Plazenta essen

Macht Mutterkuchen wirklich fit?

05:42 Minuten
Eine Mutter bäugt sich über ihr Kind.
Glückliche Mutter, dank Plazenta-Snack? - Der Mutterkuchen soll unter anderem gegen postnatale Depressionen helfen. © Unsplash/ Ana Tablas
Von Christine Westerhaus · 26.09.2019
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Selbst Kim Kardashian hat es gemacht – ihre Plazenta gegessen. Das Verspeisen des Mutterkuchens soll fitter machen, vor Depressionen schützen und liegt deswegen im Trend. Aber stimmt das wirklich? Mediziner haben da ihre Zweifel.
"Diese Einzelfallberichte gibt es immer wieder, wo Frauen dann sagen: Oh mein Gott! Was ist hier los? Ich hab das zwei Mal eingenommen und ich hab so viel Milch und ich muss nur vier Stunden schlafen und bin topfit."

Sophia Johnson und ihre Kollegen von der Universität Jena wollten nun konkret herausfinden, ob möglicherweise Hormone im Mutterkuchen für diese Verbesserungen verantwortlich sind. Sie untersuchten sechs Plazenten.
"Und da haben wir verschiedene Hormone rausgesucht. Wir haben natürlich Progesteron, Östrogene analysiert und das humane Plazentalaktogen, das ist ein Hormon, das für das Stillen verantwortlich ist, wie auch das Oxytocin, das ist ja dieses Kuschelhormon, was nicht nur soziale Bindungen macht, sondern auch den Milchschussreflex und auch die Rückbildung der Gebärmutter. Und diese Hormone konnten wir alle natürlich in roher Plazenta nachweisen, weil die Plazenta eine ganz hohe endokrine Produktivität hat, also viele Hormone werden von der Plazenta hergestellt. Und wir konnten aber auch zeigen, dass mit der Verarbeitung, also so, wie man das zum Beispiel in der traditionellen chinesischen Medizin macht, die Hormonkonzentrationen ganz stark abnehmen."

Nutzen ist nicht wirklich nachgewiesen

In der traditionellen chinesischen Medizin wird die Plazenta schon seit Langem getrocknet, pulverisiert und in Kapseln abgefüllt. Das ist die Form, in der viele Frauen in den USA die Plazenta einnehmen. Umgerechnet etwa 300 Euro müssen sie dafür bezahlen, ihre Plazenta zu Kapseln verarbeiten zu lassen. Wer dieses Geld investiert, sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Nutzen dieses Pulvers nicht wirklich in großen Studien nachgewiesen ist, gibt Alex Farr von der Medizinischen Universität in Wien zu bedenken.
"Wenn man sich die medizinische Literatur und damit auch wirklich die Evidenz anschaut, findet man eigentlich keine einzige Studie, die einen wirklichen Benefit dieser Maßnahme zeigt. Es sind also primär nur sehr alte oder sehr kleine Berichte, die nur Umfragen darstellen von Frauen, die das gemacht haben, die danach sagen: Ja mir ging es besser, ich war fitter, mein Stillen war besser oder wie auch immer. Aber es gab keine randomisierten Studien. Also die Frauen, die die Plazenta mit nach Hause nehmen wollen, um die dann zu verspeisen, orientieren sich an – muss man schon sagen – fast mythologischen, sehr alternativen Berichten, die also grundsätzlich nur auf Umfragen basieren und nicht auf medizinischen Studien."

Hauptsache, man fühlt sich besser

Ein dieser kleinen Studien stammt von der University of Nevada in Las Vegas. Gerade mal 27 Frauen nahmen daran teil, von denen die eine Hälfte Plazenta-Kapseln einnahm, die anderen ein Scheinmedikament.
"Interessanterweise hatten die Frauen, die die Plazentakapseln eingenommen hatten, weniger Anzeichen einer Depression und fühlten sich weniger müde", erklärt Sharon Young von der University of Nevada in Las Vegas. "Das deutet darauf hin, dass sie insgesamt mehr Energie hatten. Doch gleichzeitig konnten wir über den gesamten Verlauf der Studie keinen statistisch signifikanten Unterschied zu den Frauen feststellen, die nur Placebo-Kapseln eingenommen hatten."
Das passe zum Klientel der Frauen, die sich für eine solche Therapie interessieren, sagt der Gynäkologe Alex Farr. "Es ist schwierig, die Effekte der Plazentophagie zu messen aufgrund der Tatsache, dass die Frauen, die bereit sind, diese Maßnahme zu ergreifen, von vornherein aus einem sehr esoterisch, homöopathisch, alternativen Umfeld kommen – was schon mal von vornherein eine positive Erwartungshaltung hat demgegenüber und eine niedrige Wahrscheinlichkeit, auch einzugestehen, falls positive Effekte ausbleiben."
Ähnlich wie bei homöopathischen Mitteln sind auch in getrockneten oder gekochten Plazenten kaum noch Stoffe nachzuweisen, die eine Wirkung haben könnten. Dennoch: Wenn die meisten Frauen sich rein subjektiv besser fühlen, solle man sie nicht davon abhalten, die Plazenta zu essen, betont Sophia Johnson.
"Die Frage ist, was ist davon Placebo-, was ist Hormon vermittelt. Aber wenn es den Frauen subjektiv gut tut und dadurch sie selber und auch das Kind profitieren, bedeutet das ja auch bei gestillten Kindern und entspannten Müttern einen Langzeitgesundheitsbenefit für das Kind, wenn man die Risiken ausschließen kann – und darum haben wir uns jetzt bemüht."

Vorsicht vor Schadstoffen

Mögliche Risiken könnten Infektionen sein. Also Bakterien, die von der Plazenta auf das Kind übergehen. Im vorigen Jahr ist so ein Fall in den USA bekannt geworden. Die Jenaer Forscher raten daher Müttern vom Verzehr der Plazenta ab, wenn sie oder ihr Kind unter der Geburt an einer Infektion litten. Zudem haben Forscher in der Plazenta mancher Frauen Schadstoffe und Schwermetalle gefunden, die während der Schwangerschaft dort eingelagert wurden. Auch das müssen Frauen wissen. Anderseits ist es auch im Tierreich gang und gäbe, die Nachgeburt zu fressen.
"Bei den Tieren ist es ja so, dass quasi alle Säugetiere bis auf ganz wenige Ausnahmen ihre Plazenta einnehmen. Und wahrscheinlich – so schlussfolgern zumindest Anthropologen von der Universität aus Nevada – war es auch mal Teil des menschlichen Verhaltens. Warum das aber aus unserem Verhalten verlorengegangen ist, das ist eben eine interessante Frage. Und da muss man halt gucken: Liegt es vielleicht daran, dass wir in der Geburtshilfe mit dem Zugang zu Nahrungsmitteln und der Sorge für Frauen nach der Geburt, dass das einfach verloren ging, weil man andere Ressourcen hatte, auf die man zurückgreifen konnte."
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