Poesie vom Typen am Hotdog-Stand

Von Bettina Klein |
Mit eigenwilligen Ideen versuchen zwei junge Autoren, die Literaturszene Miamis zu beleben. Die Menschen sollen überall Gedichten begegnen - das ist das Ziel des Poetryfestivals "O, Miami".
Scott Cunningham, einer der beiden Erfinder des Poesie-Festivals "O, Miami." Eröffnungszeremonie unter freiem Himmel - und mit der Resolution für ein poetisches Miami.

"Hiermit erklären wir während des Monats April 2011 das folgende zu Poesie: Jede Äußerung über 0,1 Dezibel, alle handgeschriebenen Worte, alle Worte mit einer Maschine geschrieben ... alle Twitter-Nachrichten, in denen der Buchstabe "O" oder das Wort "Miami" vorkommen ..."

Und es folgt noch eine lange Liste. Ein weitgefasster Poesie-Begriff. Und das war erklärtes Ziel der Festival-Begründer. Pete Borrebach, der Mitbegründer von "O, Miami":

"Für gewöhnlich kommen bei einem Literaturfestival in den USA ein paar berühmte Dichter an eine bestimmte Stätte. Und Leute, die es sich leisten können, nehmen da an Workshops teil oder gehen zu Lesungen. Aber das ist sehr abgeschottet. Und nicht viele werden damit erreicht. Wir wollten das Modell wirklich auf den Kopf stellen, statt dass die Menschen zu den Dichtern kommen, bringen wir Dichter zu den Menschen."

Vielleicht am wörtlichsten nimmt diesen Auftrag Katherine Leyton, Autorin aus Toronto, mit ihrem Projekt "How pedestrian". Sie spricht nach dem Zufallsprinzip Leute auf der Straße an, bittet sie, ein Gedicht vorzutragen - und nimmt das Ganze mit der Videokamera auf.

"Ich war über lange Zeit wirklich frustriert von der allgemeinen Auffassung, dass Poesie bedeutungsschwer oder langweilig ist. Das stimmt einfach nicht. Ich wollte zeigen, dass man zu Gedichten einfach Zugang finden kann, dass sie Teil des Alltags sein können, lustig, traurig, berührend oder peinlich, das wollte ich zeigen."
Erster Versuch: Der Typ an einem Hot-Dog-Stand auf der Flagler Street in Downton Miami. Ein junger Mann mit Brille und Stoppelbart. Wie ein Lyrik- Freak sieht er eigentlich nicht aus. Katherine fragt ihn, in der Hand das Buch "Paper Radio" von Damian Rogers, einer in Detroit geborenen Autorin, die jetzt auch in Toronto lebt. Der Typ nickt, nimmt das Buch liest einmal leise und dann laut den Anfang von "Hard Water":

" I'm beginning to think God is a cold pool in Tucson
surrounded by red doors. Send me a signal, my body
an underwater antenna tuned to a black line of tile.”"

Als hätte er nie etwas anderes getan, als vor der Videokamera Gedichte vorzutragen.

""Seit der Highshool habe ich eigentlich kaum noch mal Gedichte gelesen, jedenfalls nicht besonders gern."

Wie aufgeschlossen sind die Leute hier in Miami - im Vergleich zu Toronto?

"Ich finde, die Menschen sind hier ausdrucksstärker, sie tragen ein bisschen dicker auf, im Sinne von: Sie spielen ein Gedicht. Während die Leute in Kanada das eben einfach lesen und da kontrollierter sind."

Timothy Schmand hat sich bei der Auswahl eines Gedichtes, dass er selbst verfasst hat und hier vortragen soll, auf ein eher makabres Thema geworfen.

"Dressing for Desaster”"

Was ziehen die Leute morgens an, die man abends im Fernsehen bei irgendeiner Katastrophe sieht?

""Beim Aufwachen wusstest Du noch nicht, dass Du berühmt sein würdest. Du wusstest es noch nicht, als Du Dich für die löcherige Wäsche statt der knackigen, weißen entschieden hast, die Du für einen bedeutenderen Moment aufheben wolltest ... Wozu auch? Es spielte keine Rolle."

Timothy Schmand hat sein Leben lang geschrieben und hatte eine Halbtagsstelle im Bayfront Park Miami. Heute ist er der Manager. Es ist einer der größten und zentral gelegenen Grünanlagen direkt am Ufer von Biscayne Bay.

"Miami ist wie eine fortdauernde Tondichtung über das Leben, darüber, wie so verschiedene Menschen hierherkommen - und es hier versuchen. Miami ist wie ein Gedicht jeden Tag. Wir machen uns nicht immer die Mühe, das zu festzustellen. Aber es gibt hier Momente überraschender Schönheit, die man einfach gern beim Dichten einfängt."

Die ehemalige Mord- und Drogenhauptstadt als Ort der Poesie. Das Kunst- und Kulturleben hat in den vergangenen zehn Jahren enormen Auftrieb erhalten. Für die Begründer von "O, Miami" war naheliegend, dass nun auch die Dichtkunst ihren angemessenen Stellenwert hier bekommt. Mit einem Poesiefestival der etwas anderen Art.

"Miami erlebt gerade eine Art kultureller Blüte. Wir erfinden hier nichts Neues, sondern legen das offen, was da ist. Und da gab es schon immer dieses poetische Miami, das ist 'O' Miami'!"