Plattform der Opposition von gestern

Von Heide Rasche · 26.06.2013
Das unabhängige Pressezentrum in Moskau wirkt angesichts der kontrollierten Medien in Russland wie ein beharrliches Glasnost-Relikt. Hier geben Oppositionelle, Andersdenkende, Menschenrechtler und Außenseiter Pressekonferenzen. Doch die Zeiten, in denen sich Journalisten in dem kleinen Konferenzsaal drängelten, scheinen vorbei.
Eine schmale Metalltreppe in einem Hinterhof des Moskauer Stadtzentrums führt in das Reich von Natalja Jakowlewa. Die Räume des unabhängigen Pressezentrums haben eindeutig schon bessere Zeiten gesehen, vor sehr langer Zeit. Spartanisch eingerichtet, erfüllten sie dennoch über lange Jahre ihren Zweck, schwärmt die unumstrittene Chefin und Seele des Zentrums.

"Alle waren sie hier. Der Wladimir Ryschkow war hier oft mit Pressekonferenzen. Damals war er noch ein junger Kerl, 30 Jahre. Er war fast jede Woche bei uns."

Heute ist Ryschkow einer der führenden Oppositionspolitiker, er fehlte bei keiner Anti-Putin-Demonstration der vergangenen Jahre. Ins unabhängige Pressezentrum kommt er allerdings kaum noch, bedauert Natalja Jakowlewa. Allerdings nicht, weil er ihre Arbeit nicht zu schätzen wisse. Das Problem sei vielmehr das nachlassende Interesse bei den Journalisten. Vor allem bei den einheimischen.

"Verstehen sie. Wenn die westlichen Journalisten hierher kommen – ist das gut, weil sie ihren Job gut machen. Aber wenn unsere kommen – werden sie tausend Mal nachdenken: 'Darf ich das jetzt schreiben oder nicht???' - Das ist Selbstzensur!"

Die Folge: Es gibt immer weniger wirklich große Pressekonferenzen für Natalja Jakowlewa zu organisieren. Früher, ja, da waren es zwei bis drei am Tag, heute ist es vielleicht noch eine. Früher, noch vor drei, vier Jahren, da drängelten sich manchmal die Journalisten bis auf den Gang vor dem kleinen Konferenzsaal, heute finden auch Nachzügler noch problemlos einen Sitzplatz.

"Es gab eine Zeit, da hat die Arbeit des Pressezentrums locker funktioniert, es war prestigeträchtig, einfach – heute ist es schon manchmal seltsam, heute macht mir einiges Sorgen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir immer überlege, soll ich das machen oder nicht."

Denn neben dem sinkenden öffentlichen Interesse gibt es für die 78-Jährige ein weiteres Problem. Ihr Zentrum lebt von Spenden aus dem Ausland. Und könnte damit auch unter das umstrittene NGO-Gesetz fallen. Das heißt, sie könnte gezwungen werden, sich als ausländische Agentin registrieren zu lassen. In den zwanzig Jahren ihrer Arbeit als Leiterin des Pressezentrums hatte Natalja Jakowlewa noch nie Probleme mit den örtlichen Behörden oder gar dem Kreml. Allmählich scheint sich das zu ändern.

"Ich habe jetzt schon Angst, sie haben mich schon ein paar mal verwarnt. Mit der Staatsanwaltschaft stehe ich schon seit anderthalb Monaten in brieflichem Kontakt. Nein, sie kommen nicht zu uns, aber irgendwas in den Dokumenten missfällt ihnen, die juristische Adresse stimmt nicht oder sonst was, was weiß ich. Also, muss ich alle meine Dokumente ändern, und eben die Geschäftsordnung. Nun gut."

Sie ist überzeugt, dass ihr unabhängiges Pressezentrum mehr denn je gebraucht wird. Weil es in Russland nicht viele solcher Plattformen gebe. Und dass sie selbst schon längst das Rentenalter erreicht hat, ist für sie nun wirklich kein Problem. Sie schüttelt energisch die grauen Locken und lacht.

"Meine Tochter sagt, ich soll aufhören zu arbeiten, weil mich allein die Hinfahrt aus der Datscha nach Moskau zwei Stunden Zeit kostet… Aber anderseits, meine Enkel und Freunde sagen, dass ich schnell sterbe würde, wenn ich meine Arbeit hier aufgebe."

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