Playboy, Macho, Bombenleger

Von Jörg Taszman · 01.11.2010
Er war bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1994 der gefürchtetste und meistgesuchte Terrorist der Welt: "Carlos - Der Schakal". Der französische Regisseur Olivier Assayas hat aus seinem Leben einen fünfeinhalb-stündigen Film gemacht, bei dem man sich keine Sekunde langweilt.
Streng chronologisch erzählt Assayas vom Aufstieg und Fall des als Ilich Ramirez Sanchez in Venezuela geborenen Terroristen Carlos. Schon die Eltern waren linke, bürgerliche Idealisten, steht doch Ilich für den Mittelnamen von Wladimir Ilich Lenin. Und so ist der junge Ilich Ramirez Sanchez zu Beginn noch ein Idealist, der mit schönen Frauen über den Sinn und Unsinn des bewaffneten Kampfes diskutiert.

Kurze Zeit später wird aus Sanchez "Carlos". Er ist seit 1970 Mitglied der Terrorgruppe "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP). Sein erstes Attentat begeht er im Dezember 1973 in London. Berüchtigt wird Carlos für den blutigen Überfall auf die OPEC Minister in Wien 1975.

Mit großer Akribie und einem enormen Aufwand hat Regisseur Olivier Assayas seinen in jeder Hinsicht bedeutenden und herausragenden Spielfilm gedreht. Man ist als Zuschauer immer ganz nah an den Figuren. Die Kameraführung ist fiebrig –nervös, wenn Carlos und seine Helfershelfer Attentate planen oder durchführen, aber elegisch und ausladend wenn Carlos Partys feiert oder seinem Macho-Leben frönt. Wie versuchte Regisseur Olivier Assayas aus dem Mythos Carlos eine glaubwürdige Filmfigur zu formen? Olivier Assayas:

"Nun, es ist Kino. Das heißt, mein Bestreben lag schon darin historisch und ethisch kohärent zu bleiben, gleichzeitig aber auch darin, mir eine dramaturgische und erzählerische Freiheit zu nehmen, die dafür sorgt, dass diese Geschichte nachvollziehbar bleibt und eine gewisse Poesie der Ähnlichkeit entwickelt. Das Kino ist nun einmal gleichzeitig eine Kunst des Sichtbaren und des Unsichtbaren."

Getrieben von einem starken Geltungsdrang wird aus dem Revolutionär Carlos immer mehr der Söldner, ein geldgieriger, ausschweifender Playboy, der sich Frauen gefügig macht. Auch seine deutsche Ehefrau Magdalena Kopp bekommt bei einer Auseinandersetzung die autoritäre, brutale Seite von Carlos zu spüren:

"Ich habe dir versprochen, dass deine Zeit kommen wird…Weißt du was, du hast recht, deine Zeit wird niemals kommen, solange du nicht Disziplin lernst… Das ist ein Krieg und wir sind Soldaten. Und ich bin nicht nur dein Mann. Ich bin auch dein Chef."

Es ist gerade diese Vielsprachigkeit des Films: Englisch, Französisch, Deutsch, Österreichisch, Spanisch, Ungarisch und Arabisch, die "Carlos" in seiner langen Originalfassung so spannend und authentisch macht. Und so glänzt vor allem der Hauptdarsteller Edgar Ramirez, der allein fünf dieser Sprachen fließend spricht und so die Wandlungsfähigkeit von Carlos auch sprachlich unter Beweis stellt. Ramirez der den jungen, attraktiven Carlos ebenso leidenschaftlich verkörpert wie den verfetteten, müden Carlos bei seiner Verhaftung, geling eine beachtliche Tour de Force. An seiner Seite brillieren auch die deutschen Darsteller Alexander Scheer als Carlos Weggefährte Johannes Weinrich und Nora von Waldstätten als dessen Ehefrau Magdalena Kopp.

Olivier Assayas gelingt eine Zeitreise zurück zu den Ursprüngen des internationalen Terrorismus ohne seine Protagonisten klischeehaft darzustellen. "Carlos - Der Schakal" ist auch ein Film über Ost- und West, Nord und Süd und das geteilte Deutschland im Kalten Krieg. Sehen kann man diesen ursprünglich als Dreiteiler für das französische Pay-TV konzipierten Film in der Langfassung und einer um zwei Stunden gekürzten 190-Minuten-Fassung, die leider hauptsächlich in die Kinos gelangt. Wer die Chance hat, sich die fünf Stunden im Kino anzuschauen, braucht keine Bedenken haben. Man langweilt sich keine Sekunde.