Plastische Prozesse
Der britische Bildhauer Tony Cragg, 1949 in Liverpool geboren, gilt als einer der geistreichsten und innovativsten Bildhauer der Gegenwart. Seit 1977 lebt er in Wuppertal, wo er kürzlich auch einen eigenen Skulpturenpark eröffnet hat. Die Staatliche Kunsthalle in Karlsruhe zeigt einen Querschnitt seiner Arbeiten auf Papier, aber auch mehr als 20 Skulpturen.
Bevor er Bildhauer wurde, war Tony Cragg Praktikant in einem biochemischen Forschungslabor. Seinen Plastiken sieht man das an. Merkwürdig verformte Gefäße und Konstrukte, die Maschinenteilen gleichen, lagern auf Sockeln und am Boden. Manche erinnern an biomorphe Gebilde mit bizarren Tentakeln, geschraubten Wülsten und Kehlen, andere an abgeschliffenes Gestein.
Manche sehen mit ihren Windungen und Verflechtungen aus wie Fruchtschalen, verschobene Wirbelsäulen oder bizarr gekurvte Schneckenhäuser, und einige der frappierenden Formen verstülpen sich, als wollten sie sich selbst verschlucken. Kurzum: Es sind aberwitzige Mutationen von Form und Material, plastische Ausgeburten aus einer Welt zwischen Biosphäre, Landschaft und Figur.
Die Kunst, hat Cragg einmal gesagt, sei ein Prozess, der "das dumme Material zum Denken zwingt", und gerade wie man aus der puren Stofflichkeit der Dinge Bedeutung generiert, hat ihn immer interessiert. Früher hat er bunten Plastikschrott gesammelt, die Teile akkurat nach Farben und Formen sortiert und zu Puzzle-artigen Figuren arrangiert: scheinbar tote, wertlose Materie, die plötzlich wieder was zu sagen hatte.
Von solch praktischer Resteverwertung ist Cragg systematisch zu plastischen Transformationsprozessen gelangt, wo er die Parameter dessen, was moderne Plastik an der Schnittstelle von Kunst und Naturwissenschaft vermag, ständig neu justiert.
Im Gespräch ist Cragg ein geistreicher Theoretiker, ganz auf der Höhe der Zeit. Seine Bezugspunkte setzt er nicht in der Kunstgeschichte, sondern mitten im Leben, in der Natur, in den elementarsten Erfahrungen des Menschen mit dem Material:
"In dem Moment, wo wir geboren sind, haben wir einen ziemlich blanken Kopf. Also die Neuronen sind schon da. Aber es ist, dass wir durch Berührung, durch Sehen und Erfahrungen mit den Materialien erst mal überhaupt unser Gehirn programmieren und strukturieren. Und das ist vielleicht der Körper von unserer Mutter am Anfang, unsere Eltern, unsere erste Umgebung. Und das ist das Fantastische an Material, man kann es nicht unterschätzen: Alles, was wir sehen, alles, was wir denken, entspringt dem Material."
Das Material. Egal ob er mit Holz und Kunststoff arbeitet, mit Bronze, Gips und Stein, mit Aluminium, Glas oder Spezialfasern, wie sie auch im Rennsport Verwendung finden - es versteht sich von selbst, dass seine plastischen Produktionsmethoden entsprechend angepasst sind. Seine Werkstatt in Wuppertal ist eine Art Labor, in dem er mit einem Stab spezialisierter Mitarbeiter ständig an neuen Formen herumtüftelt:
"Das war eine sehr bewusste Entscheidung in den Achtzigerjahren, also gute Handwerker um mich rum zu bekommen. Damals waren das so drei, vier Leute, und heute sind das ein Dutzend, und das sind super Handwerker, und wir arbeiten. Die ganze Zeit schaue ich hin und gucke, am Tag gehe ich häufig hin und arbeite auch ein Stündchen mit, jede ästhetische Entscheidung ist auf jeden Fall meine."
Der Fertigungsprozess seiner Skulpturen selbst ist hochindustrialisiert. Spezialfirmen übernehmen das Fräsen und Polieren der Formen. Doch eines ist ihm wichtig:
"Was ich nicht mache, und was ich absolut für sinnlos erachte, ist, mit einem Computer Skulpturen zu entwickeln oder Formen zu entscheiden. Das funktioniert für mich nicht."
Muss auch nicht, denn Cragg ist nebenbei ein ganz brillanter Zeichner und genialer Formenerfinder. Und auch dazu schaut er gerne in die Natur.
Sein Lieblingsmuseum, sagt er, sei das Natural History Museum in London, ein Naturkundemuseum voller Fossilien, Gesteine, Pflanzen und Tiere.
"Da war so ein Film, wo man gezeigt hat, wie so eine Auster vor ihrer Lippe ein Stück Haut gebildet hat. Und wenn sie aufbläst, pustend, dann füllt sich diese Haut mit Wasser wie ein Schwellkörper. Der sieht aus wie ein Fisch, und das lockt andere Fische an, und dann pustet die Auster ihre Samen in die Kiemen von dem.
So hat sie ihren Fortpflanzungsmechanismus. Das ist reine Materialentwicklung. Wenn man in das Material schaut, das ist so großartig, dass man immer nur am Staunen ist. Ich finde, ein Museum ist ein Ort, wo man plötzlich auf einmal alle diese Dinge um sich herum hat."
Eben das passiert auch hier in dieser Schau. Wie Tony Cragg auf dem Papier lustvoll mit Ideen jongliert, wie er gestisch schwungvoll die Linien schlingert oder mit sicherem Strich Strukturen konstruiert, immer wendig und experimentierfreudig, wie er beispielsweise Chromosomen aquarelliert und mit seinen Blättern quasi die Evolutionsgeschichte seiner Plastik illustriert, das ist die reine Augenweide. Und wenn man sieht, mit welcher Dynamik Tony Cragg die Kunst umkrempelt, könnte einem fast schon schwindlig werden.
Service: Die Ausstellung "Tony Cragg - Second Nature" ist bis zum 3. Mai 2009 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen, danach im Museum der Moderne in Salzburg.
Manche sehen mit ihren Windungen und Verflechtungen aus wie Fruchtschalen, verschobene Wirbelsäulen oder bizarr gekurvte Schneckenhäuser, und einige der frappierenden Formen verstülpen sich, als wollten sie sich selbst verschlucken. Kurzum: Es sind aberwitzige Mutationen von Form und Material, plastische Ausgeburten aus einer Welt zwischen Biosphäre, Landschaft und Figur.
Die Kunst, hat Cragg einmal gesagt, sei ein Prozess, der "das dumme Material zum Denken zwingt", und gerade wie man aus der puren Stofflichkeit der Dinge Bedeutung generiert, hat ihn immer interessiert. Früher hat er bunten Plastikschrott gesammelt, die Teile akkurat nach Farben und Formen sortiert und zu Puzzle-artigen Figuren arrangiert: scheinbar tote, wertlose Materie, die plötzlich wieder was zu sagen hatte.
Von solch praktischer Resteverwertung ist Cragg systematisch zu plastischen Transformationsprozessen gelangt, wo er die Parameter dessen, was moderne Plastik an der Schnittstelle von Kunst und Naturwissenschaft vermag, ständig neu justiert.
Im Gespräch ist Cragg ein geistreicher Theoretiker, ganz auf der Höhe der Zeit. Seine Bezugspunkte setzt er nicht in der Kunstgeschichte, sondern mitten im Leben, in der Natur, in den elementarsten Erfahrungen des Menschen mit dem Material:
"In dem Moment, wo wir geboren sind, haben wir einen ziemlich blanken Kopf. Also die Neuronen sind schon da. Aber es ist, dass wir durch Berührung, durch Sehen und Erfahrungen mit den Materialien erst mal überhaupt unser Gehirn programmieren und strukturieren. Und das ist vielleicht der Körper von unserer Mutter am Anfang, unsere Eltern, unsere erste Umgebung. Und das ist das Fantastische an Material, man kann es nicht unterschätzen: Alles, was wir sehen, alles, was wir denken, entspringt dem Material."
Das Material. Egal ob er mit Holz und Kunststoff arbeitet, mit Bronze, Gips und Stein, mit Aluminium, Glas oder Spezialfasern, wie sie auch im Rennsport Verwendung finden - es versteht sich von selbst, dass seine plastischen Produktionsmethoden entsprechend angepasst sind. Seine Werkstatt in Wuppertal ist eine Art Labor, in dem er mit einem Stab spezialisierter Mitarbeiter ständig an neuen Formen herumtüftelt:
"Das war eine sehr bewusste Entscheidung in den Achtzigerjahren, also gute Handwerker um mich rum zu bekommen. Damals waren das so drei, vier Leute, und heute sind das ein Dutzend, und das sind super Handwerker, und wir arbeiten. Die ganze Zeit schaue ich hin und gucke, am Tag gehe ich häufig hin und arbeite auch ein Stündchen mit, jede ästhetische Entscheidung ist auf jeden Fall meine."
Der Fertigungsprozess seiner Skulpturen selbst ist hochindustrialisiert. Spezialfirmen übernehmen das Fräsen und Polieren der Formen. Doch eines ist ihm wichtig:
"Was ich nicht mache, und was ich absolut für sinnlos erachte, ist, mit einem Computer Skulpturen zu entwickeln oder Formen zu entscheiden. Das funktioniert für mich nicht."
Muss auch nicht, denn Cragg ist nebenbei ein ganz brillanter Zeichner und genialer Formenerfinder. Und auch dazu schaut er gerne in die Natur.
Sein Lieblingsmuseum, sagt er, sei das Natural History Museum in London, ein Naturkundemuseum voller Fossilien, Gesteine, Pflanzen und Tiere.
"Da war so ein Film, wo man gezeigt hat, wie so eine Auster vor ihrer Lippe ein Stück Haut gebildet hat. Und wenn sie aufbläst, pustend, dann füllt sich diese Haut mit Wasser wie ein Schwellkörper. Der sieht aus wie ein Fisch, und das lockt andere Fische an, und dann pustet die Auster ihre Samen in die Kiemen von dem.
So hat sie ihren Fortpflanzungsmechanismus. Das ist reine Materialentwicklung. Wenn man in das Material schaut, das ist so großartig, dass man immer nur am Staunen ist. Ich finde, ein Museum ist ein Ort, wo man plötzlich auf einmal alle diese Dinge um sich herum hat."
Eben das passiert auch hier in dieser Schau. Wie Tony Cragg auf dem Papier lustvoll mit Ideen jongliert, wie er gestisch schwungvoll die Linien schlingert oder mit sicherem Strich Strukturen konstruiert, immer wendig und experimentierfreudig, wie er beispielsweise Chromosomen aquarelliert und mit seinen Blättern quasi die Evolutionsgeschichte seiner Plastik illustriert, das ist die reine Augenweide. Und wenn man sieht, mit welcher Dynamik Tony Cragg die Kunst umkrempelt, könnte einem fast schon schwindlig werden.
Service: Die Ausstellung "Tony Cragg - Second Nature" ist bis zum 3. Mai 2009 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen, danach im Museum der Moderne in Salzburg.