Plattdüütsch-Njus

Von Hartwig Tegeler · 15.07.2005
"Eine tägliche Herausforderung" nennt Radio Bremen die Plattdeutschen Nachrichten. Das mag mit dem Inhalt zu tun haben, mit der täglichen Sendezeit. Aber warum "beißen sich (alle) die Zähne aus"? Nun, die Macher der "Plattdüsch Njus" müssen "plattdeutsche Wortschöpfungen" servieren, wenn es um "Terrorismus", "Handies" oder "Neurobiologen" geht. So wird aus dem Hoochdüütsch Weltwirtschaftsgipfel auf Plattdüütsch der "Dörpskroogshümpel". Logo: Welt = Dörp, Wirtschaft = Kroog, Gipfel = Hümpel.
"Real national, national and international news - with RealAudio sound files. From Radio Bremen 3 Melodie, in a language that some people consider fossilized and incable of making it in the real world of today. An excellent site not only for people who know the language also for those who wish to learn it."

Rückmeldung. Rückmeldung per Email aus Seattle, USA. Nationale und internationale Nachrichten im RealAudioFormat. Der Mann ist begeistert. Hören und Lernen. Im Internet. Unter www.radiobremen.de/online/platt. Da klingt's - datenreduziert - so! Wie aus der Blechdose.

Blechdose. Aber nicht ohne Reiz, wenn man irgendwo, egal wo auf der Welt, die Plattdeutsch-Nachrichten des Tages auf dem Computer hören kann. Der globalisierte Plattdeutsche. Heimatgefühl. Oder? Im Sendebereich von Radio Bremen, wochentags immer um 10.30 Uhr, klingt das natürlich qualitativ besser - seit dem 19. Juli 1977, seit mehr als 25 Jahren also.

Archivmaterial. Aber nichts ist älter als die Zeitung von gestern! Na ja, und den Radio-Nachrichten geht es natürlich da auch nicht viel besser!

Also olle Kamellen! Wir haben Mittwoch, den 26. Januar 2005; die plattdeutschen Nachrichten sind noch nicht fertig. Heidi Jürgens sitzt noch dran.

Heidi Jürgens: "Ich grübele, weil, Frau Pieper stellt ihr Amt zur Verfügung, und das gibt es so in dem Sinne nicht im Plattdeutschen."

Heute geht's im Tagesgeschehen um ...

" Guten Morgen. Bundesverfassungsgericht entscheidet über Verbot von Studiengebühren. Bürgerschaft stimmt über Misstrauensantrag über Rövekamp ab. Schiedsrichter Heutzer soll Kontakt zur kroatischen Mafia haben. Das Wetter: heiter bis wolkig, meist trocken, um 1 Grad. "

Die 9-Uhr-Nachrichten - in Hochdeutsch - sind durch. Noch anderthalb Stunden, bis das Ganze in Platt dann über den Äther geht. Aber eben keine regionalen, auf Bremen oder das ländliche Umfeld bezogene Meldungen - das war nie die Idee -, sondern die nationalen und internationalen Nachrichten. So wie im hochdeutschen Programm. Fünfmal die Woche. - In Raum 156, irgendwo in den Labyrinthen von Radio Bremen, sitzt vor dem Computer Heidi Jürgens, von Hause aus Schauspielerin, Sprecherin nebenbei und eine der Redakteurinnen für die Radio-Bremen-Pattdeutsch-News; sitzt da ... und - wie gesagt - grübelt.

Jürgens: "Jetzt haben wir hier so wunderbare Wörterbücher."

Aber mit dem, was die Plattübersetzerin findet als Formulierung für das 'zur Verfügung Stellen eines Amtes' - durch die wohl nun Ex-FDP-Generalsekretärin in diesem Fall: Sie ist nicht zufrieden.

Jürgens: "Ich hebt min bedanken dohn.' Das ist wohl ein sehr friesischer Begriff. Mir sagt das auch so nichts. Also, ich denke mal, ich werde es so [ausdrücken], dass ihr Amt freigibt. [Computertastatur.] 'Givt ehr amt woll free'. Ich hoffe, dass man dann versteht, was ich meine."

9:18 Uhr. Bis zur Sendung der plattdeutschen Nachrichten um 10:30 Uhr noch mehr als eine Stunde Zeit. Heidi Jürgens ist nicht im Stress.

Jürgens: "Nee, noch nicht. Aber eine Meldung kommt noch nach 10 Uhr, und dann kann es stressig werden. Und wenn da jetzt irgendwas ist, wo ich denke, hooochch!, das sagt man doch so nicht, wie soll ich das jetzt übersetzen, dann kann es für mich eng werden."

Heute soll die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Studiengebühren die Aufmachermeldung in Platt werden. Aber selbiger BVG-Spruch wird eben erst nach 10 Uhr verkündet, erreicht also erst dann den Tisch der Hochdeutsch-Nachrichtenredakteurin und danach auch erst den der plattdeutschen Kollegin.

Gesine Reichstein: "Jeden Morgen, so circa um halb neun wird in der hochdeutschen Nachrichtenredaktion die Vorlage verfasst für die plattdeutschen Nachrichten."

Gesine Reichstein, Redakteurin fürs Niederdeutsche bei Radio Bremen; Leiterin der kleinen "Plattdeutsch-News"-Abteilung.

Reichstein: "Das wird ins Netz gestellt, ins hauseigene Computernetz; da holt sich der plattdeutsche Nachrichtenredakteur das raus und fängt an zu übersetzen."

Heidi Jürgens ist dabei. Beim Grübeln. 9:30 Uhr ist es jetzt. Noch geht's um Frau Pieper von der FDP, die sogar für Herrn Westerwelle nun nicht mehr haltbar ist. Also - im hochdeutschen Klartext:

Jürgens: "Demnach haben sich Parteichef Westerwelle und der Fraktionsvorsitzende Gerhardt darauf verständigt, dass Pieper neue Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses wird. "


Und das ist eine Meldung, die Sie im Prinzip erstmal als im Prinzip nicht so kompliziert einsortieren würden?

Jürgens: "Nee, die geht! Bundestagsbildungsausschuss kann man sich vorstellen, dass auch kein urplattdeutsches Wort ist. Was soll ich auch dem 'Bildungsausschuss' machen? Dann wird dann eben ein 'Bildungs-Utschuss'. Viel anderes bleibt mir nicht, dass es auch verständlich bleibt für die Leute, was es ist."

Reichstein: "Die niederdeutsche Sprache ist ja in der Hauptsache eine gesprochene Sprache. Und in der gesprochenen Sprache verwendet man nicht so viele Satzverknüpfungen, wie man das beim Schreiben tut. Beim Verfassen von Nachrichten wird ja erst Recht noch versucht, Inhalte so zu verknappen, dass es eben halt nicht zu lang wird. Im Plattdeutschen kennen wir eigentlich die ganz einfachen Sätze. Subjekt, Prädikat, Objekt."

Jürgens: "Nicht jeder, der da zuhört bei den plattdeutschen Nachrichten kann ja auch Platt. Für viele ist das ja eher so, oh, ich versteh' so ein bisschen was. Darum ist schon das Ziel, einigermaßen das auch für die verständlich zu machen. Aber natürlich soll das Plattdeutsche darunter nicht leiden. Also, da mach ich mal weiter. [Computertastatur.] Das ist jetzt einfach. 'Dat vermeld die Berliner Zeitung. So. [Liest vor.] Demnach haben sich Westerwelle und Gerhardt darauf verständigt, dass Pieper Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses wird. Dann würde ich halt sagen: Darno hebt sich Parteiboas Westerwelle und de Fraktionsförsitter ... "

Reichstein: "In der Regel braucht man eine gute Stunde, um diese Übersetzung anzufertigen."

Plattdeutsch-News (historisch): "De Nohrich'n. Moskau. Bi eenen Anschlaach auf de U-Bahn sind von morgen ferdich Menschen to dode kohmen."

Straßen-Umfrage "Platt-News:
Frau: "Dies Übersetzte finde ich so toll. "
Mann: "Ich denke, es gibt auch genügend Leute, die das nicht nur verstehen, sondern sich auch darüber freuen, wenn sie auf diese Weise über das Neue in der Welt unterrichtet werden. "
Frau: "Die Nachrichten finde ich sehr gut, weil ich selber Plattdeutsch spreche. Find eck goud, jouh!"
Mann: "Weil dann die Traditionen wieder etwas geweckt werden, und wir wieder zur Quelle des Daseins kommen. Deswegen begrüße ich das."
Frau: "Ich hör' das Plattdeutsche gern."

Jürgens: "Ich komm vom Land, und meine Eltern haben halt nicht mit uns Platt gesprochen, mit uns Kindern, aber mit Verwandten, Bekannten, die kamen. Und darum konnte es immer schon verstehen, aber ich konnte es nicht sprechen. Und dann bin ich an die Schauspielschule von dem ehemaligen niederdeutschen Theater in Bremen gekommen, und da wurde halt damals nur Plattdeutsch gespielt. Und dann musste ich es lernen."

Plattdeutsch-News (historisch): "Klock halbig twölf is tied för de nachrichten."

Auf der einen Seite die Globalisierung, andererseits in einer populären Radiowelle wie Radio Bremen 1 ein Ton, der Klang der plattdeutschen Nachrichten, die - so der erste Eindruck - für etwas sehr Regionales, für etwas stehen, das wie aus alten Zeiten anmutet. Gesine Reichstein widerspricht.
Reichstein: "Die Menschen, die heutzutage täglich noch Plattdeutsch sprechen, die sprechen über alles. Die gucken fern, die gehen ins Internet."

Plattdeutsch-News (historisch): "Hamborch. Nach eenn Verdacht auf Vogelgripp heet dat Tropeninstitut ... "

Eine Reibung jedenfalls zwischen der globalen Welt und der ländlichen Erfahrungswelt derjenigen, die das Plattdeutsche überhaupt noch sprechen.

Reichstein: "Es reibt sich ja nur in gewisser Hinsicht. Denn die Menschen, die sich tagtäglich der plattdeutschen Sprache bedienen, die unterhalten sich natürlich auch über diese große Flut in Südostasien. Sie sprechen ja darüber, und sie tun es in der plattdeutschen Sprache. Sie werden bestimmte Begrifflichkeiten nicht verwenden, die allerdings der Hochdeutschsprecher, wenn er mit seiner Tante oder sein Nichte spricht, auch nicht verwenden wird. Das Plattdeutsche ist natürlich zu 98 Prozent gesprochene Sprache, und deswegen sind dann auch Formulierungen von Weltnachrichten... sind schlichter. Es wir vermieden, Satzverknüpfungen zu machen; es werden vermieden, allzu viele Substantive hinein zu nehmen; es wird vermieden, mit allzu vielen Fremdwörtern zu arbeiten. Und dadurch wirken für diejenigen, die nicht immer plattdeutsch sprechen, da wirken eben diese plattdeutschen Nachrichten lakonischer."

Jürgens: "Halb zehn. Das ist alles noch locker."

Die F.D.P.-Pieper-Meldung ist fertig.

Jürgens: "Gut, denn gehen wir zur Nächsten. "

Noch ist Heidi Jürgens an diesem Mittwoch im Januar in ihrem kleinen Nachrichtenraum immer noch nicht im Stress.

Jürgens: "Ich habe immer fünf. [Computerdrucker.] Ich mach das Wetter zum Schluss. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich beim Wetter keine großen Kinken auftun. Das ist meisten klar, da gibt's nicht viel zu deuteln."

Reichstein: "Wetter übersetzen ist allemal für mich als Bauerntochter sehr viel einfacher. Wetterbeobachtungen im Plattdeutschen, da können sie ganze Bücher darüber finden, wie man das ausdrückt, wie man die Wetterlage ausdrückt, wie jetzt gerade die Wolken am Himmel. Das ist ähnlich wie mit den Ausdrücken von 'Schnee' bei den Eskimos."

Jürgens: "Ich fang meistens immer ziemlich spontan an zu übersetzen. Seh' dann erst, ach so geht der Satz zu Ende. Dann muss ich doch wieder was umstellen, aber dann versuche ich das ziemlich spontan, weil, das sind dann die besten Ideen."

Reichstein: "Ja, das Beispiel 'Weltwirtschaftsgipfel' hat mal eine ehemaliger Kollege geprägt, der sagte, 'die Welt' im Plattdeutschen ist 'dat dörp', 'die Wirtschaft', das ist der 'kroog', und 'gipfel' ist ein 'hümpel'. Also ist das ein 'dörpskrooghümpel'. Das ist jetzt natürlich auch als Gag gemeint. Bei mir würde eher folgendes daraus werden: 'De hogen lüd udde wertschop überoll uppe welt kommt tohop'. 'Die hohen Leute aus der Wirtschaft aus aller Welt kommen zusammen.'"

Die Unterschiede zwischen dem Hochdeutschen und dem plattdeutschen Dialekt und das Verhältnis zur Welt, wie es sich in der beiden Sprachen unterschiedlich ausdrückt, drückt sich häufig in dem Vorurteil aus, dass das Plattdeutsche fremd klingt, exotisch, aber generell immer niedlich.

Reichstein: "Das Plattdeutsche wirkt deshalb niedlich bei vielen Menschen, weil sie diese Sprache nicht als gesprochene Sprache benutzen, sondern sie hören - und das dann häufig im Zusammenhang mit Ostfriesenwitzen, sag ich mal, Ohnsorg-Theater (das sind so diese gängigen Beispiele), wo viele Leute in Norddeutschland, aber auch in der Bundesrepublik die Verknüpfung haben zum Niederdeutschen. Das sind dann immer die heiteren Momente. Ich gebe dazu immer folgendes Beispiel an. Ich bin mit dieser Sprache groß geworden; in der ganzen Familie wurde nur Plattdeutsch gesprochen; ich kam in die Pubertät und hatte meine Auseinandersetzungen mit den Eltern. Die wurden auf Platt geführt, und die waren überhaupt nicht niedlicher, als es im Hochdeutschen der Fall gewesen wäre."

Die Zeit, genau 10 Uhr.

Radio-Bremen-News (hochdeutsch): "Guten Morgen. Bundesverfassungsgericht entscheidet über Studiengebühren …"

Nun läuft sie, die Uhr; und zwar immer schneller; noch eine halbe Stunde. Heidi Jürgens wartet auf ihre Aufmachermeldung. 10:05 Uhr. Die hochdeutschen Nachrichten sind durch. Aber was ist nun mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur den Studiengebühren?

Jürgens: "Jetzt isses gekommen. Neue Temperaturen? Na! Wunderbar. Alles minus. Aber das ist nicht das, was mich interessierte."

Heidi Jürgens korrigiert die Temperaturen im plattdeutschen Wetterbericht. 10:11 Uhr. 10:13 Uhr. Sie starrt auf den Bildschirm. Wo bleibt die Meldung? Noch 17 Minuten, bis sie auf Sendung muss.

Jürgens: "Jetzt muss ich da gleich aber tatsächlich mal anrufen."

10:15 Uhr. Noch eine Viertelstunde, und der Aufmacher ist weder da noch übersetzt.

Jürgens: "Ja, Ulrike, hier ist Heidi von den Plattdeutschen. Du, ich hab noch nicht die Aufmachermeldung. Ja, die brauch' ich ganz dringend. [Legt den Hörer auf.] Wie ich vermutet hatte: Sie hatte es vergessen."

10:16 Uhr.

Heidi Jürgens: "Das sind immer so die Sachen, wo man denkt, vielleicht kommt's ja so knapp. Gut, da muss ich dann jetzt richtig 'n Schlag ranhauen. "

10:17 Uhr. Heidi Jürgens starrt auf ihre Bildschirmmaske.

Jürgens: "Da bleiben jetzt noch 10 Minuten für die Meldung. Ich hoffe, es ist eine einfache."

10:21 Uhr. Noch 9 Minuten.

Jürgens: "[Telefon klingelt.] Ja. Okay, alles klar, das ist Bundes...verfassung... Schon aufgelegt. Okay, sie ist auf jeden Fall kurz, das ist schon mal erfreulich. [Drucker gruschelt. Schreibt.] 'Länner drüft ... in tokonft' ... "

Auch am Mittwoch, den 26.01.2005 ist mal wieder alles glatt gegangen. Heidi Jürgens sitzt um 3 Minuten vor halb an ihrem Platz schräg neben dem Moderator im Sendestudio.

Plattdeutsche Nachrichten auf RB-1 vom 26.01.05: " "[Musik & Jingle.] Bremen een. De Klock is halbig ölben. De Nachrichten. - Karlsruh. De Bundesländer dröft in Zukunft ... Bremen. Den Pries kriecht den Hamburger schrieversche. Und nu een Blick up das Weer. ... Das weern de Nachrichten op Platt."

Reichstein: "Nach aller Ernsthaftigkeit möchte ich aber noch gerne eins anfügen. Es gibt natürlich auch so etwas wie eine klammheimliche Freude, eine diebische Freude, wenn man in einer Nachricht auch einmal so einen kleinen Gag unterbringen kann. Es war zum Beispiel so - und es ist mir eben als Beispiel eben so gut in Erinnerung geblieben -, als damals die Affäre aufkam, Monica Lewinsky und Bill Clinton, da hatte ich dann auch an einem Tag Nachrichten, und da hieß es... Auch die hochdeutschen Nachrichten drückten sich da ganz kompliziert aus, weil ich dem amerikanischen Präsidenten auch nichts anhängen kann, was noch nicht justiabel ist... Da habe ich einen schönen Begriff gefunden. Sie hatten 'grabbelvisitenerfollen'."

Was bitte heißt was?

Reichstein: "Sie hatten 'Grabbel-Besuche' abgehalten."