Poesie

Worte wie Flammen

Kerzenflamme im Dunkeln
Koschel gehörte zu den wenigen Lyrikerinnen, die bei der "Gruppe 47" lasen. © dpa
Von Carola Wiemers · 31.01.2014
Längst bekannt für den Metaphernreichtum ihrer Poesie, überzeugt Christine Koschel auch in ihrem neuen Lyrikband "Bis das Gedächtnis grünet" mit besonderer Wortgewalt. Gedichte wie Flammen im Dunkeln der Nacht.
Als die 1936 in Breslau geborene Lyrikerin Christine Koschel - sie arbeitet auch als Übersetzerin und Kuratorin – 1978 zusammen mit Inge von Weidenbaum die erste Ingeborg Bachmann-Werkausgabe herausgab, lag ihr lyrisches Debüt schon lange vor. Es erschien 1961 unter dem wunderbaren Titel "Der Windschädel". Danach folgten "Phalfuga" (1966) und "Zeit von der Schaukel zu springen" (1975), 1992 "Das Ende der Taube" und erst 2011 "Nel sogno in bilico/In der Traumschräge".
Koschel gehörte zu den wenigen Lyrikerinnen, die bei der "Gruppe 47" lasen, das war 1963 in Saulgau. In Rom, wo sie seit 1965 lebt, gehörte sie zum engen Freundeskreis Ingeborg Bachmanns. Mit ihr machte sie ausschweifende Spaziergänge durch die Stadt und sie war an ihrer Seite als die Bachmann 1973 starb.
Der Solar Plexus der Poesie
Der Titel ihres Gedichtbandes "Bis das Gedächtnis grünet" verweist auf den Solar Plexus ihrer Poetologie. Während das Wörtchen "bis" zwischen einer zeitlich-räumlichen Präposition und Konjunktion pendelt, verweist der bestimmte Artikel "das" auf eine Kunst des Erinnerns, die verlernt scheint. Im stilistisch rückwärtsgewandten "grünet", das märchenhaft veraltet klingt, deutet sich ein Weg an, dem Vergessen auf die Spur zu kommen.
Indem Koschel die Worte vom Ballast der Bedeutungen befreit, vermag sie sich selbst treu zu bleiben. Sie entfaltet eine besondere Mnemotechnik, die auf Mündigkeit zielt im "irren Gestöber/ von merkantilen Zeichen". Der Vers findet sich im Gedicht "Wort halten", in dem der Dichter als "Wimpelträger" das Wort vor den Widrigkeiten einer "Gaunersprache" zu bewahren hat. In diesem Sprachgestus verbirgt sich auch eine Hommage an die Dichterfreundin Ingeborg Bachmann.
"Ohne Haken für den Fuß"
Koschels Gedichte provozieren in ihrer Klarheit und Wort-Dichte. Ihnen ist ein Dazwischen eigen, das sich im Sprachakt selbst entfaltet. So droht in dem dreistrophigen Gedicht "In der Schwebe" der Fall aus Zeit und Raum. Denn kein Halt ist mehr, wenn einer "ohne Haken für den Fuß" in der "Steilwand" hängt. Und während in der Wiederholung des Wortes "kein" - "kein Fixseil keine Kante und kein Riß" - eine gefährliche Steigerung erfolgt, "leckt" die Tiefe bereits an dem Gipfelstürmer.
Im Gedicht "Schrunden" wird anschaulich, wie präzise die Dichterin arbeitet und wie gewissenhaft sie mit dem Sinnkern eines Wortes umgeht. Denn wo einer in den "verzackten Schrunden" "eingeduckt" hockt, verkümmert er. Aus ihm wird, ähnlich wie in Platons "Höhlengleichnis", ein "Schattenriß" – fällt in die "Spalte" (Schrunde) wortloser Angst.
In Christine Koschels Gedichten nistet der Entwurf einer Ästhetik, in der es um Wahrhaftigkeit geht. Die schmale Stelle, wo „Wahrsinn“ in Wahnsinn kippt, lotet sie mit kundiger Ernsthaftigkeit aus.

Christine Koschel: Bis das Gedächtnis grünet, Gedichte
Mit einem Nachwort von Ruxandra Niculescu"
Edition Rugerup, Berlin/Hörby (Schweden) 2013, 126 Seiten, 17,90 Euro