Pointiertes Pfeifen

„Das Modell für Laura“ ist Vladimir Nabokovs letzter Roman, der in den Jahren vor seinem Tod 1977 entstand. Nabokovs Sohn Dmitri entschloss sich, den Text aus dem Familien-Safe zu holen und zu veröffentlichen. Doch die damit verbundenen Erwartungen waren kaum zu erfüllen.
Armer Nabokov. Da rankten sich über Jahrzehnte hin die wildesten Spekulationen über sein nachgelassenes und von ihm selbst zum Vernichten bestimmtes Romanfragment „Das Modell für Laura“, da debattierte eine eingeschworene Gemeinde über die literarisch-moralische Befugnis der Erben, den letzten Willen des Autors zu erfüllen oder zu missachten (vernehmlich „Kafka! Kafka!“ rufend), da haderten die Erben selbst mit den unerbittlichen Zwängen einer Entweder-Oder-Situation, und da hat sich schließlich Vladimir Nabokovs Sohn Dmitri entschlossen, jenen Text aus dem Safe zu holen und zu veröffentlichen. Erwartungsvolle Gemüter prophezeiten eine „literarische Sensation“, kaum dass er seine Entscheidung angekündigt hatte.

Der Druck im Vermächtnis-Kessel war da fast schon unerträglich, und dann dies: ein kurzes, stellenweise pointiertes Pfeifen entwich diesem Kessel, mehr war es nicht, was auf 138 Karteikarten notiert war. Zwischen Ratlosigkeit und Enttäuschung pendelnd, besieht man seither die Maus, die der Berg geboren hat. Aber hat der arme Nabokov all das verdient, dieses Geraune über „sterile Mystik“ und „Sex im Mädchenzimmer“, diese herablassenden Bemerkungen, das Fragment sei „ein mit Fleischfetzen und schönem Fummel behängtes Skelett“, das „den Nachruhm des Autors kaum (hätte) mehren können“?

Er war ja doch nur ein betagter Schriftsteller, der, hinfällig und krank, sein letztes Werk nicht hat vollenden können! So wenig vollendet ist dieses Konvolut, dass sich eine Romanhandlung nur recht vage abzeichnet.

„Das Modell für Laura“ heißt eigentlich Flora und ist eine lebenslustige Frau, die sich kaum die Mühe macht, ihre Liebschaften ihrem Ehemann zu verbergen. Er, deutlich älter als sie, ist ein fettleibiger und „genialer“ Neurologe mit viel Esprit und einem zynischen Ekel vor dem eigenen Körper. Flora wird, unter dem Namen Laura, zur Figur eines pornographischen Schlüsselromans, den einer ihrer abgelegten Liebhaber aus Rache verfasst hat. Ihr Mann liest dieses Buch, es gelegentlich zitierend, aber auch mit eigenen Texten kommentierend.

Sein eigentliches Schreiben aber gilt dem Widerwillen vor dem eigenen Leib und einem daraus resultierenden Experiment. Er versucht, durch reine Konzentration und Willensanstrengung seinen Körper in einen tranceartigen Tod zu versetzen, und bringt es mit der Zeit von den stets übelriechenden, manchmal eitrigen Füßen aufwärts bis zum Nabel.

Natürlich ist es vermessen, aus diesen angedeuteten Entwürfen eine Romankritik zu formulieren. Was entstanden wäre, hätte Nabokov Zeit gehabt, diesen Text zu vollenden, darüber kann nur spekuliert werden. Nicht einmal die vorliegende Fassung ist eine autorisierte, denn ein beträchtlicher Teil der jetzt präsentierten Karteikarten wurde vom Herausgeber in die aktuelle Reihenfolge gebracht. Ist der Blick auf das Ganze auch unmöglich, bleibt der Genuss an Fragmenten, die Nabokovsche Qualitäten in splitterhafter Intensität aufleuchten lassen: ein geschliffener Stil, ein altersweiser und zynischer Humor, eine knisternde Erotik, die sich verbinden zu einem einzigen Bedauern. Diesen Nabokov hätte man gern noch gelesen.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Vladimir Nabokov: Das Modell für Laura (Sterben macht Spaß)
Romanfragment auf 138 Karteikarten
Herausgegeben von Dmitri Nabokov
Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer und Ludger Tolksdorf
Rowohlt Verlag, Reinbek 2009
320 Seiten, 19,90 Euro