Pofalla räumt Mangel an "Sensibilität" für Menschen in neuen Bundesländern ein
In der Debatte um die Wahlkampfäußerungen verschiedener Unions-Politiker zum ostdeutschen Wählerverhalten hat der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Ronald Pofalla (CDU), einen Mangel an Sensibilität für die Probleme der neuen Bundesländer eingeräumt. Zugleich wies Pofalla Vorwürfe zurück, seine Partei vernachlässige den Aufbau Ost.
Deutschlandradio Kultur: Warum, glauben Sie, kommt die CDU, die doch gemeinhin als Partei der Einheit gilt - und ja auch zu Recht - die noch dazu die erste Kanzlerkandidatin hat, die aus dem Osten kommt, warum kommt diese CDU Ihrer Meinung nach vergleichsweise schlecht in Ostdeutschland an?
Pofalla: Also zunächst glaube ich, dass die Formulierung "vergleichsweise schlecht" ja schon deutlich macht, dass es nicht wirklich schlecht ist. Wir kämpfen mit der neuen Linkspartei um die Rolle der stärksten Partei in den neuen Bundesländern, von daher glaube ich, dass unsere Ausgangslage gar nicht mal so schlecht ist.
Deutschlandradio Kultur: "Vergleichsweise" bezieht sich aber auch auf den Vergleich zwischen der Zustimmung im Westen für die CDU und der Zustimmung im Osten für die CDU. Und da ist diese Schere seit 1990 kontinuierlich auseinander gegangen. Die Differenz betrug 1990 noch zweieinhalb Prozentpunkte, dann über zehn und zwölf, heute liegt sie bei 17 Prozentpunkten Differenz.
Pofalla: Ja, der Unterschied ist da, den bestreite ich auch gar nicht. Er ist aber für die Volkspartei CDU vergleichsweise gering, wenn man sich beispielsweise ansieht, welches Wählerpotential die Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern haben. Und wenn ich es mal auf beide Volksparteien beziehe, dann glaube ich, dass es den beiden großen Volksparteien – und da nehme ich die CDU nicht aus – wahrscheinlich im Kern bisher nicht gelungen ist, auch diejenigen Menschen in den neuen Bundesländern, die sich subjektiv vielleicht auch als Verlierer empfinden, so mit ihren programmatischen Vorstellungen anzusprechen, dass diese Menschen bei der CDU wie bei der SPD für ihre Zukunft eine Perspektive sehen.
Deutschlandradio Kultur: Ganz im Gegenteil, wenn man die Äußerungen von Herrn Schönbohm, die viel kritisierten, im Hinterkopf hat oder auch das, was jetzt Herr Stoiber gesagt hat über die "Frustrierten im Osten, die doch nicht die Bundestagswahl in Deutschland entscheiden sollten", dann gibt es da zumindest einen gewissen Mangel an Fingerspitzengefühl.
Pofalla: Herr Schönbohm hat das, was er gemacht hat, selber als Fehler bezeichnet und hat ja jetzt in den letzten Tagen sogar noch mal – was ich sehr sympathisch fand – deutlich gemacht, dass er auch sieht, dass er der CDU damit wirklich geschadet hat.
Deutschlandradio Kultur: Und Herr Stoiber?
Pofalla: Ja, da wird ja jetzt drüber gestritten, wie dieses Zitat, ich habe es mir heute Morgen noch mal angesehen…
Deutschlandradio Kultur: Wir auch.
Pofalla: … zu verstehen ist. Ich glaube, auch da wird am Schluss deutlich, dass die Sensibilität, mit den Empfindungen der Menschen in den neuen Bundesländern umzugehen, nicht in dem Maße erreicht worden ist, wie man sich das wünscht. Und ich bin ja jetzt etwa die Hälfte des Jahres und auch mehr in Berlin und auch sehr viel in Ostberlin, und ich gebe auch offen zu als jemand, der aus dem Westen kommt, aus Nordrhein-Westfalen: Wenn ich hier nicht in Berlin einen so großen Teil meiner Zeit verbringen würde, würde ich manches gar nicht verstehen, was die Menschen in den neuen Bundesländern bewegt.
Deutschlandradio Kultur: Edmund Stoiber hat nun nachweislich zweimal gesagt, er akzeptiere nicht, dass der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird, respektive: 'Ich will nicht, dass noch einmal im Osten die Wahl entschieden wird'. Wie würden Sie denn reagieren, wenn man sagen würde, 'ich will nicht, dass in Nordrhein-Westfalen die Wahl entschieden wird'?
Pofalla: Wir haben in den neuen Bundesländern deutlich weniger Stimmen bekommen bei der letzten Bundestagswahl als wir sie bundesweit im Schnitt mit 38,5 hatten. Jetzt kann man ja die Sache auch umdrehen. Man kann ja auch sagen, wenn die letzte Bundestagswahl eben an diesen Stellen verloren worden ist, will man sie dieses Mal da nicht verlieren. Das ist ja auch ein Ansporn.
Deutschlandradio Kultur: Aber die Tonlage lässt doch auf ein gestörtes Verhältnis schließen - so ein bisschen wie eine beleidigte Diva, die sagt, "ich habe so eine gute Vorstellung gegeben und ich erwarte Dankbarkeit". Herr Stoiber sagt ja nicht, "ich akzeptiere nicht, dass noch einmal die gut ausgebildeten, jungen Frauen gegen uns stimmen werden".
Pofalla: Ja aber, um das Bild der Diven, das Sie selber verwandt haben, aufzugreifen…
Deutschlandradio Kultur: Wollen Sie sagen, Herr Stoiber ist keine Diva?
Pofalla: Nein, aber wenn Diven reagieren, reagieren sie ja emotional und nicht nur rational, weil die Diva ja auszeichnet, dass sie weniger kognitiv und mehr emotional reagiert. Wenn es ein Emotionsausbruch war - was ich übrigens nicht glaube - aber wenn es das war, das gestehe ich auch dem bayerischen CSU-Vorsitzenden ausdrücklich zu.
Deutschlandradio Kultur: Nun gibt es ja durchaus auch Kritik an Frau Merkel. Sie ist eine Frau aus dem Osten, und sie scheint im Moment alles zu tun, um das bloß nicht zu sehr in den Vordergrund zu schieben - so weitgehend, dass Stimmen aus Ostdeutschland schon sagen, 'die ist einfach nicht mehr eine von uns'.
Pofalla: Also ich glaube, dass die Menschen in den neuen Bundesländern wissen - übrigens in den alten Bundesländern auch - dass Angela Merkel aus den neuen Bundesländern kommt. Aber man muss doch jetzt nicht aus allen Poren einer Person spüren, wo sie herkommt. Es wäre, finde ich, bedauerlich, wenn man bei mir merken würde, dass ich Niederrheiner bin, aus dem Westen komme und aus dem Rheinland, und ich sozusagen als rheinische Frohnatur Politik betreiben würde. Dann, meine ich, würde ich Teile nicht abdecken, die ich politisch auch für richtig halte.
Deutschlandradio Kultur: Lassen wir das mal mit der persönlichen Herkunft - kommen wir mal zu dem thematischen Defizit, das die Union auch aufweist. Die Union hat ja dem Aufbau Ost in ihrem Wahlprogramm nicht gerade einen besonders großen Stellenwert eingeräumt.
Pofalla: Wir haben deutlich gemacht, dass wir zu den Regelungen stehen, die man auf der föderalen Ebene zwischen Bund und den Ländern und den neuen Bundesländern noch bei dieser Bundesregierung vereinbart hat, dass die weiter gelten. Damit steht fest, dass bis zum Jahre 2019 im dreistelligen Milliardenbereich liegende Summen nach wie vor den neuen Bundesländern zur Verfügung stehen, um den Aufbau in den neuen Bundesländern abzuschließen.
Deutschlandradio Kultur: Aber da argumentieren Sie jetzt sehr haushalterisch und das ist ja genau der Punkt. Frau Merkel hat gesagt, sie möchte aus der "Chefsache Aufbau Ost" unter Schröder die "Herzenssache Aufbau Ost" machen und davon ist einfach relativ wenig zu spüren - noch nicht mal auf der programmatischen Ebene, jenseits dessen, was Sie genannt haben. Im Wahlprogramm gibt es anderthalb Seiten zu dem Thema - genau so viel wie für die Energiepolitik oder für die Infrastrukturpolitik. Wo ist das Konzept, das geschlossene Konzept der Union für den Aufbau Ost?
Pofalla: Nun warten Sie mal ab. Wir haben ja jetzt noch fünfeinhalb Wochen und ich nenne nur mal zwei Elemente, die ja noch kommen. In der nächsten Woche wird Frau Merkel ihr Kompetenzteam vorstellen. Ich glaube, dass man aus der Vorstellung des Kompetenzteams auch Ableitungen für das Thema "neue Bundesländer" wird vornehmen können. Mehr werde ich natürlich jetzt nicht dazu sagen.
Und das Zweite: Wir werden ganz sicher im Bereich Ende August ein 100-Tage-Programm vorlegen für den Fall einer Regierungsübernahme unter Führung von Angela Merkel, und in diesem 100-Tage-Programm wird es ganz entscheidende Punkte auch für die neuen Bundesländer geben. Wir wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir Ihnen als Journalistinnen nicht die Gelegenheit geben könnten, uns jetzt noch zu kritisieren…
Deutschlandradio Kultur: Sie hätten jetzt die Möglichkeit gehabt, uns Ihr Konzept auszubreiten.
Pofalla: Ja, aber dann würde ich den Spannungsbogen, den wir ja bewusst vorbereiten, unterbrechen. Also wir wollen Ihnen ja die Gelegenheit auch geben, dann im Verlauf des Wahlkampfes Ihre Meinung zu korrigieren.
Deutschlandradio Kultur: Also fünfeinhalb Wochen bis zur wahrscheinlichen Bundestagswahl, wenn das Bundesverfassungsgericht da nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht. Vor ein paar Wochen war die Union ja sehr selbstsicher, dass sie die Wahl gewinnen wird. Frau Merkel wurde ja quasi schon als Kanzlerin angesprochen. Nun sind die jüngsten Umfragewerte nicht mehr so positiv. Es gab diese kleinen Pannen hier und da, die wir jetzt nicht mehr aufzählen wollen - man hat doch den Eindruck, dass diese Selbstsicherheit etwas angekratzt ist. Führt das eigentlich auf Seiten der Union eher zu Nervosität oder eher zu mehr Kampfgeist und Geschlossenheit?
Pofalla: Ich kann für mich nur reden, ich bin nicht nervös. Ich kann deshalb nicht darüber berichten, ob andere diese Nervosität haben. Für mich stehen bereits heute zwei Sachen fest: Für mich steht fest, dass Schröder nach dem 18. September, unabhängig von prozentualen Einzelergebnis der SPD, ganz sicher nicht mehr Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Das halte für zu 100 Prozent feststehend, weil ja unter keinem logischen Gesichtspunkt auch nur im Ansatz Mehrheiten erkennbar sind, die ihn zum Kanzler wieder wählen könnten.
Deutschlandradio Kultur: Nein, aber es wird wahrscheinlich, was Sie nicht wollen und Frau Merkel am aller wenigsten will - nämlich eine große Koalition.
Pofalla: Das halte ich überhaupt nicht für die wahrscheinlichste Option, sondern ich bin sicher - und das ist die zweite Feststellung, die ich heute mache - ich bin sicher, dass Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden wird. Und das, was ich für nicht entschieden halte, ist, wird sie eine komfortable Mehrheit haben mit der FDP zusammen, um das, was wir für richtig halten, umzusetzen? Dafür werden wir in der Tat in den nächsten fünfeinhalb Wochen massiv kämpfen müssen. Die Frage halte ich nicht für entschieden.
Deutschlandradio Kultur: Nun legt die SPD im Moment leicht zu, von einem zugegeben relativ niedrigen Niveau - nicht zuletzt vielleicht auch deshalb, so sagen es jedenfalls Analysten, weil die Entwicklungen am Arbeitsmarkt leicht positiv sind. Es gibt saisonbereinigt weniger Arbeitslose als zuvor. Jetzt wissen Sie vielleicht selber gar nicht so richtig, ob Sie das freuen soll, dass es diese Bewegung gibt, oder?
Pofalla: Doch, es würde mich freuen - die Bewegung gibt es ja nicht, die Sie beschreiben. Ich wäre ja froh, wenn sie da wäre. Wir haben noch eine so dramatische Lage am Arbeitsmarkt, die gekennzeichnet ist durch die höchste Arbeitslosigkeit seit 1945 auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, dass wir Tag für Tag tausend sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse verlieren.
Deutschlandradio Kultur: Dieser Trend ist gestoppt.
Pofalla: Wenn Sie sich die Zahlen im Juli ansehen und vergleichen mit dem vergangenen Jahr, dann sind es über 300.000, die wir wieder verloren haben und dieser Trend ist überhaupt nicht gestoppt. Ich wäre ja froh, wenn er gestoppt wäre, weil in dieser Schere die ganzen Probleme, die wir in den Sozialversicherungssystemen, im Steuersystem auf der staatlichen Einnahmeseite haben, im Kern da ihren Ursprung haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber laut Bundesagentur für Arbeit ist die Erwerbstätigkeit gestiegen.
Pofalla: Natürlich kann ich Programme hochfahren und damit sozusagen die Beschäftigung steigern, aber im eigentlichen ersten Arbeitsmarkt verändert sich damit überhaupt nichts. Und da ist ja genau das Problem, das wir haben, dass wir wahrscheinlich am Ende dieses Jahres zum ersten Mal seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, unterhalb von 26 Millionen Menschen sein werden, die einen Vollzeitbeschäftigungsarbeitsplatz haben. Diese Entwicklung ist dramatisch, und die muss verändert werden.
Deutschlandradio Kultur: Aber dafür steigt die Zahl der Selbständigen und der Unternehmensgründungen, und -laut Mittelstandsmonitor der Handelskammer Hamburg - ist im Saldo die Zahl der Gründungen höher als die der Liquidierungen.
Pofalla: Ja, aber erstmal haben wir die höchste Rate der Konkurse der letzten Jahre…
Deutschlandradio Kultur: Aber der Saldo ist trotzdem positiv.
Pofalla: Ja, aber es hilft doch nicht. Die 40.000 Unternehmensinsolvenzen, die wir im vergangenen Jahr hatten und die wir vielleicht in diesem Jahr knapp unterschreiten werden, sind die höchsten Insolvenzzahlen, die wir je hatten, und dahinter verbergen sich ja hunderttausende von Menschen, die in diesen Unternehmen gearbeitet haben. Und der Saldo entsteht dadurch, weil die Ich-AGs natürlich als Unternehmensgründungen mit eingerechnet werden. Die Ich-AGs sind nicht erfolgreich, deshalb werden wir sie auch wieder abschaffen, obwohl wir die bestehenden Regelungen und Förderungen nicht angreifen werden.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man der Bundesregierung etwas vorwerfen kann, dann doch bestenfalls, dass sie die Situation, die sie vorgefunden hat, nicht verbessert hat. Denn wenn man mal anders rechnet, fehlten Anfang 98 mehr Jobs. Wenn man so herum rechnet, nach dem Fehlen von Arbeit fragt, dann sind nämlich Ihre ganzen AB-Maßnahmen von damals und die Ich-AG’s von heute mit eingerechnet und dann fehlten eben Anfang des Jahres 2005 weniger Jobs als vor sieben Jahren.
Pofalla: Ja, das ist das Schöne an Statistiken, da ich sie aber kenne, nenne ich Ihnen das Gegenargument: Wenn Sie das mit den Januar-Zahlen vergleichen, ist Ihre Einschätzung richtig, wenn Sie es mit den Juli/August-Zahlen vergleichen, ist Ihre Einschätzung falsch, weil, dann wir heute haben - verglichen mit der Jahresmitte des Jahres 98…
Deutschlandradio Kultur: Ja, die Jahresmitte haben wir ja nun extra nicht genommen, weil der damalige Kanzler Kohl seinerzeit kurz vor den Wahlen 98 noch mal ganz viele Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgelegt hat…
Pofalla: Es gab jedenfalls in der Mitte des Jahres 2005 700.000 Menschen mehr Arbeitslose heute als im Jahr 98.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir mal zu ein paar Punkten, wo Sie vielleicht ja gar nicht so uneinverstanden sein könnten, nämlich mit Maßnahmen der Wirtschafts-, Steuer-, und Arbeitsmarktpolitik, die Rot-Grün in den vergangenen Jahren beschlossen hat: zum Beispiel die Erleichterung für Existenzgründer, die Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen um 17 Milliarden Euro bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer, außerdem ein erleichterter Zugang zu Krediten mit niedrigen Zinsen für Innovationsinvestitionen, Deregulierung und Bürokratieabbau - das müssten doch Punkte sein, Herr Pofalla, wo Sie sagen, 'gut, kommt zwar von Rot-Grün, trotzdem richtig'?
Pofalla: Ich bestreite überhaupt nicht, dass einzelne Elemente der Regierungspolitik richtig waren, aber es war nicht eingebettet in Grundsatzreformen. Es ist mal da an einer Schraube gedreht worden, die richtig war und es ist an einer anderen Stelle Politik gestaltend eingesetzt worden, aber das Gesamtkonzept - ein integriertes Konzept aus Steuerreform, Arbeitsmarktreform und Wirtschaftsreform – konnte nicht umgesetzt werden. Und das hat nicht stattfinden können, weil die SPD-Bundestagsfraktion eben vieles nicht mitmacht.
Deutschlandradio Kultur: Jedenfalls scheinen die Firmen in der Bundesrepublik trotzdem neues Vertrauen zu fassen. Das geht aus dem Ifo-Institut-Index - eine Art Stimmungsbarometer der Wirtschaft - hervor. Da ist es so, dass sich dieser Index im Juli überraschend positiv entwickelt hat. In der Analyse sagen nun die meisten, das habe keineswegs etwas damit zu tun, was Sie jetzt wahrscheinlich gerne sagen würden, dass das schon eine Art 'Merkel-Effekt' wäre, dass die Stimmung so positiv ist, weil alles darauf hofft, dass Frau Merkel Kanzlerin wird.
Pofalla: Ich bin in der Tat der Auffassung, dass durch diese Analyse des Ifo-Instituts deutlich wird, dass wir da eine Aufhellung am Stimmungsmarkt der deutschen Wirtschaft haben und führe dies in der Tat darauf zurück, dass die deutsche Wirtschaft und diejenigen, die da Verantwortung tragen, sehen, dass wir jetzt die Chance haben eine Bundeskanzlerin zu bekommen, die Wirtschaftspolitik integriert betreibt und von daher hat sich die Stimmung verbessert.
Deutschlandradio Kultur: Die Wirtschaft selbst sagt aber, sie führe es darauf zurück, dass der Euro-Kurs im Moment im Vergleich zum Dollar etwas günstiger ist, dass es unerwartet viele Neuaufträge in der Industrie gibt und dass sie eben auch auf die weltwirtschaftlichen Indikatoren setzen, die sich verbessern - nix von Merkel.
Pofalla: Ja, das ist ja auch statistisch nicht zu messen. Sie haben mich ja nach meiner Meinung gefragt. Es gibt in den Statistiken ja nicht den 'Merkel- oder Schröder-Faktor', aber ich verspüre in der deutschen Wirtschaft - und ich bin ja für Wirtschaftspolitik verantwortlich und besuche sehr viele Unternehmen - schon die Hoffnung auf eine neue Kanzlerin Angela Merkel und auch den Wunsch, jetzt eine andere Regierungspolitik im Bereich der Wirtschaftspolitik zu bekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wären eigentlich die Tage der Bundesagentur für Arbeit unter einer schwarz-gelben Regierung gezählt?
Pofalla: Nein, eindeutig nicht, und das muss man auch richtig stellen: Die Bundesregierung hat einen zentralen Fehler begangen im Zusammenhang mit der Bundesagentur. Der Fehler bestand darin, dass sie der Bundesagentur in einem Jahr, wo der größte innere Umbauprozess der Bundesagentur, der jemals stattgefunden hat, stattfindet, dieser Bundesagentur noch zusätzlich das riesige Reformvorhaben der Hartz IV-Reform oben aufzubürden.
Deutschlandradio Kultur: Die Sie aber auch richtig fanden.
Pofalla: Die Hartz IV-Reform halte ich für richtig. Was ich für falsch halte und was wir auch deutlich gemacht haben ist, dass diese Aufgabe im Kern von der Bundesagentur von 69 Ausnahmen - von Optionskommunen mal abgesehen – dass im Kern diese Aufgabe die Bundesagentur übernommen hat. Das haben wir für falsch gehalten. Und um das mal in Arbeitsplatzzahlen zu sagen: die Bundesagentur musste nur deshalb, weil sie Hartz IV als Aufgabe übernehmen musste, über 30.000 Mitarbeiter umschulen, und das in einem Prozess, wo die Bundesagentur ihrerseits sich selber neu organisiert.
Deutschlandradio Kultur: Gut, kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Anders als Herr Niebel von der FDP möchten Sie sie nicht abschaffen. Warum eigentlich nicht?
Pofalla: Weil ich glaube, dass die Bundesagentur auf einem richtigen Weg ist. Wenn der Umbauprozess abgeschlossen ist, besteht die gute Chance, dass die Bundesagentur das wird, was wir für richtig halten - nämlich ein Kompetenzzentrum für Vermittlung von Arbeitslosen. Und ich glaube, diese Chance sollte man der Bundesagentur lassen, diesen Reformprozess bis zum Jahresende abzuschließen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Pofalla, werden wir Sie dann nächste Woche bei der Vorstellung des berühmten so genannten 'Kompetenzteams' von Angela Merkel in der Rolle des Fachmanns in Fragen für Wirtschafts- und Finanzen im Team wieder finden?
Pofalla: Das ist wie das Ungeheuer von Loch Ness.
Deutschlandradio Kultur: Halten Sie das für einen guten Vergleich?
Pofalla: Ja, finde ich einen sehr guten, weil das kommt auch mal und mal kommt es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sich jetzt mit dem Ungeheuer von Loch Ness vergleichen, dann heißt das, Sie rechnen nicht damit, dass Sie darin wirklich 'auftauchen' werden, so dass alle es sehen können?
Pofalla: Nein, das war gar nicht der Vergleich, sondern das Ungeheuer von Loch Ness, und nur darauf habe ich mich bezogen, war als Beispiel dafür gedacht, dass immer darüber spekuliert wird, kommt es oder kommt es nicht, dass ich mich selber damit nicht vergleiche, erübrigt sich von selbst.…
Deutschlandradio Kultur: Aber das Kompetenzteam wird doch kommen?
Pofalla: Natürlich.
Deutschlandradio Kultur: Das Verrückte ist doch, dass Ihr Vorgänger in diesem Amt, Friedrich Merz - zumindest eine Art Teilnachfolger von ihm sind Sie ja, denn Sie haben die Aufgaben, die Friedrich Merz als Vize-Fraktionsvorsitzende seinerzeit hatte, geteilt mit Ihrem Kollegen Michael Meister - dass also bei Friedrich Merz überhaupt gar keine Frage gewesen wäre, niemand angezweifelt hätte, dass er in dem Kompetenzteam für diesen Bereich zuständig sein würde.
Pofalla: Was wollen Sie denn jetzt mit der Fragestellung suggerieren? Ich habe mich um dieses Amt nicht bemüht, ich habe mich darum nicht beworben. Ich mache gerne Politik, Funktionen sind mir relativ egal, das muss ich Ihnen ehrlicherweise sagen. Friedrich Merz ist freiwillig zurückgetreten, er ist nicht dazu gezwungen worden, und der Überraschteste, den Sie überhaupt finden konnten, dass Angela Merkel mich ausgewählt hat, war ich selber. Ich leide nicht unter mangelnder Anerkennung. Ich ruhe in mir selber und warte jetzt, was am kommenden Mittwoch kommt.
Ronald Pofalla: Geboren am 15. Mai 1959 in Weeze, Kreis Kleve; evangelisch, verheiratet. Besuch der Volks- und Hauptschule Weeze, 1975 mittlere Reife; Fachoberschule für Sozialpädagogik Kleve, 1977 Fachhochschulreife; 1977 bis 1981 Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf, 1981 Diplomsozialpädagoge. 1981 bis 1987 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Köln, 1987 erstes juristisches Staatsexamen. 1988 bis 1991 Rechtsreferendar am Landgericht Kleve, 1991 zweites juristisches Staatsexamen. Seit 1991 Rechtsanwalt.
Mitglied beim Technischen Hilfswerk Geldern und bei der DLRG Weeze. Seit 1975 Mitglied der CDU. 1979 bis 1992 Fraktionsvorsitzender der CDU-Mehrheitsfraktion der Gemeinde Weeze, 1986 bis 1992 Landesvorsitzender der Jungen Union Nordrhein-Westfalen. Seit 1991 CDU-Kreisvorsitzender im Kreis Kleve, seit 1995 Mitglied im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2000 Bezirksvorsitzender der CDU Niederrhein. Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1990. 2002-2004 Justitiar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Am 26.10.2004 Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Aufgabenbereich Wirtschaft und Arbeit.
Pofalla: Also zunächst glaube ich, dass die Formulierung "vergleichsweise schlecht" ja schon deutlich macht, dass es nicht wirklich schlecht ist. Wir kämpfen mit der neuen Linkspartei um die Rolle der stärksten Partei in den neuen Bundesländern, von daher glaube ich, dass unsere Ausgangslage gar nicht mal so schlecht ist.
Deutschlandradio Kultur: "Vergleichsweise" bezieht sich aber auch auf den Vergleich zwischen der Zustimmung im Westen für die CDU und der Zustimmung im Osten für die CDU. Und da ist diese Schere seit 1990 kontinuierlich auseinander gegangen. Die Differenz betrug 1990 noch zweieinhalb Prozentpunkte, dann über zehn und zwölf, heute liegt sie bei 17 Prozentpunkten Differenz.
Pofalla: Ja, der Unterschied ist da, den bestreite ich auch gar nicht. Er ist aber für die Volkspartei CDU vergleichsweise gering, wenn man sich beispielsweise ansieht, welches Wählerpotential die Sozialdemokraten in den neuen Bundesländern haben. Und wenn ich es mal auf beide Volksparteien beziehe, dann glaube ich, dass es den beiden großen Volksparteien – und da nehme ich die CDU nicht aus – wahrscheinlich im Kern bisher nicht gelungen ist, auch diejenigen Menschen in den neuen Bundesländern, die sich subjektiv vielleicht auch als Verlierer empfinden, so mit ihren programmatischen Vorstellungen anzusprechen, dass diese Menschen bei der CDU wie bei der SPD für ihre Zukunft eine Perspektive sehen.
Deutschlandradio Kultur: Ganz im Gegenteil, wenn man die Äußerungen von Herrn Schönbohm, die viel kritisierten, im Hinterkopf hat oder auch das, was jetzt Herr Stoiber gesagt hat über die "Frustrierten im Osten, die doch nicht die Bundestagswahl in Deutschland entscheiden sollten", dann gibt es da zumindest einen gewissen Mangel an Fingerspitzengefühl.
Pofalla: Herr Schönbohm hat das, was er gemacht hat, selber als Fehler bezeichnet und hat ja jetzt in den letzten Tagen sogar noch mal – was ich sehr sympathisch fand – deutlich gemacht, dass er auch sieht, dass er der CDU damit wirklich geschadet hat.
Deutschlandradio Kultur: Und Herr Stoiber?
Pofalla: Ja, da wird ja jetzt drüber gestritten, wie dieses Zitat, ich habe es mir heute Morgen noch mal angesehen…
Deutschlandradio Kultur: Wir auch.
Pofalla: … zu verstehen ist. Ich glaube, auch da wird am Schluss deutlich, dass die Sensibilität, mit den Empfindungen der Menschen in den neuen Bundesländern umzugehen, nicht in dem Maße erreicht worden ist, wie man sich das wünscht. Und ich bin ja jetzt etwa die Hälfte des Jahres und auch mehr in Berlin und auch sehr viel in Ostberlin, und ich gebe auch offen zu als jemand, der aus dem Westen kommt, aus Nordrhein-Westfalen: Wenn ich hier nicht in Berlin einen so großen Teil meiner Zeit verbringen würde, würde ich manches gar nicht verstehen, was die Menschen in den neuen Bundesländern bewegt.
Deutschlandradio Kultur: Edmund Stoiber hat nun nachweislich zweimal gesagt, er akzeptiere nicht, dass der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird, respektive: 'Ich will nicht, dass noch einmal im Osten die Wahl entschieden wird'. Wie würden Sie denn reagieren, wenn man sagen würde, 'ich will nicht, dass in Nordrhein-Westfalen die Wahl entschieden wird'?
Pofalla: Wir haben in den neuen Bundesländern deutlich weniger Stimmen bekommen bei der letzten Bundestagswahl als wir sie bundesweit im Schnitt mit 38,5 hatten. Jetzt kann man ja die Sache auch umdrehen. Man kann ja auch sagen, wenn die letzte Bundestagswahl eben an diesen Stellen verloren worden ist, will man sie dieses Mal da nicht verlieren. Das ist ja auch ein Ansporn.
Deutschlandradio Kultur: Aber die Tonlage lässt doch auf ein gestörtes Verhältnis schließen - so ein bisschen wie eine beleidigte Diva, die sagt, "ich habe so eine gute Vorstellung gegeben und ich erwarte Dankbarkeit". Herr Stoiber sagt ja nicht, "ich akzeptiere nicht, dass noch einmal die gut ausgebildeten, jungen Frauen gegen uns stimmen werden".
Pofalla: Ja aber, um das Bild der Diven, das Sie selber verwandt haben, aufzugreifen…
Deutschlandradio Kultur: Wollen Sie sagen, Herr Stoiber ist keine Diva?
Pofalla: Nein, aber wenn Diven reagieren, reagieren sie ja emotional und nicht nur rational, weil die Diva ja auszeichnet, dass sie weniger kognitiv und mehr emotional reagiert. Wenn es ein Emotionsausbruch war - was ich übrigens nicht glaube - aber wenn es das war, das gestehe ich auch dem bayerischen CSU-Vorsitzenden ausdrücklich zu.
Deutschlandradio Kultur: Nun gibt es ja durchaus auch Kritik an Frau Merkel. Sie ist eine Frau aus dem Osten, und sie scheint im Moment alles zu tun, um das bloß nicht zu sehr in den Vordergrund zu schieben - so weitgehend, dass Stimmen aus Ostdeutschland schon sagen, 'die ist einfach nicht mehr eine von uns'.
Pofalla: Also ich glaube, dass die Menschen in den neuen Bundesländern wissen - übrigens in den alten Bundesländern auch - dass Angela Merkel aus den neuen Bundesländern kommt. Aber man muss doch jetzt nicht aus allen Poren einer Person spüren, wo sie herkommt. Es wäre, finde ich, bedauerlich, wenn man bei mir merken würde, dass ich Niederrheiner bin, aus dem Westen komme und aus dem Rheinland, und ich sozusagen als rheinische Frohnatur Politik betreiben würde. Dann, meine ich, würde ich Teile nicht abdecken, die ich politisch auch für richtig halte.
Deutschlandradio Kultur: Lassen wir das mal mit der persönlichen Herkunft - kommen wir mal zu dem thematischen Defizit, das die Union auch aufweist. Die Union hat ja dem Aufbau Ost in ihrem Wahlprogramm nicht gerade einen besonders großen Stellenwert eingeräumt.
Pofalla: Wir haben deutlich gemacht, dass wir zu den Regelungen stehen, die man auf der föderalen Ebene zwischen Bund und den Ländern und den neuen Bundesländern noch bei dieser Bundesregierung vereinbart hat, dass die weiter gelten. Damit steht fest, dass bis zum Jahre 2019 im dreistelligen Milliardenbereich liegende Summen nach wie vor den neuen Bundesländern zur Verfügung stehen, um den Aufbau in den neuen Bundesländern abzuschließen.
Deutschlandradio Kultur: Aber da argumentieren Sie jetzt sehr haushalterisch und das ist ja genau der Punkt. Frau Merkel hat gesagt, sie möchte aus der "Chefsache Aufbau Ost" unter Schröder die "Herzenssache Aufbau Ost" machen und davon ist einfach relativ wenig zu spüren - noch nicht mal auf der programmatischen Ebene, jenseits dessen, was Sie genannt haben. Im Wahlprogramm gibt es anderthalb Seiten zu dem Thema - genau so viel wie für die Energiepolitik oder für die Infrastrukturpolitik. Wo ist das Konzept, das geschlossene Konzept der Union für den Aufbau Ost?
Pofalla: Nun warten Sie mal ab. Wir haben ja jetzt noch fünfeinhalb Wochen und ich nenne nur mal zwei Elemente, die ja noch kommen. In der nächsten Woche wird Frau Merkel ihr Kompetenzteam vorstellen. Ich glaube, dass man aus der Vorstellung des Kompetenzteams auch Ableitungen für das Thema "neue Bundesländer" wird vornehmen können. Mehr werde ich natürlich jetzt nicht dazu sagen.
Und das Zweite: Wir werden ganz sicher im Bereich Ende August ein 100-Tage-Programm vorlegen für den Fall einer Regierungsübernahme unter Führung von Angela Merkel, und in diesem 100-Tage-Programm wird es ganz entscheidende Punkte auch für die neuen Bundesländer geben. Wir wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir Ihnen als Journalistinnen nicht die Gelegenheit geben könnten, uns jetzt noch zu kritisieren…
Deutschlandradio Kultur: Sie hätten jetzt die Möglichkeit gehabt, uns Ihr Konzept auszubreiten.
Pofalla: Ja, aber dann würde ich den Spannungsbogen, den wir ja bewusst vorbereiten, unterbrechen. Also wir wollen Ihnen ja die Gelegenheit auch geben, dann im Verlauf des Wahlkampfes Ihre Meinung zu korrigieren.
Deutschlandradio Kultur: Also fünfeinhalb Wochen bis zur wahrscheinlichen Bundestagswahl, wenn das Bundesverfassungsgericht da nicht noch einen Strich durch die Rechnung macht. Vor ein paar Wochen war die Union ja sehr selbstsicher, dass sie die Wahl gewinnen wird. Frau Merkel wurde ja quasi schon als Kanzlerin angesprochen. Nun sind die jüngsten Umfragewerte nicht mehr so positiv. Es gab diese kleinen Pannen hier und da, die wir jetzt nicht mehr aufzählen wollen - man hat doch den Eindruck, dass diese Selbstsicherheit etwas angekratzt ist. Führt das eigentlich auf Seiten der Union eher zu Nervosität oder eher zu mehr Kampfgeist und Geschlossenheit?
Pofalla: Ich kann für mich nur reden, ich bin nicht nervös. Ich kann deshalb nicht darüber berichten, ob andere diese Nervosität haben. Für mich stehen bereits heute zwei Sachen fest: Für mich steht fest, dass Schröder nach dem 18. September, unabhängig von prozentualen Einzelergebnis der SPD, ganz sicher nicht mehr Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Das halte für zu 100 Prozent feststehend, weil ja unter keinem logischen Gesichtspunkt auch nur im Ansatz Mehrheiten erkennbar sind, die ihn zum Kanzler wieder wählen könnten.
Deutschlandradio Kultur: Nein, aber es wird wahrscheinlich, was Sie nicht wollen und Frau Merkel am aller wenigsten will - nämlich eine große Koalition.
Pofalla: Das halte ich überhaupt nicht für die wahrscheinlichste Option, sondern ich bin sicher - und das ist die zweite Feststellung, die ich heute mache - ich bin sicher, dass Angela Merkel die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden wird. Und das, was ich für nicht entschieden halte, ist, wird sie eine komfortable Mehrheit haben mit der FDP zusammen, um das, was wir für richtig halten, umzusetzen? Dafür werden wir in der Tat in den nächsten fünfeinhalb Wochen massiv kämpfen müssen. Die Frage halte ich nicht für entschieden.
Deutschlandradio Kultur: Nun legt die SPD im Moment leicht zu, von einem zugegeben relativ niedrigen Niveau - nicht zuletzt vielleicht auch deshalb, so sagen es jedenfalls Analysten, weil die Entwicklungen am Arbeitsmarkt leicht positiv sind. Es gibt saisonbereinigt weniger Arbeitslose als zuvor. Jetzt wissen Sie vielleicht selber gar nicht so richtig, ob Sie das freuen soll, dass es diese Bewegung gibt, oder?
Pofalla: Doch, es würde mich freuen - die Bewegung gibt es ja nicht, die Sie beschreiben. Ich wäre ja froh, wenn sie da wäre. Wir haben noch eine so dramatische Lage am Arbeitsmarkt, die gekennzeichnet ist durch die höchste Arbeitslosigkeit seit 1945 auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, dass wir Tag für Tag tausend sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse verlieren.
Deutschlandradio Kultur: Dieser Trend ist gestoppt.
Pofalla: Wenn Sie sich die Zahlen im Juli ansehen und vergleichen mit dem vergangenen Jahr, dann sind es über 300.000, die wir wieder verloren haben und dieser Trend ist überhaupt nicht gestoppt. Ich wäre ja froh, wenn er gestoppt wäre, weil in dieser Schere die ganzen Probleme, die wir in den Sozialversicherungssystemen, im Steuersystem auf der staatlichen Einnahmeseite haben, im Kern da ihren Ursprung haben.
Deutschlandradio Kultur: Aber laut Bundesagentur für Arbeit ist die Erwerbstätigkeit gestiegen.
Pofalla: Natürlich kann ich Programme hochfahren und damit sozusagen die Beschäftigung steigern, aber im eigentlichen ersten Arbeitsmarkt verändert sich damit überhaupt nichts. Und da ist ja genau das Problem, das wir haben, dass wir wahrscheinlich am Ende dieses Jahres zum ersten Mal seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, unterhalb von 26 Millionen Menschen sein werden, die einen Vollzeitbeschäftigungsarbeitsplatz haben. Diese Entwicklung ist dramatisch, und die muss verändert werden.
Deutschlandradio Kultur: Aber dafür steigt die Zahl der Selbständigen und der Unternehmensgründungen, und -laut Mittelstandsmonitor der Handelskammer Hamburg - ist im Saldo die Zahl der Gründungen höher als die der Liquidierungen.
Pofalla: Ja, aber erstmal haben wir die höchste Rate der Konkurse der letzten Jahre…
Deutschlandradio Kultur: Aber der Saldo ist trotzdem positiv.
Pofalla: Ja, aber es hilft doch nicht. Die 40.000 Unternehmensinsolvenzen, die wir im vergangenen Jahr hatten und die wir vielleicht in diesem Jahr knapp unterschreiten werden, sind die höchsten Insolvenzzahlen, die wir je hatten, und dahinter verbergen sich ja hunderttausende von Menschen, die in diesen Unternehmen gearbeitet haben. Und der Saldo entsteht dadurch, weil die Ich-AGs natürlich als Unternehmensgründungen mit eingerechnet werden. Die Ich-AGs sind nicht erfolgreich, deshalb werden wir sie auch wieder abschaffen, obwohl wir die bestehenden Regelungen und Förderungen nicht angreifen werden.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man der Bundesregierung etwas vorwerfen kann, dann doch bestenfalls, dass sie die Situation, die sie vorgefunden hat, nicht verbessert hat. Denn wenn man mal anders rechnet, fehlten Anfang 98 mehr Jobs. Wenn man so herum rechnet, nach dem Fehlen von Arbeit fragt, dann sind nämlich Ihre ganzen AB-Maßnahmen von damals und die Ich-AG’s von heute mit eingerechnet und dann fehlten eben Anfang des Jahres 2005 weniger Jobs als vor sieben Jahren.
Pofalla: Ja, das ist das Schöne an Statistiken, da ich sie aber kenne, nenne ich Ihnen das Gegenargument: Wenn Sie das mit den Januar-Zahlen vergleichen, ist Ihre Einschätzung richtig, wenn Sie es mit den Juli/August-Zahlen vergleichen, ist Ihre Einschätzung falsch, weil, dann wir heute haben - verglichen mit der Jahresmitte des Jahres 98…
Deutschlandradio Kultur: Ja, die Jahresmitte haben wir ja nun extra nicht genommen, weil der damalige Kanzler Kohl seinerzeit kurz vor den Wahlen 98 noch mal ganz viele Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgelegt hat…
Pofalla: Es gab jedenfalls in der Mitte des Jahres 2005 700.000 Menschen mehr Arbeitslose heute als im Jahr 98.
Deutschlandradio Kultur: Kommen wir mal zu ein paar Punkten, wo Sie vielleicht ja gar nicht so uneinverstanden sein könnten, nämlich mit Maßnahmen der Wirtschafts-, Steuer-, und Arbeitsmarktpolitik, die Rot-Grün in den vergangenen Jahren beschlossen hat: zum Beispiel die Erleichterung für Existenzgründer, die Entlastung der kleinen und mittleren Unternehmen um 17 Milliarden Euro bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer, außerdem ein erleichterter Zugang zu Krediten mit niedrigen Zinsen für Innovationsinvestitionen, Deregulierung und Bürokratieabbau - das müssten doch Punkte sein, Herr Pofalla, wo Sie sagen, 'gut, kommt zwar von Rot-Grün, trotzdem richtig'?
Pofalla: Ich bestreite überhaupt nicht, dass einzelne Elemente der Regierungspolitik richtig waren, aber es war nicht eingebettet in Grundsatzreformen. Es ist mal da an einer Schraube gedreht worden, die richtig war und es ist an einer anderen Stelle Politik gestaltend eingesetzt worden, aber das Gesamtkonzept - ein integriertes Konzept aus Steuerreform, Arbeitsmarktreform und Wirtschaftsreform – konnte nicht umgesetzt werden. Und das hat nicht stattfinden können, weil die SPD-Bundestagsfraktion eben vieles nicht mitmacht.
Deutschlandradio Kultur: Jedenfalls scheinen die Firmen in der Bundesrepublik trotzdem neues Vertrauen zu fassen. Das geht aus dem Ifo-Institut-Index - eine Art Stimmungsbarometer der Wirtschaft - hervor. Da ist es so, dass sich dieser Index im Juli überraschend positiv entwickelt hat. In der Analyse sagen nun die meisten, das habe keineswegs etwas damit zu tun, was Sie jetzt wahrscheinlich gerne sagen würden, dass das schon eine Art 'Merkel-Effekt' wäre, dass die Stimmung so positiv ist, weil alles darauf hofft, dass Frau Merkel Kanzlerin wird.
Pofalla: Ich bin in der Tat der Auffassung, dass durch diese Analyse des Ifo-Instituts deutlich wird, dass wir da eine Aufhellung am Stimmungsmarkt der deutschen Wirtschaft haben und führe dies in der Tat darauf zurück, dass die deutsche Wirtschaft und diejenigen, die da Verantwortung tragen, sehen, dass wir jetzt die Chance haben eine Bundeskanzlerin zu bekommen, die Wirtschaftspolitik integriert betreibt und von daher hat sich die Stimmung verbessert.
Deutschlandradio Kultur: Die Wirtschaft selbst sagt aber, sie führe es darauf zurück, dass der Euro-Kurs im Moment im Vergleich zum Dollar etwas günstiger ist, dass es unerwartet viele Neuaufträge in der Industrie gibt und dass sie eben auch auf die weltwirtschaftlichen Indikatoren setzen, die sich verbessern - nix von Merkel.
Pofalla: Ja, das ist ja auch statistisch nicht zu messen. Sie haben mich ja nach meiner Meinung gefragt. Es gibt in den Statistiken ja nicht den 'Merkel- oder Schröder-Faktor', aber ich verspüre in der deutschen Wirtschaft - und ich bin ja für Wirtschaftspolitik verantwortlich und besuche sehr viele Unternehmen - schon die Hoffnung auf eine neue Kanzlerin Angela Merkel und auch den Wunsch, jetzt eine andere Regierungspolitik im Bereich der Wirtschaftspolitik zu bekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wären eigentlich die Tage der Bundesagentur für Arbeit unter einer schwarz-gelben Regierung gezählt?
Pofalla: Nein, eindeutig nicht, und das muss man auch richtig stellen: Die Bundesregierung hat einen zentralen Fehler begangen im Zusammenhang mit der Bundesagentur. Der Fehler bestand darin, dass sie der Bundesagentur in einem Jahr, wo der größte innere Umbauprozess der Bundesagentur, der jemals stattgefunden hat, stattfindet, dieser Bundesagentur noch zusätzlich das riesige Reformvorhaben der Hartz IV-Reform oben aufzubürden.
Deutschlandradio Kultur: Die Sie aber auch richtig fanden.
Pofalla: Die Hartz IV-Reform halte ich für richtig. Was ich für falsch halte und was wir auch deutlich gemacht haben ist, dass diese Aufgabe im Kern von der Bundesagentur von 69 Ausnahmen - von Optionskommunen mal abgesehen – dass im Kern diese Aufgabe die Bundesagentur übernommen hat. Das haben wir für falsch gehalten. Und um das mal in Arbeitsplatzzahlen zu sagen: die Bundesagentur musste nur deshalb, weil sie Hartz IV als Aufgabe übernehmen musste, über 30.000 Mitarbeiter umschulen, und das in einem Prozess, wo die Bundesagentur ihrerseits sich selber neu organisiert.
Deutschlandradio Kultur: Gut, kommen wir zurück zur Ausgangsfrage: Anders als Herr Niebel von der FDP möchten Sie sie nicht abschaffen. Warum eigentlich nicht?
Pofalla: Weil ich glaube, dass die Bundesagentur auf einem richtigen Weg ist. Wenn der Umbauprozess abgeschlossen ist, besteht die gute Chance, dass die Bundesagentur das wird, was wir für richtig halten - nämlich ein Kompetenzzentrum für Vermittlung von Arbeitslosen. Und ich glaube, diese Chance sollte man der Bundesagentur lassen, diesen Reformprozess bis zum Jahresende abzuschließen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Pofalla, werden wir Sie dann nächste Woche bei der Vorstellung des berühmten so genannten 'Kompetenzteams' von Angela Merkel in der Rolle des Fachmanns in Fragen für Wirtschafts- und Finanzen im Team wieder finden?
Pofalla: Das ist wie das Ungeheuer von Loch Ness.
Deutschlandradio Kultur: Halten Sie das für einen guten Vergleich?
Pofalla: Ja, finde ich einen sehr guten, weil das kommt auch mal und mal kommt es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sich jetzt mit dem Ungeheuer von Loch Ness vergleichen, dann heißt das, Sie rechnen nicht damit, dass Sie darin wirklich 'auftauchen' werden, so dass alle es sehen können?
Pofalla: Nein, das war gar nicht der Vergleich, sondern das Ungeheuer von Loch Ness, und nur darauf habe ich mich bezogen, war als Beispiel dafür gedacht, dass immer darüber spekuliert wird, kommt es oder kommt es nicht, dass ich mich selber damit nicht vergleiche, erübrigt sich von selbst.…
Deutschlandradio Kultur: Aber das Kompetenzteam wird doch kommen?
Pofalla: Natürlich.
Deutschlandradio Kultur: Das Verrückte ist doch, dass Ihr Vorgänger in diesem Amt, Friedrich Merz - zumindest eine Art Teilnachfolger von ihm sind Sie ja, denn Sie haben die Aufgaben, die Friedrich Merz als Vize-Fraktionsvorsitzende seinerzeit hatte, geteilt mit Ihrem Kollegen Michael Meister - dass also bei Friedrich Merz überhaupt gar keine Frage gewesen wäre, niemand angezweifelt hätte, dass er in dem Kompetenzteam für diesen Bereich zuständig sein würde.
Pofalla: Was wollen Sie denn jetzt mit der Fragestellung suggerieren? Ich habe mich um dieses Amt nicht bemüht, ich habe mich darum nicht beworben. Ich mache gerne Politik, Funktionen sind mir relativ egal, das muss ich Ihnen ehrlicherweise sagen. Friedrich Merz ist freiwillig zurückgetreten, er ist nicht dazu gezwungen worden, und der Überraschteste, den Sie überhaupt finden konnten, dass Angela Merkel mich ausgewählt hat, war ich selber. Ich leide nicht unter mangelnder Anerkennung. Ich ruhe in mir selber und warte jetzt, was am kommenden Mittwoch kommt.
Ronald Pofalla: Geboren am 15. Mai 1959 in Weeze, Kreis Kleve; evangelisch, verheiratet. Besuch der Volks- und Hauptschule Weeze, 1975 mittlere Reife; Fachoberschule für Sozialpädagogik Kleve, 1977 Fachhochschulreife; 1977 bis 1981 Studium der Sozialpädagogik an der Fachhochschule Düsseldorf, 1981 Diplomsozialpädagoge. 1981 bis 1987 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Köln, 1987 erstes juristisches Staatsexamen. 1988 bis 1991 Rechtsreferendar am Landgericht Kleve, 1991 zweites juristisches Staatsexamen. Seit 1991 Rechtsanwalt.
Mitglied beim Technischen Hilfswerk Geldern und bei der DLRG Weeze. Seit 1975 Mitglied der CDU. 1979 bis 1992 Fraktionsvorsitzender der CDU-Mehrheitsfraktion der Gemeinde Weeze, 1986 bis 1992 Landesvorsitzender der Jungen Union Nordrhein-Westfalen. Seit 1991 CDU-Kreisvorsitzender im Kreis Kleve, seit 1995 Mitglied im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2000 Bezirksvorsitzender der CDU Niederrhein. Mitglied des Deutschen Bundestages seit 1990. 2002-2004 Justitiar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Am 26.10.2004 Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Aufgabenbereich Wirtschaft und Arbeit.