Podcast "Invisible Blackness"

Den Finger in die größte Wunde der USA gelegt

06:14 Minuten
Adrian Younge bei der Netflix Premiere von "The After Party", 2018.
Rund um den Black History Month veröffentlicht Jazzmusiker Adrian Younge das Multimediaprojekt "The American Negro". © AFP/Lisa O'Connor
Von Oliver Schwesig · 15.02.2021
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Adrian Younge gehört zu den spannendsten US-Jazzern. Doch statt weicher Töne liefert er in seinem neuen Podcast harte, schmerzhafte Fakten. In mehreren Folgen spricht er unter anderem mit Chuck D von Public Enemy über Schwarzes Leben in den USA.
"Bin ich Amerikaner? Natürlich! Liebe ich Amerika? Definitiv! Aber ich bin ehrlich mit unserem Verhältnis zueinander – es ist dysfunktional. Und trotzdem: Wir gehören zusammen."
Jazzmusiker Adrian Younge legt in seinem Podcast "Invisible Blackness", der Teil des Multimediaprojektes "The American Negro" ist, das auch noch als Film und Platte erscheint, seinen Finger auf die größte US-amerikanische Wunde. Er nimmt ihn bis zum Schluss nicht wieder weg.
Es ist ein unbequemes Hören. 400 Jahre Entstehung und Entwicklung von Rassismus. Keiner wird verschont: Younge zählt US-Präsidenten auf, die selbst Sklaven hielten.

Alte Helden werden entmystifiziert

Der Westernheld John Wayne? Rassist. Younge entmystifiziert Abraham Lincoln, der die Sklaverei nur abschaffte, weil es ihm militärisch gegen den Süden in den Kram passte. Für die Schwarze Bevölkerung hatte er nur Verachtung über. Und Younge findet sogar Stellen in der Bibel, wo die Sklaverei befürwortet wird.
Sklavenhandel, das war über Jahrhunderte ein Milliardengeschäft – zu lukrativ, um abgeschafft zu werden. Deshalb wurde dieses Geschäft durch rassistische Gesetze geschützt. Die Ursünde für den strukturellen Rassismus in seinem Land, sagt Younge und betont: Der Rassismus war nicht vor der Sklaverei da, sondern er war eine Konsequenz daraus.
"Unsere Gründungsväter haben die Unabhängigkeitserklärung, die Gesetze und die Verfassung mit dem Gedanken geschrieben, dass alle Menschen gleich sind. Aber mit 'Menschen' waren ausschließlich weiße, männliche Landbesitzer gemeint. Schwarzen wurden zwar immer bessere Zeiten versprochen – und uns geht es jetzt ja auch schon viel besser –, aber bessere Behandlung bedeutet nicht automatisch gleiche Behandlung. Indem immer wieder leere Versprechungen gemacht wurden, wurde das Problem nur unter den Teppich gekehrt. Aber diese Verpflichtung den Schwarzen gegenüber müssen wir wiedererkennen. Wir müssen erkennen, dass die Geschichte unseres Landes darauf aufbaut, dass dieses Problem immer wieder verschoben wurde."

Kampf um die Definitionshoheit

Aus den Sklavengesetzen wurden die Jim-Crow-Gesetze, die die rechtliche Ausgrenzung und Unterdrückung von Schwarzen im 20. Jahrhundert festschrieben. Younge beschreibt Rassismus als eine Art amerikanisches "Dauergesetz".
Was hat sich da bis heute getan? Das bespricht Younge zum Beispiel in einer Podcast-Folge mit Chuck D von Public Enemy. Er erzählt, wie sich in seinem Leben die Bezeichnung für Afroamerikaner geändert hat, wundert sich aber bis heute über die absurden Definitionsversuche für "Schwarz", die vor allem von der weißen Mehrheitsgesellschaft kommen.
"In den ersten zehn Jahren meines Lebens ging es von 'Negro' – das noch auf meiner Geburtsurkunde 1960 eingetragen wurde – bis zu 'colored', also 'farbig', während der Bürgerrechtsbewegung. Am Ende der 60er hieß es dann nur noch 'schwarz'. Das wurde dann auch vom Kulturbetrieb übernommen. Zum Beispiel von James Brown mit seiner berühmten Zeile: 'I'm black and I'm proud.' Mit unserem Public-Enemy-Album 'Fear of a Black Planet' wollten wir eigentlich nur sagen: Leute, der Planet ist die ganze Zeit schon farbig. Aus dem kommt ihr genauso wie wir, aber ihr regiert ihn nicht."

Klare Sprache, niemals trocken

"Invisible Blackness" ist angelegt wie eine Vorlesung in US-Geschichte. Spannend und eloquent. Young erzählt in klarer Sprache und ohne trockenen Wissenschaftsduktus. Ausführlich legt er Wurzeln und Auswirkungen des Rassismus in den USA dar. Das Ganze wird bisweilen von einem weich-groovigen Souljazz-Klangteppich begleitet. Das ist die Adrian-Younge-Musik, die man von seinen Platten kennt.
Die Geschichte, die er erzählt, ist nicht neu. Aber sie entfaltet in dieser mehrstündigen Ballung große Wucht. Sie muss angesichts all der Fragen immer wieder erzählt werden, die man sich stellt, wenn man die jüngsten Ereignisse in den USA sieht.

"Der letzte Atemzug meiner Kultur"

Younge bietet keine Antworten, stellt keine Forderungen, sondern will, dass die Diskussion weitergeht. Jeder soll sich dabei selbst befragen. Rassismus, damals wie heute, da hat sich leider nicht viel verändert. Younge zieht eine Linie von den erdrückenden Zuständen auf einem Sklavenschiff bis zur rassistischen Polizeigewalt von heute:
"Das übergreifende Thema: 'Rasse' ist ein soziales Konstrukt ohne biologische Wahrheit. Ein Irrtum, den eingewanderte Europäer zu Beginn der USA manifestiert haben. Mit nur einem Ziel: die Schaffung eines internationalen Syndikats, das eingeschiffte Afrikaner kontrolliert und ausbeutet. Vergegenwärtigt euch das noch mal: Das Fundament unserer Zivilisation wurde damit gebaut. Mit den Afrikanern, die schon damals in den Schiffen nicht genug Luft zum Atmen hatten. 'I can't breathe' das steht auch heute immer noch für den letzten Atemzug meiner Kultur. Die Lebensenergie, die uns genommen wird."
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