Playmobil war gestern

06.09.2010
Bildungsexpertin Donata Elschenbroich macht in ihrem Buch Lust, teuren Kinderspielsachen den Rücken zu kehren. Sie regt dazu an, so einfachen Dingen wie Wäscheklammern, Schneebesen oder Schuhlöffeln eine neue Seite abzugewinnen.
Wie funktioniert eigentlich eine Wäscheklammer? Was kann man mit einer Wasserwaage anfangen? Wozu taugt ein Schuhlöffel? Wir sind von zahlreichen Dingen umgeben, die wir zwar tagtäglich benutzen, aber gar nicht mehr richtig wahrnehmen. Zumindest Erwachsene. Für kleine Kinder, die gerade angefangen, ihre Umwelt zu entdecken, liegt die Sache anders: in ihren Augen sind Alltagsgegenstände ganze Expeditionen wert. Schließlich sind diese Alltagsdinge neu für Kinder, ihre Funktion unbekannt, sie müssen erst ausprobiert werden.

Meist mit allen Sinne: Kinder stecken sie in den Mund, riechen an ihnen, nehmen sie in die Hand, drehen sie vor den Augen. Ihr Erkundungsdrang ist riesig. Schließlich warten rund 20 000 Dinge darauf, erkannt und genutzt zu werden. Ein riesiger Fundus also, den es zu entdecken gibt – und dessen Entdeckung sich lohnt, glaubt man der Bildungsexpertin Donata Elschenbroich und ihrem neusten Buch. "Die Dinge – Expeditionen zu den Gegenständen des täglichen Lebens" heißt es und es macht Lust, teueren Kinderspielsachen den Rücken zu kehren. Playmobil das war gestern; Schneebesen, Fernbedienung und Schlüssel sind heute.

Denn beim Erforschen von Alltagsgegenständen erschließt sich dem Kind zugleich auch der soziale Raum, in dem die Gegenstände benutzt werden. Es lernt, wie Erwachsene damit umgehen, welche Bedeutung sie einem Gegenstand geben, dass sie einen emotionalen Wert besitzen können; gepflegt und sauber gehalten werden müssen. Es findet, wie die Bildungs-forscherin es nennt, eine "trianguläre Kommunikation" zwischen Kind-Ding-Erwachsenem statt, in der sich der Sinn des Dinges und auch sein Wert, seine Wertschätzung erschließen. Das geschieht im Alltag meist unwillkürlich. Die meisten Eltern jedenfalls erkennen die Bedeutung von Alltagsgegenständen als "informelle Bildungsbegleiter" gerade in den ersten Jahren überhaupt nicht.

Genau hier setzt Donata Elschenbroichs Vorschlag an, in Kindergärten und Grundschulen "Weltwissen-Vitrinen" aufzustellen. In diese "Wunderkammern des Alltags" können Pädagogen und Eltern alltägliche oder selten gewordene Dinge stellen. Der Verfremdungseffekt weckt Neugier und Nachfrage. Die Kinder dürfen die Dinge ausleihen, mitnehmen und zusammen mit ihren Eltern erkunden, möglichst ohne Bevormundung. Es ist immer wieder verblüffend, was Kinder mit Alltagsdingen alles anstellen. Aus Wäscheklammern lassen sich Krokodile bauen, man kann sie mit Farbe einstreichen und mit ihnen Papier bedrucken. Was Kinder dabei entdecken, sollen sie in einem Bildungstagebuch aufschreiben oder -zeichnen.
Donata Elschenbroich vermeidet den pädagogischen Zeigefinger, verdeutlicht ihre Einsichten anhand zahlreicher konkreter Beispiele, ermutigt Eltern und Pädagogen zum Nachahmen. Zudem steckt ihre Begeisterung an. Lernen wird bei ihr zur gemeinsamen Freude an Erkenntnis. Der Spaß, etwas zu begreifen, fördere außer der Intelligenz der Kinder auch die Bildungsneugier und soziales Verhalten. Dank der "Weltwissen-Vitrine" kann die Welt der Dinge für Kinder zu einer faszinierenden Entdeckungs- und Bildungsreise werden.

Besprochen von Johannes Kaiser

Donata Elschenbroich: Die Dinge – Expeditionen zu den Gegenständen des täglichen Lebens
Kunstmann Verlag, München 2010
207 Seiten, 18,90 Euro