen. Und die Pacht ist quasi ohne Beschränkungen."
Edward Kosmal schüttelt den massigen Schädel, ruft etwas in Richtung seiner Frau und bittet die Besucher ins Haus. In der frisch renovierten Wohnküche fischt Edward Kosmal ein paar Hausschuhe aus einer Holzkiste. Dann zieht der 60-Jährige drei Zeitschriften aus einem Stapel hervor und bittet an den großen Esstisch. Kosmal blättert in einer Zeitschrift: "Unser Boden" heißt die. Das Organ der Protestbewegung. Darin Fotos von Kundgebungen und Protesten, weißroten Fahnen und Solidarnosc-Bannern.
Kosmal schlägt die Juni-Ausgabe aus dem letzten Jahr auf, deutet auf ein Foto. Im Wahlkampf belagerte das Protestkommittee den Regierungssitz in Warschau. 129 Tage kampierten die Landwirte im Regierungsviertel. Unterstützt von der nationalkonservativen PIS-Partei. "Kein Ausverkauf heimischen Bodens" – das war der Protestslogan. Denn zum 1. Mai 2016 endete die 12-jährige Übergangsfrist, in der Ausländer nur mit Sondergenehmigung Ackerland kaufen durften.
"In Prsyszice haben wir ein Unternehmen, das hat 50 Tochtergesellschaften. Und sie alle betreiben Landwirtschaft hier in der Region. Da unser Gesetz voller Lücken ist, können sich die ausländischen Investoren durchsetzen. Hier in der Wojwodschaft Westpommern sind jetzt 200.000 Hektar offiziell an Unternehmen mit fremdem Kapital verkauft worden. Dazu kommt noch die Pacht, ich schätze ungefähr die Hälfte des Landes hier ist in fremden Händen."

50.000 Hektar Landwirtschaftsfläche im ausländischen Besitz

Lange Zeit hat die Debatte rund um den Landverkauf die strukturellen Probleme der polnischen Landwirtschaft überlagert. Der Handel mit Russland ist seit dem Embargo zusammengebrochen, die Schweinepreise sind im Keller, der Milchpreis seit Abschaffung der EU-Quote kaum noch kostendeckend.
"Obwohl ich auf meinen 200 Hektar gute Erträge erziele und moderne Technik einsetze: Je mehr ich produziere, desto weniger habe ich über. Das ist das Problem. Obwohl ich drei moderne Traktoren habe, Erntemaschinen, eine ganze Kartoffelernte-Linie, ich bewirtschafte 100 Hektar Kartoffeln, in die Produktionslinie habe ich fast eine Million Euro investiert. Ich habe wirklich Angst vor der Zukunft, denn Jahr für Jahr mache ich kein Plus."
Das Amt für landwirtschaftliche Eigentumsfragen, kurz ANR, verwaltet bis heute die Hinterlassenschaften des polnischen Sozialismus. Seit 20 Jahren versucht die Behörde das ehemalige Staatseigentum zu privatisieren. Dazu gehörten auch rund 4,5 Millionen Hektar Land. Mehr als die Hälfte ist mittlerweile verkauft. In den letzten zehn Jahren überwies die Agentur rund 14 Milliarden Zloty – das entspricht 3,3 Millliarden Euro - an die Staatskasse.
Nach der offiziellen Statistik sind heute ungefähr 50.000 Hektar Landwirtschaftsfläche in ausländischem Besitz. Einige Landwirte aus dem Westen haben aber schon vor Jahren Land von der Agraragentur gepachtet. So wie Albert Miller. Er kam vor 15 Jahren nach Polen. Und ackert seitdem in Pommern. Gut hundert Kilometer westlich von Danzig.

1.000 Tonnen Erbsen auf 800 Hektar

Albert Miller setzt seinen Traktor zurück, packt mit der Forke vier große Säcke, jeder 500 Kilogramm schwer und rangiert damit zum Anhänger. Obenauf wartet sein polnischer Mitarbeiter, ein Messer in der Hand. Vier schnelle Schnitte, und zwei Tonnen Kalk rauschen in den Anhänger. Albert setzt zurück, holt die nächsten Säcke. Maja Kosciewicz steht einige Meter entfernt, unter dem Scheunendach, beobachtet lächelnd den 65-Jährigen bei der Arbeit:
Albert arbeite 24 Stunden am Tag, sagt Maja. Seit sechs Jahren sind die junge Polin und der Ire ein Team. Der Landwirt aus der Nähe von Belfast und die Betriebswirtin aus Pommern. Maja geht ein paar Meter weiter, da lagert ein Teil der Ernte:
"Das sind Erbsen. Die können wir auch als Nahrungsmittel verkaufen. Und nicht nur als Tierfutter. Aber wir beliefern hauptsächlich die Tauben-Züchter. Das ist der beste Markt. Tauben-Züchter lieben einfach ihre Tiere."
1.000 Tonnen Erbsen ernten sie jedes Jahr. Dann auch noch Raps und Getreide. Alles auf 800 Hektar. Albert klettert vom Trecker, ein kleiner drahtiger Mann mit kräftigem Händedruck. "Redet lieber mit Maja", grantelt er zur Begrüßung, "die spricht besser Englisch als ich. Ich bin doch Ire". Er grinst und wischt sich die rauen Hände an der staubigen Jeans ab. Vor 15 Jahren kam Albert Miller nach Polen. Als sein Sohn die kleine Familien-Farm in Irland übernahm
"Die Polen wollten mir erst nichts verpachten. Mein Name war schuld: Miller – so hieß auch ihr Ministerpräsident. Dann musste ich ihnen auch noch beweisen, dass ich kein Deutscher bin, sondern Ire. Das war schon sehr interessant."
Darüber kann er sich heute noch amüsieren. Albert Miller lieh sich in Irland eine Million Pfund bei der Bank, pachtete in Polen 800 Hektar Land, investierte in Geräte und Maschinen.

Der irische Pächter gegen die Agraragentur

Albert und Maja bitten ins Büro in einem umgebauten Stall. Als der Landwirt die Flächen übernahm, waren sie zehn Jahre nicht bewirtschaftet, erinnert sich Albert.
"Im ersten Jahr konnten wir drei Tonnen pro Hektar ernten. Heute schaffen wir bis zu zehn Tonnen. Das ist mehr als doppelt so viel. Man muss sich um den Boden kümmern, man muss ihn pflegen. Das haben wir gemacht. Und dann kommt die polnische Regierung und will einen rausschmeißen."
Er verschränkt die Arme vor der Brust. Das ist das zweite Kapitel der irisch-polnischen Geschichte. Albert Miller gegen die Agrar-Agentur. Im Jahr 2012 bekommt er einen Brief von der Agraragentur.
Albert Miller verdreht die Augen. Er erinnert sich, dass damals die polnischen Bauern mal wieder demonstrieren. Die PIS-Partei vor einem Ausverkauf des Landes warnt. Die Regierung kommt den Landwirten entgegen. Die Pächter von großen Flächen bekommen Post von der Agrar-Agentur. Wer freiwillig dreißig Prozent seines Pacht-Landes abgibt, darf die restlichen 70 Prozent kaufen. Manche nennen das ein Angebot. Andere Erpressung. Albert besteht auf der Einhaltung seines Vertrags. Der Landwirt möchte einfach so weiterarbeiten wie bisher.
"Zuerst haben wir nicht zugestimmt. Aber als wir dann merkten, wie ernst die Lage wurde, dass keiner außer uns Widerstand leistete, dan haben wir gesagt: 'Ok, vielleicht stimmen wir doch zu.' Und dann sagte die Agentur: 'Nein, dafür ist es zu spät.'"
Seitdem gehen Briefe hin und her. Miller wäre bereit einzulenken. Doch die Agentur stellt sich stur. Fünf Jahre läuft der Pachtvertrag noch. Danach ist unklar, wie es weitergeht. Offiziell darf der Landwirt Albert vom 1. Mai an Agrarland erwerben. Allerdings gelten eine Vielzahl von Vorschriften, die nach wie vor kleine polnische Bauern aus der Region bevorzugen.

"Ich habe akzeptiert, dass ich vielleicht eines Tages gehen muss"

Natürlich, sagt Albert, könnte ich das Ganze über einen Strohmann kaufen, einem polnischen Partner 51 Prozent des Unternehmens übertragen. Aber Nein, das sei nichts für ihn, das sei Gezocke, sagt er.
"Ich gebe nicht auf. Ich werde weiter kämpfen. Ich habe akzeptiert, dass ich vielleicht eines Tages gehen muss. Aber wenn ich gewinne, dann kann ich bleiben."
Und so lange wird er weiterackern. Maja Kosciewicz steht lächelnd im Hintergrund. Die Mittdreißigerin bewundert die Hartnäckigkeit. Und den Kampfeswillen. "Er ist ein guter Mann", sagt sie als Albert aus der Tür ist. Über viele polnische Landwirte würde sie das so nicht sagen:
"Es ist schwierig, einen polnischen Bauern jemals glücklich zu machen. Sie haben so große Möglichkeiten, etwas zu entwickeln, zu investieren. Und was machen sie: Sie protestieren. Sie werden nie zufrieden sein. Aber es sind viele Wählerstimmen. Und darum hört ihnen die Regierung zu."
Im März rollten die Trecker wieder einmal nach Warschau. Diesmal protestierten die Landwirte gegen eine Verschärfung der Vorschriften, die ab dem 1. Mail den Kauf und Verkauf von Agrarflächen regeln. Die Bauern befürchten eine staatliche Bevormundung und eine zunehmende Bürokratisierung. Und dass sie ihre Höfe in Zukunft nicht mehr vergrößern können. Die polnische Bauernpartei, nach Jahren der Regierung jetzt in der Opposition, warnte sogar vor einer schleichenden Enteignung der Bauern und hat Verfassungsbeschwerde angekündigt. Derweil stagnieren die Kauf- und Pachtpreise auf hohem Niveau. Sie haben sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht. Vor allem kleine Landwirte können da kaum noch mithalten.

Die polnischen Schweinezüchter können mit den großen Mästern nicht mithalten

"Leer, alles ist leer", sagt Stanislaw Pszczola und zieht die alte Stalltür auf. Spinnenweben hängen von der Decke. Darunter leere Buchten mit rostigen Metallgittern. Hier und da blättert der Kalkputz. In einem Verschlag, ganz hinten drängen sich gut zwei Dutzend Entenküken. Bauer Pszczola greift in einen Sack, holt mit einer Schaufel Getreideschrot heraus und lässt es in eine Metallschüssel rieseln. Früher hat der Bauer hier Schweine gemästet. 250 Tiere pro Jahr.
"Man kann große Ställe haben", sagt der drahtige 56-Jährige, "aber die Schweinezucht lohnt sich einfach nicht mehr". 2003 hat er seine Kühe abgeschafft, vier Jahre später dann die Schweine. Der Kleinbauer konnte mit den Billigpreisen der großen Mäster aus dem Westen einfach nicht mehr mithalten.
"Es lohnt sich einfach nicht mehr. Früher hatte jeder hier im Dorf Kühe und Schweine, aber heute kann man die an den Fingern einer Hand abzählen."
Der 56-Jährige schließt die Stalltür und stapft in seinen Arbeitsschuhen über den akkurat gepflasterten und sauber gefegten Hof in Richtung Scheune. Hier lagert er seinen Weizen – in der Hoffnung, dass der Preis steigt. Pszczola baut Getreide an, Raps, Mais und Zuckerrüben.

Bauer bis 67

Nach dem EU-Beitritt ging es uns gut, erinnert sich Pszczola, aber die letzten fünf Jahre waren für ihn eine Tragödie.
"Es lohnt sich einfach nicht mehr. Die Preise für Saatgut, Dünger usw. steigen ständig, aber die Preise für das, was ich anbaue, sind nicht entsprechend gestiegen. Es lohnt sich schlicht nicht, plus es gibt viel zusätzliche Arbeit: der ganze Papierkram, Schulungen usw."
Er bewirtschaftet rund 40 Hektar Ackerland. 25 gehören ihm, 15 hat er gepachtet. Den Hof vergrößern, Fläche zukaufen – Pszczola zwinkert freundlich und schüttelt energisch den Kopf:
"Wollen und Können sind zwei Paar Schuhe. Selbst wenn ich wollte – hier gibt es kein Land zu kaufen, außerdem sind die Preise dermaßen in die Höhe geklettert. Der Preis für einen Hektar Land beträgt jetzt zwischen 60.000 und 100.000 Zloty und ich kann nur rund 2.000 Zloty pro Hektar Gewinn machen, sie können sich also ausrechnen, wie viele Jahre es dauert, bis sich ein solcher Kauf rentieren würde."
Der Landwirt bewirtschaftet den Hof in der dritten Generation. Er ahnt, dass er der letzte Bauer seiner Familie sein wird. Und er weiß, dass er weiterackern muss.
"Ich muss einfach weiter machen. Ich habe keinen Nachfolger, mein Sohn arbeitet in einer anderen Branche. Und unsere 'geliebte' Regierung hat das Rentenalter angehoben: Ich bin jetzt 56 Jahre und muss bis 67 arbeiten. Und das in der Landwirtschaft! Ich weiß nicht einmal, ob und wie ich das schaffe. Also, ich habe keine Ahnung, wo das noch alles hinführt. Doch wer weiß schon, was sein Schicksal ist."
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