Poetische Rituale

Die Büchner-Preisträgerin Sarah Kirsch gehört seit fünf Jahrzehnten zu den bedeutendsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Mit "Regenkatze" liegen nun Prosatexte in Tagebuchform vor. Am "1. Septembrius 2003, Montauk" begonnen, führen sie bis zum "18. Zebra 2004, Mistwoch" und verkünden eine ungebrochene Lust am Sprachspielerischen.
Das literarische Schaffen von Sarah Kirsch geht ins fünfte Jahrzehnt. Seit 1960 schreibt die im Südharz geborene Ingrid Bernstein( bewusster Künstlername Sarah Kirsch) an einem Werk, dessen einzelne Titel in einem seltsam vertrauten Dialog zueinander stehen. So wird die eindringliche Sprachsorgfalt der "Wintergedichte" von 1978 in "Schneewärme", einem Gedichtband aus dem Jahr 1989, aufgefangen und fortgeschrieben. Selbst die traumschweren Nebel aus den frühen "Zaubersprüchen" (1974) ziehen noch in "Schwanenliebe. Zeilen und Wunder" von 2001 herauf. Diese Verzweigungen sind von Zeit zu Zeit durch Prosa ergänzt worden, die von graziler Sprachgeste und ernster Substanz ist.

Mit "Regenkatze" legt Kirsch nun lyrische Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2003/2004 vor, die an bekannte poetische Rituale anknüpfen. Die Beobachtungen des Wetters sowie von Flora und Fauna bilden ein festes Zentrum, das konkret ist, aber auch metaphorische Bedeutung besitzt. Die Sorge um das Wohl der Katzen ist nur in erster Instanz rein praktischer Art. Mit ihnen schleicht auf Samtpfoten die Erinnerung durchs Haus. Auch die Post des Briefträgers oder die Nachrichten des eingeschalteten Radiosenders bedeuten eine Zäsur im täglichen Rhythmus, der vom Hören klassischer Musik und vom täglichen Lesepensum bestimmt wird.

Am "1. Septembrius 2003, Montauk" begonnen, führen die unterschiedlich langen Tagebucheintragungen bis zum "18. Zebra 2004, Mistwoch" und verkünden, wie schon in früheren Texten, eine ungebrochene Lust am Sprachspielerischen. Doch die Chronologie hat keine Bedeutung. Zu groß ist die Verlockung, beliebig eine Seite aufschlagen zu können und ohne Blick auf das Datum im Text herumzustromern. Die zufälligen Entdeckungen sind der eigentliche literarische Ertrag dieser Tagebuchprosa, in der es nicht nur ums Wetterleuchten und um Nebelschwaden geht. Ein Beispiel dafür ist der "11. Septembrius 2003, Donner". Zwischen der lakonischen Notiz, es sei "Vollmond" und der Vermutung, es werde bald regnen, fallen die Stichworte Bin Laden, schwedische Außenministerin, Ground Zero und Ramallah.
"Dunkele reale Wolken niedrigster Art über Schließlich-Holzbein", lautet der Kommentar der Dichterin dazu.

Mit dem Tagebuch nutzt Kirsch erneut eine Möglichkeit sprachlicher Intimität, die als literarische Form in ihr Gegenteil verfällt. Mundartliches und verschiedene Stilebenen, die stark von Emotionalität geprägt sind, verleihen den Texten eine Authentizität, die genau konzipiert ist.

Rezensiert von Carola Wiemers

Sarah Kirsch "Regenkatze"
DVA 2007. 143 Seiten. 16,95 Euro