Polemik gegen die Totalökonomisierung
Was ist der Wert eines Menschen? Seine Leistung, sein Aussehen, seine Bildung? Wenn man dem Leben einen Wert und somit auch einen Preis zuweist, begeht man einen Kategoriefehler, sagt der Journalist und Historiker Eberhard Straub in seinem furiosen Essay "Zur Tyrannei der Werte".
Mit Kant bestimmt Straub den Menschen als ursprünglich wertlos: Seine Würde ist dem Reich der Zwecke entzogen. Diese Nutzlosigkeit garantieren die bürgerlichen Rechte. Sie verschaffen dem Einzelnen, solange er nicht gegen die bestehende Ordnung verstößt, den notwendigen Freiraum zu seelischen Selbstentfaltung.
Aber diese Freiheit ist bedroht. Im Namen der Sicherheit, begründet mit der Angst vor Terrorismus, werden die bürgerlichen Freiheitsrechte Stück für Stück abgewertet. Diese Prioritätsverschiebungen macht Straub an einem Konzept fest, das besonders in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit an Popularität gewinnt: Werte. Von der europäischen Wertegemeinschaft über nationale Werte wie Patriotismus und Verteidigungsbereitschaft hin zu Markt-Werten wie Brauchbarkeit, Nutzen und Verkäuflichkeit – die moderne Welt ist von einer Vielzahl konkurrierender Werte bestimmt.
Und was ist daran so schlecht? Um diese Frage ebenso versiert wie bissig zu beantworten, geht der Autor auf einen historischen Streifzug, der mit dem aufkommenden Bürgertum des 18. Jahrhunderts beginnt. Verunsichert vom Tod Gottes, suchte man nach Orientierung – und fand Werte, deren Teilhabe am Großen, Wahren, Ewigen eine weltliche Ordnung garantieren sollte. Doch Straub sieht ein zentrales Problem: Werte kommen aus der ökonomischen Sphäre.
Sie sind subjektiv, wandelbar und davon abhängig, durchgesetzt zu werden und deshalb, anders als geltendes Recht, niemals frei von den Interessen einzelner. Während das Gesetz gilt, muss der Wert zur Geltung gebracht werden. Und so wurde im Namen wechselnder Werte geschlachtet, geschändet und gemordet, alles gerechtfertigt mit dem Goldglanz moralischer Überlegenheit.
Straub beleuchtet die Geschichte der Französischen Revolution, wo im Namen der Brüderlichkeit Tausende hingerichtet wurden; er untersucht die aufkommenden nationalen Werte vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg; er zieht überzeugende Parallelen zwischen der Wert-Ideologie der Nationalsozialisten und der damit einhergehenden Legitimation abscheulichster Verbrechen an all denen, die von der Teilhabe am großdeutschen Wertraum ausgeschlossen waren.
Weiter geht es mit den geschichtsvergessenen 50er-Jahren, wo der westdeutsche Bürger bruchlos in das spätkapitalistische Wertegefüge eingepasst wurde. Seit jener Zeit beläuft sich der Wert eines Menschen auf seine Arbeits- und seine Kaufkraft.
Diese Ökonomisierung sieht der Autor fortschreiten – vom Bürger zum Konsumenten. Freiheit ist die Freiheit der Wahl zwischen zwei Produkten, nicht mehr die Freiheit des Bürgers zu sich selbst. Eberhard Straubs Buch ist eine scharfzüngige Polemik gegen die subtile Totalökonomisierung aller Lebensbereiche und ein kundiges Plädoyer für das, was die Würde des Menschen am Ende ausmacht: seine Unverwertbarkeit.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Eberhard Straub: Zur Tyrannei der Werte
Klett-Cotta Verlag, August 2010
170 Seiten, 17,95 Euro
Aber diese Freiheit ist bedroht. Im Namen der Sicherheit, begründet mit der Angst vor Terrorismus, werden die bürgerlichen Freiheitsrechte Stück für Stück abgewertet. Diese Prioritätsverschiebungen macht Straub an einem Konzept fest, das besonders in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Unsicherheit an Popularität gewinnt: Werte. Von der europäischen Wertegemeinschaft über nationale Werte wie Patriotismus und Verteidigungsbereitschaft hin zu Markt-Werten wie Brauchbarkeit, Nutzen und Verkäuflichkeit – die moderne Welt ist von einer Vielzahl konkurrierender Werte bestimmt.
Und was ist daran so schlecht? Um diese Frage ebenso versiert wie bissig zu beantworten, geht der Autor auf einen historischen Streifzug, der mit dem aufkommenden Bürgertum des 18. Jahrhunderts beginnt. Verunsichert vom Tod Gottes, suchte man nach Orientierung – und fand Werte, deren Teilhabe am Großen, Wahren, Ewigen eine weltliche Ordnung garantieren sollte. Doch Straub sieht ein zentrales Problem: Werte kommen aus der ökonomischen Sphäre.
Sie sind subjektiv, wandelbar und davon abhängig, durchgesetzt zu werden und deshalb, anders als geltendes Recht, niemals frei von den Interessen einzelner. Während das Gesetz gilt, muss der Wert zur Geltung gebracht werden. Und so wurde im Namen wechselnder Werte geschlachtet, geschändet und gemordet, alles gerechtfertigt mit dem Goldglanz moralischer Überlegenheit.
Straub beleuchtet die Geschichte der Französischen Revolution, wo im Namen der Brüderlichkeit Tausende hingerichtet wurden; er untersucht die aufkommenden nationalen Werte vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg; er zieht überzeugende Parallelen zwischen der Wert-Ideologie der Nationalsozialisten und der damit einhergehenden Legitimation abscheulichster Verbrechen an all denen, die von der Teilhabe am großdeutschen Wertraum ausgeschlossen waren.
Weiter geht es mit den geschichtsvergessenen 50er-Jahren, wo der westdeutsche Bürger bruchlos in das spätkapitalistische Wertegefüge eingepasst wurde. Seit jener Zeit beläuft sich der Wert eines Menschen auf seine Arbeits- und seine Kaufkraft.
Diese Ökonomisierung sieht der Autor fortschreiten – vom Bürger zum Konsumenten. Freiheit ist die Freiheit der Wahl zwischen zwei Produkten, nicht mehr die Freiheit des Bürgers zu sich selbst. Eberhard Straubs Buch ist eine scharfzüngige Polemik gegen die subtile Totalökonomisierung aller Lebensbereiche und ein kundiges Plädoyer für das, was die Würde des Menschen am Ende ausmacht: seine Unverwertbarkeit.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Eberhard Straub: Zur Tyrannei der Werte
Klett-Cotta Verlag, August 2010
170 Seiten, 17,95 Euro