Pleuger verteidigt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon
Der ehemalige UN-Botschafter Deutschlands Gunter Pleuger hat Kritik an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zurückgewiesen: der sei nunmal nicht der "Chef einer Weltregierung". Die norwegische UN-Botschafterin hatte Ban als "führungsschwach" bezeichnet.
Nana Brink: Die Diskussionen gibt es, seit es die Vereinten Nationen gibt, also seit 1945: Wie sind die 192 Mitglieder auf einen Nenner zu bringen? Kann es eine gemeinsame Politik geben und welche Rolle spielt dabei der Generalsekretär - gerade angesichts der globalen Finanzkrise, der Kriege, Klimakatastrophen und Hungersnöte? Der amtierende UN-Chef Ban Ki Moon - seit 2007 im Amt - ist zum wiederholten Male in die Kritik geraten. Tenor: Er sei zu schwach und zu wenig durchsetzungsfähig. Wir sind jetzt verbunden mit Gunter Pleuger, seit letzten Oktober Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, davor von 2002 bis 2006 der ständige Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York. Guten Morgen!
Gunter Pleuger: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Norwegens UN-Botschafterin Mona Juul hat in einem geheimen Bericht angeblich geäußert, der UN-Chef Ban Ki Moon zeige keinerlei Führungskraft, er glänze durch Abwesenheit und sei nicht engagiert. Ein vernichtendes Urteil?
Pleuger: Ja, das finde ich ein ziemlich vernichtendes Urteil. Nur muss man folgendes sehen: Ban Ki-Moon ist in seiner ersten Amtszeit und wird natürlich verglichen mit der Statur von Kofi Annan, die er noch nicht hat und die er auch noch nicht haben kann. Der Generalsekretär ist im Übrigen natürlich nicht der Chef einer Weltregierung, sondern der Sekretär der Vereinten Nationen, die wiederum auch nur eine ständige Konferenz der Mitgliedsstaaten sind. Deshalb kann der Generalsekretär nur das bewirken, was die Mitgliedsstaaten ihm erlauben zu tun.
Brink: Aber trotzdem hat er doch eine Stimme. Nehmen wir mal seine Stimme anlässlich der Wahl in Afghanistan. Da hat Ban Ki Moon gesagt, er werte diese Wahlen als einen Erfolg. Bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent und immerhin im Südosten des Landes haben ja auch die Taliban die Wahl erheblich gestört. Ist das nicht ein zu positives Urteil?
Pleuger: Ich glaube nicht. Unter den gegebenen Umständen konnte man sehr viel Schlimmeres erwarten - insbesondere auch angesichts der Drohungen der Taliban vor der Wahl. Im Übrigen hat auf den Verlauf der Wahl der Generalsekretär der Vereinten Nationen keinerlei Einfluss. Der Generalsekretär kann letztlich nur durch seine moralische Wirkung, durch seine moralische Macht wirken und die muss er sich natürlich auch erst aufbauen, so wie Kofi Annan auch seinen größten Einfluss erst in seiner zweiten Amtszeit gewonnen hat.
Entscheidungen treffen kann nach der Charta der Vereinten Nationen nur der Sicherheitsrat und die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats können natürlich nach der Charta ganz erheblich wichtige Entscheidungen treffen - bis hin zum militärischen Eingreifen in einer Krisensituation. Wenn sie es tun, dann fordern sie den Generalsekretär auf, diese Beschlüsse umzusetzen, beispielsweise eine Friedensmission zu entsenden. Der Generalsekretär kann das aber nicht unmittelbar ausführen, denn der Generalsekretär hat keinen einzigen Dollar und keinen einzigen Soldaten. Er muss dann die Mitgliedsstaaten bitten, ihn so auszurüsten, dass er die Entscheidung des Sicherheitsrats auch umsetzen kann.
Ruanda ist ein Fall gewesen, in dem in der Tat der Sicherheitsrat völlig versagt hat. Das hat aber dazu geführt, dass unter anderem in der Reformdebatte, die Kofi Annan 2005 angestrengt hat, gerade dieser Fall genommen wurde, um eine Reform umzusetzen in den Vereinten Nationen, die es erlauben würde, in solchen humanitären Situationen wie Völkermord einzugreifen.
Brink: Sie waren nun vier Jahre lang vor Ort, haben das beobachtet. Glauben Sie daran, dass diese Reform umgesetzt wird, und was müsste weiterhin noch passieren?
Pleuger: Die Reform, die Kofi Annan angestoßen hat und zu einem Bericht verdichtet hat von 101 Vorschlägen, ist bisher nur minimal umgesetzt und was fehlt, ist die Umsetzung der wichtigsten Vorschläge dieses Reformpakets. Sehen Sie, die UNO leidet zurzeit unter einer dreifachen Krise: Das eine ist eine Kapazitätskrise - die UNO ist an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen, sowohl was die Kosten von Friedensoperationen angeht, die inzwischen das dreifache des regulären Budgets betragen - also rund sieben Milliarden Dollar pro Jahr - und sie sind mit über 100.000 Männern und Frauen im Feld der zweitgrößte Truppenentsender nach den USA, und darunter leiden die Vereinten Nationen, weil die Mitgliedsstaaten kaum noch bereit sind, diese Last zu vergrößern.
Das zweite ist, dass es eine Legitimitätskrise der Vereinten Nationen gibt, insbesondere des Sicherheitsrats, weil der immer noch die Struktur von 1945 hat, und Legitimität entsteht durch Repräsentativität. Deswegen auch die Idee - die größte Repräsentativität hat natürlich die Vollversammlung mit allen Mitgliedern - aber bei einem kleinen Gremium, das Entscheidungen trifft wie der Sicherheitsrat, wird diese Legitimität nur dann da sein, wenn alle Kontinente, wenn alle Regionen sich in diesem Gremium auch vertreten fühlen, und das ist gegenwärtig nicht der Fall.
Und das dritte ist eine Effektivitätskrise der UNO, die daher rührt, dass wesentliche große Spieler im Sicherheitsrat nicht vertreten sind.
Brink: Also müsste Deutschland auch einen Sitz haben?
Pleuger: So ist es. Und nicht nur Deutschland: Es müssten Deutschland und Japan, aber auch große aufkommende Staaten wie Indien und Brasilien mit eingebunden werden. Und nicht etwa, um dort Großmacht zu spielen, sondern um die Bereitschaft dieser großen Beitragsgeber der UNO zu erhalten, sich im Notfall auch einzusetzen.
Brink: Was mich wieder an den Anfang des Gesprächs führt: Um dies zu erreichen, braucht es ja eine starke Stimme gerade an der Spitze. Wie sieht denn die Idealbesetzung eines Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Sie aus?
Pleuger: Zunächst mal zur Klarstellung: Der Generalsekretär hat nichts mit der Sicherheitsratsreform oder mit der Umsetzung des Reformpakets von Kofi Annan zu tun. Das muss die Generalversammlung machen. So steht es auch in der Charta. Was die UNO als Chef des Sekretariats, also als Generalsekretär braucht, ist eine Persönlichkeit von großer Statur und Ausstrahlung und eine Persönlichkeit, die politisch und moralisch einen großen Einfluss auf die Mitglieder, auf die Regierungen der Mitgliedsstaaten und natürlich auch auf die Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten hat. Das ist eine Eigenschaft, die nicht jeder Generalsekretär von vornherein haben kann, aber ein starker Generalsekretär wird sich diese Eigenschaften im Laufe seiner Amtszeit zulegen.
Brink: Gunter Pleuger, Präsident der Europa-Universität Viadrina und lange deutscher UN-Botschafter. Vielen Dank für das Gespräch.
Pleuger: Bitte schön, Frau Brink. Auf Wiedersehen!
Gunter Pleuger: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Norwegens UN-Botschafterin Mona Juul hat in einem geheimen Bericht angeblich geäußert, der UN-Chef Ban Ki Moon zeige keinerlei Führungskraft, er glänze durch Abwesenheit und sei nicht engagiert. Ein vernichtendes Urteil?
Pleuger: Ja, das finde ich ein ziemlich vernichtendes Urteil. Nur muss man folgendes sehen: Ban Ki-Moon ist in seiner ersten Amtszeit und wird natürlich verglichen mit der Statur von Kofi Annan, die er noch nicht hat und die er auch noch nicht haben kann. Der Generalsekretär ist im Übrigen natürlich nicht der Chef einer Weltregierung, sondern der Sekretär der Vereinten Nationen, die wiederum auch nur eine ständige Konferenz der Mitgliedsstaaten sind. Deshalb kann der Generalsekretär nur das bewirken, was die Mitgliedsstaaten ihm erlauben zu tun.
Brink: Aber trotzdem hat er doch eine Stimme. Nehmen wir mal seine Stimme anlässlich der Wahl in Afghanistan. Da hat Ban Ki Moon gesagt, er werte diese Wahlen als einen Erfolg. Bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent und immerhin im Südosten des Landes haben ja auch die Taliban die Wahl erheblich gestört. Ist das nicht ein zu positives Urteil?
Pleuger: Ich glaube nicht. Unter den gegebenen Umständen konnte man sehr viel Schlimmeres erwarten - insbesondere auch angesichts der Drohungen der Taliban vor der Wahl. Im Übrigen hat auf den Verlauf der Wahl der Generalsekretär der Vereinten Nationen keinerlei Einfluss. Der Generalsekretär kann letztlich nur durch seine moralische Wirkung, durch seine moralische Macht wirken und die muss er sich natürlich auch erst aufbauen, so wie Kofi Annan auch seinen größten Einfluss erst in seiner zweiten Amtszeit gewonnen hat.
Entscheidungen treffen kann nach der Charta der Vereinten Nationen nur der Sicherheitsrat und die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats können natürlich nach der Charta ganz erheblich wichtige Entscheidungen treffen - bis hin zum militärischen Eingreifen in einer Krisensituation. Wenn sie es tun, dann fordern sie den Generalsekretär auf, diese Beschlüsse umzusetzen, beispielsweise eine Friedensmission zu entsenden. Der Generalsekretär kann das aber nicht unmittelbar ausführen, denn der Generalsekretär hat keinen einzigen Dollar und keinen einzigen Soldaten. Er muss dann die Mitgliedsstaaten bitten, ihn so auszurüsten, dass er die Entscheidung des Sicherheitsrats auch umsetzen kann.
Ruanda ist ein Fall gewesen, in dem in der Tat der Sicherheitsrat völlig versagt hat. Das hat aber dazu geführt, dass unter anderem in der Reformdebatte, die Kofi Annan 2005 angestrengt hat, gerade dieser Fall genommen wurde, um eine Reform umzusetzen in den Vereinten Nationen, die es erlauben würde, in solchen humanitären Situationen wie Völkermord einzugreifen.
Brink: Sie waren nun vier Jahre lang vor Ort, haben das beobachtet. Glauben Sie daran, dass diese Reform umgesetzt wird, und was müsste weiterhin noch passieren?
Pleuger: Die Reform, die Kofi Annan angestoßen hat und zu einem Bericht verdichtet hat von 101 Vorschlägen, ist bisher nur minimal umgesetzt und was fehlt, ist die Umsetzung der wichtigsten Vorschläge dieses Reformpakets. Sehen Sie, die UNO leidet zurzeit unter einer dreifachen Krise: Das eine ist eine Kapazitätskrise - die UNO ist an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen, sowohl was die Kosten von Friedensoperationen angeht, die inzwischen das dreifache des regulären Budgets betragen - also rund sieben Milliarden Dollar pro Jahr - und sie sind mit über 100.000 Männern und Frauen im Feld der zweitgrößte Truppenentsender nach den USA, und darunter leiden die Vereinten Nationen, weil die Mitgliedsstaaten kaum noch bereit sind, diese Last zu vergrößern.
Das zweite ist, dass es eine Legitimitätskrise der Vereinten Nationen gibt, insbesondere des Sicherheitsrats, weil der immer noch die Struktur von 1945 hat, und Legitimität entsteht durch Repräsentativität. Deswegen auch die Idee - die größte Repräsentativität hat natürlich die Vollversammlung mit allen Mitgliedern - aber bei einem kleinen Gremium, das Entscheidungen trifft wie der Sicherheitsrat, wird diese Legitimität nur dann da sein, wenn alle Kontinente, wenn alle Regionen sich in diesem Gremium auch vertreten fühlen, und das ist gegenwärtig nicht der Fall.
Und das dritte ist eine Effektivitätskrise der UNO, die daher rührt, dass wesentliche große Spieler im Sicherheitsrat nicht vertreten sind.
Brink: Also müsste Deutschland auch einen Sitz haben?
Pleuger: So ist es. Und nicht nur Deutschland: Es müssten Deutschland und Japan, aber auch große aufkommende Staaten wie Indien und Brasilien mit eingebunden werden. Und nicht etwa, um dort Großmacht zu spielen, sondern um die Bereitschaft dieser großen Beitragsgeber der UNO zu erhalten, sich im Notfall auch einzusetzen.
Brink: Was mich wieder an den Anfang des Gesprächs führt: Um dies zu erreichen, braucht es ja eine starke Stimme gerade an der Spitze. Wie sieht denn die Idealbesetzung eines Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Sie aus?
Pleuger: Zunächst mal zur Klarstellung: Der Generalsekretär hat nichts mit der Sicherheitsratsreform oder mit der Umsetzung des Reformpakets von Kofi Annan zu tun. Das muss die Generalversammlung machen. So steht es auch in der Charta. Was die UNO als Chef des Sekretariats, also als Generalsekretär braucht, ist eine Persönlichkeit von großer Statur und Ausstrahlung und eine Persönlichkeit, die politisch und moralisch einen großen Einfluss auf die Mitglieder, auf die Regierungen der Mitgliedsstaaten und natürlich auch auf die Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten hat. Das ist eine Eigenschaft, die nicht jeder Generalsekretär von vornherein haben kann, aber ein starker Generalsekretär wird sich diese Eigenschaften im Laufe seiner Amtszeit zulegen.
Brink: Gunter Pleuger, Präsident der Europa-Universität Viadrina und lange deutscher UN-Botschafter. Vielen Dank für das Gespräch.
Pleuger: Bitte schön, Frau Brink. Auf Wiedersehen!