Plattformökonomie

Besserer Schutz für Crowdworker

08:27 Minuten
Silhouette eines Mannes, der Fenster putzt.
Crowdarbeiter werden in vielen Bereichen eingesetzt – arbeitnehmerrechtliche Absicherungen gibt es für sie oft nicht. © dpa / Wolfgang Kumm
Von Katharina Peetz · 19.04.2021
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Sie putzen Wohnungen, geben Nachhilfe oder übersetzen Texte. Die Aufträge kommen von Onlineplattformen. Diese Crowdworker galten bisher als Selbstständige ohne Arbeitnehmerrechte. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts könnte sich das ändern.
Marcus Hüls war viel unterwegs. Er hat Tankstellen abgeklappert und überprüft, ob die Werbung für Zigaretten richtig hängt.
"Dann habe ich drei bis fünf Fotos gemacht, gewartet, bis das Publikum beiseite ist, damit man keine Personenbilder hat. Und dann ist es in der Regel die Werbung über der Kasse oder das Tabakregal hinter der Kasse."
Seine Aufträge erhielt Hüls aber nicht direkt von den Tabakfirmen, sondern über eine Onlineplattform. Er ist ein so genannter Crowd- oder Gigworker. "Gig", englisch für Auftritt, weil es sich um einzelne Kleinstaufträge handelt. Plattformen vermitteln Aufträge in unterschiedlichsten Branchen – zum Beispiel Texte schreiben oder übersetzen, Wohnungen reinigen, Nachhilfe geben oder online Bilder kategorisieren. Überwiegend sind das selbstständige Tätigkeiten.

Zwischen 3 und 15 Euro pro Auftrag

Zwischen 3 und 15 Euro Honorar hat Marcus Hüls pro Auftrag erhalten. Rund ein Jahr war er für die Plattform Roamler aktiv – bis es Streit wegen der Qualität eines Fotos gab und die Plattform sein Profil kurzfristig sperrte.
Durchschnittlich rund 1700 Euro habe er im Monat verdient, erklärt Hüls:
"Und vom Tag nach diesem Vorfall an habe ich dieses Geld nicht mehr bekommen. Was einen natürlich in die Situation bringt: Wie zahle ich Miete, wovon lebe ich? Was man natürlich bei einer normalen Kündigung zumindest besser planen kann."
Roamler widerspricht auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur dieser Darstellung und begründet die Deaktivierung des Accounts mit unangemessenem Verhalten von Marcus Hüls.

"Ein historisches Urteil"

Hüls wandte sich an die Gewerkschaft IG Metall und klagte gegen seinen ehemaligen Auftraggeber. Der Fall landete schließlich vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Das hat im vergangenen Dezember entschieden, dass Hüls nicht selbstständig war, sondern Arbeitnehmer.
"Das Gericht hat festgestellt, das war eine weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit", betont Christiane Benner, zweite Vorsitzende der IG Metall. "Das ist in der Digitalwelt wirklich ein historisches Urteil."
Historisch deshalb, weil vor allem Online-Crowdworker bislang meistens als Selbstständige gelten. Dadurch haben sie nicht die entsprechenden Arbeitnehmerrechte wie Mindestlohn, Kranken- oder Urlaubsgeld und sie müssen – wenn sie nicht anderweitig abgesichert sind – für den Fall von Alter oder Krankheit selbst vorsorgen. Für das Urteil des Bundesarbeitsgerichts spielte auch die Funktionsweise der App eine Rolle, die so genannte Gamification-Elemente enthält.
"Je nachdem, wie viel Umsatz man hat, kommt man ein Level höher", erklärt Crowdworker Marcus Hüls. "Wenn das Level höher ist, bekommt man manche Aufträge, die erst ab einem gewissen Level freigeschaltet ist."
Roamler widerspricht auch hier: Das Level habe keine Auswirkung auf das Auftragsangebot gehabt, sondern nur auf die Anzahl der Aufträge, die Crowdworker gleichzeitig annehmen konnten. Inzwischen habe man das Levelsystem in Deutschland abgeschaltet.
Für das Bundesarbeitsgericht waren die Anreize im Geschäftsmodell relevant, erklärt Martin Gruber-Risak, Arbeitsrechtler an der Universität Wien. Das Gericht habe fast überraschend festgestellt, "dass es hier ein durchgängiges Arbeitsverhältnis gibt. Weil der wirtschaftliche Druck, der auf die Plattformarbeitenden ausgeübt wird, so intensiv ist, dass sie kontinuierlich arbeiten müssen. Da hat man gar nicht geschaut, ob das formal so ist, ob die tatsächlich eine Arbeitsverpflichtung haben, sondern die haben gesagt, es gibt so viele Anreizelemente in diesem Arbeitsmodell, dass sie durchgängig arbeiten."
Roamler betont auf Anfrage, es bestehe keinerlei Verpflichtung, einen Auftrag anzunehmen oder durchzuführen. Die Plattform bestreitet nach wie vor jede Form von Abhängigkeit der Auftragnehmenden.

Arbeitsminister Heil: "Einen fairen Ordnungsrahmen schaffen"

Der Fall von Marcus Hüls ist auch deshalb so besonders, weil nicht viele Gigworker einen so großen Teil ihres Einkommens über Plattformen verdienen. Für die meisten ist es eine Nebentätigkeit, eine leichte und flexible Möglichkeit, etwas Geld dazuzuverdienen – zum Beispiel neben dem Studium oder einem Angestelltenjob. Das Bundesarbeitsministerium schätzt, dass etwa 2,7 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig als Crowdworker tätig sind. Und es findet, dass diese Menschen besser geschützt werden müssen.
Ende des vergangenen Jahres hat das Arbeitsministerium dazu Eckpunkte vorgelegt.
"Ich finde, Plattformökonomie ist eine tolle Sache", sagt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). "Für Verbraucher, für viele Beschäftigte, für neue Geschäftsmodelle, für viele Unternehmen. Aber auch da müssen wir ein bisschen darauf gucken, dass zumindest bestehende Rechte nicht unter die Räder kommen und dass wir auch einen vernünftigen, fairen Ordnungsrahmen schaffen."
Das Ministerium will unter anderem Mindestkündigungsfristen festschreiben, soloselbstständige Plattformbeschäftigte in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen und es Crowdworkern erleichtern, ihren Status vor Gericht überprüfen zu lassen.

Die Arbeitgeber sind skeptisch

Die Gewerkschaften begrüßen die Pläne. Die Arbeitgeber sind skeptisch. Julian Caligiuri von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände BDA kritisiert die in seinen Augen undifferenzierte Debatte über Regulierung:
"Das Problem dabei ist, dass sehr häufig Zahlen als Beweis herangeführt werden, um die Dringlichkeit von Regulierung in dem Bereichzu suggerieren. Aber das Ganze fußt natürlich auf einer sehr schwachen empirischen Grundlage, die mit evidenzbasierter Politik nur sehr wenig zu tun hat."
Die Plattformökonomie sei schließlich heterogen, die Geschäftsmodelle sehr unterschiedlich. Es gebe neben Selbstständigen auch reguläre Arbeitnehmerinnen. Und Scheinselbstständigkeit sei auch heute schon strafbar, so Caligiuri.
In Deutschland sind zum Beispiel Fahrerinnen von Essenslieferdiensten wie Lieferando fest angestellt. Auch Menschen, die über Uber vermittelte Transportfahrten übernehmen, sind in Deutschland bei Leihwagenfirmen regulär beschäftigt. Doch die Geschäftsmodelle variieren je nach Land. In Großbritannien stuft Uber nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs Fahrerinnen seit Kurzem als "worker" ein. Das ist ein dritter Status zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern, der unter anderem Anspruch auf Mindestlohn bietet.

Betriebsräten die Algorithmen zugänglich machen

In Spanien sollen Lieferdienste per Gesetz verpflichtet werden, Fahrer künftig fest anzustellen. Das neue spanische Gesetz sieht aber auch vor, dass die Plattformen ihre Algorithmen den Betriebsräten zugänglich machen müssen. Das könnte sich auf die Chancen von Gig Workern bei der Prüfung ihres Arbeitsstatus auswirken.
"Die Arbeit auf der Plattform wird im Wesentlichen durch Algorithmen organisiert. Das heißt, die Arbeitnehmerinnen haben eine Blackbox vor sich und sehen da nicht rein", sagt Arbeitsrechtler Gruber-Risak.
"Und jetzt müssen die beweisen, dass die Arbeitsorganisation in dieser Plattform, die sie gar nicht so richtig sehen können, dass die so organisiert ist, dass es das ist, was man im deutschen Recht als persönliche Abhängigkeit bezeichnet, dass es eine starke Fremdsteuerung bei der Arbeit gibt."
Das deutsche Bundesarbeitsministerium kritisiert deshalb auch ein "asymmetrisches Machtverhältnis" zwischen Arbeitsplattformen und Plattformtätigen. Soloselbstständige Crowdworker sollen sich daher nach den Plänen des BMAS kollektivrechtlich organisieren können.

Die Bundesregierung will noch vor den Wahlen handeln

Während viele der Vorhaben wohl noch auf sich warten lassen, könnte sich in Sachen Arbeitnehmerstatus schnell etwas tun. Zumindest kündigte Arbeitsminister Heil an:
"Aber eines will ich noch in dieser Legislaturperiode schaffen. Nämlich dass wir im Interesse aller Soloselbstständigen und auch derjenigen, die eher abhängig beschäftigt sind, die Statusfeststellung beschleunigen werden. Das betrifft nicht nur plattformbeschäftigte Soloselbstständige und Beschäftigte, sondern auch andere. Das werden wir jetzt in den nächsten Wochen gesetzgeberisch umsetzen, also nicht erst nach der Bundestagswahl."
Ob dadurch dann wie im Fall von Marcus Hüls bei vielen Gig-Workern festgestellt wird, dass sie eigentlich Arbeitnehmer sind, wird sich zeigen.
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