Plastikwelt

"Eine archaische Version von Kirmesklamauk"

Feuerwerk und Disney-Stars: Das Disneyland in Anaheim, Kalifornien, an seinem 50. Geburtstag 2005.
Feuerwerk und Disney-Stars: Das Disneyland in Anaheim, Kalifornien, an seinem 50. Geburtstag 2005. © picture-alliance/ dpa/dpaweb / epa Brendan Mcdermid
Von Jürgen Kalwa · 11.01.2014
Thomas Struth hat es hinter die Kulissen von Disneyland geschafft. Mitgebracht hat er Eindrücke aus einer Kultur, die in die Jahre gekommen ist, Einblicke in eine antiquierte Hyperrealität.
Das Klischee von Amerika als einer kulturlosen Plastikwelt ist schon ziemlich alt, aber beständig. Und dennoch fasziniert es noch immer. Nicht nur die Oberfläche selbst. Also das, was man sehen kann. Sondern auch die Kunstfertigkeit und die Einbildungskraft, mit der in den USA Alltag hergestellt und inszeniert wird. Aber auch die Wirkung beschäftigt Menschen. Wie prägt so etwas das Denken und die Wahrnehmung – ob in den Vereinigten Staaten oder in anderen Teilen der Welt, wo sich die amerikanische Unterhaltungsindustrie mit ihren langen Tentakeln ausbreitet?
Der Philosoph Jean Baudrillard hat sich mit dieser Hyperrealität einst ausführlich beschäftigt. Und dabei etwas Erhellendes über die Mutter aller Vergnügungsparks gesagt – über Disneyland in Anaheim/Kalifornien, eröffnet 1955 und jedes Jahr Ziel von 15 Miliionen Besuchern.
Geschaffen worden sei dieses Fantasiegebilde zwar in jener Zeit, so schrieb er, “um uns glauben zu machen, dass der Rest real ist”. Tatsächlich seien “ganz Los Angeles und das Amerika, das es umgibt, schon längst nicht mehr real”, sondern gehörten “zur hyperrealen Ordnung und einer Ordnung der Simulation”. Wenn es also jemals Unterschiede zwischen drinnen und draußen gab, so sie sind verschwunden.
Was real ist und was hyperreal, lässt sich mit Hilfe künstlerischer Fotografie hervorragend darstellen. Auf eine gewisse Weise leistet Thomas Struth mit seiner Plattenkamera schon seit Jahren nichts anderes. Alle Details sind ultrascharf. Ihr eigenartiger Schimmer ist Produkt von reinem Tageslicht. Sie sind lebensleer und statisch. Und sie entstehen oft an Orten, zu denen Normalsterbliche keinen Zugang haben.
Fantasie aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts
Die Inspiration dazu entspringt manchmal der Lektüre von Zeitungen:
“2008 gab es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen ziemlich langen Artikel über Disneyland von Katja Eichinger darüber, dass es in den sechziger und siebziger Jahren der Inbegriff allen Schlechten und Negativen der amerikanischen Kultur war und dass das aber inzwischen unter einem anderen Blickwinkel erscheint. Die genaue Argumentationskette war mir nicht so wichtig. Mich hat das fasziniert unter dem Aspekt, dass heutzutage – mit den 3D-Animationen und den unglaublichen Möglichkeiten, Realitäten und Fantasien zu kreieren und auf die Leinwand zu bringen – Disney fast schon eine archaische Version ist von diesem Kirmesklamauk. Fantasie und Vorstellung quasi aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts.”
Eichingers Artikel war tatsächlich keine Offenbarung. Denn darin wurde mit Hilfe eines Scheingefechts mit einem Popanz – den sogenannten “europäischen Kulturpessimisten” – Disneyland allen Ernstes und gar nicht ironisch mit all seinen gut gelaunten Besuchern als spirituelles Refugium angepriesen – als die “amerikanische Version von Zen”.
Eine solche Deutung wird man nicht mal in jenem Bild wiederfinden, das Thomas Struth bei seinem einwöchigen Aufenthalt im letzten Jahr in Anaheim von einer Teichanlage im Park gemacht hat. Man sieht Wasser. Und viele Pflanzen.
“Und dann sieht man links an der Seite im Hintergrund so ein bisschen eigenartige Architektur. Die könnte auch von einem durchgeknallten Schrebergartenbesitzer kommen.”
“Pond” – auf Deutsch “Teich” – heißt die Aufnahme und trägt wie die fünf anderen Bilder der Disney-Serie einen Titel, der nur aus einem Wort besteht. Die karge Wortwahl zeigt, wie viel – und im Grunde auch wie wenig – Struth aus dieser Scheinwelt mitgebracht hat. Ohne Menschen, ohne den Trubel und ohne ikonografische Elemente wie Micky Maus wirkt das Geschehen bei Disney assoziativer, allgemeingültiger, aber auch entrückt.
“Es geht nicht darum, dass das jetzt ein Ride bei Disney ist. Darum wollte ich allgemeiner sagen “Kino”, “Canyon”, “Spalte”, “Teich”, um die Assoziationsmomente möglichst offen zu halten.”
Walt Disney könnte eigenem Figurenkabinett entsprungen sein
Hinter die Kulissen von Disneyland zu kommen, ist eine Leistung für sich. Das Unternehmen ist sich seines Wesens als ertragreicher Image-Fabrik bewusst und hat nicht die Absicht, seine Kundschaft zu desillusionieren und dabei womöglich die Magie des “Magic Kingdom” zu zerstäuben. Was der aktuelle Disney-Film “Saving Mr. Banks”, der im März in Deutschland in die Kinos kommt, übrigens auf seine Art einmal mehr bestätigt. Tom Hanks spielt darin den Unterhaltungsvisionär Walt Disney als einfühlsame Vaterfigur. Ein Mann ohne Spur von geistiger Tiefe. Er könnte seinem eigenen Figurenkabinett entsprungen sein.
Dabei gibt es Tiefe bei Disney. Sie besteht in dem technischen und logistischem Aufwand, der sich hinter der Staffage aus buntem Pappmaschee, dem vielen Holz und Zement verbirgt. Doch Struth entschied sich für nur ein Motiv, das dies etwas deutlicher einfängt. In “Cinema”, dem Bild, das eine weiße Projektionsfläche in einem völlig abgedunkelten Raum zeigt, in dem die Besucher die Illusion erleben, sie flögen über eine Landschaft hinweg.
“Das war natürlich auch ein sehr großer kompositorischer Reiz. Und die Bänke sehen aus wie Raumfahrttechnik. Ich habe da versucht, ein Bild zu machen, mit der Leinwand als Illusionsträger. Künstler vor der weißen Leinwand.”
In all dem entdeckte das Wall Street Journal vor der Ausstellung in der Galerie Marian Goodman in Midtown Manhattan eine “kuriose Schönheit und Pathos”. Etwas, was sich über die ältere Arbeiten, die ebenfalls zu sehen sind, nicht sagen lässt. Sie entzaubern und entblättern auch nicht. Sie zeigen einfach, was Struth aus den Fluchtpunkten einer hochtechnisierten, aber ganz und gar nicht hyperrealen, sondern einfach nur seltsam entmenschten Realität herauskristallisiert.
In dem Disney-Thema fand er allerdings auch ein bisschen von sich selbst.
“Ich habe gesehen, das ist eine Möglichkeit für mich, über Dinge zu sprechen, die mich beschäftigen. Mir ist das schon wichtig, dass das der ursprüngliche Park ist und nicht Disneyland in Paris oder in Florida. Weil das da den Anfang genommen hat. Ich bin 1954 geboren. Man könnte auch sagen, das ist die Zeit, aus der ich stamme.”