Plastikmüll

Das Problem mit den "Hemdchenbeuteln"

08:34 Minuten
Verschiedenes Obst (Bananen, Äpfel, Erdbeeren) in dünnen Plastiktüten aus dem Supermarkt. Laut Bundesumweltministerium nutzten die Verbraucher 2018 im Schnitt pro Kopf 37 dieser sogenannten Hemdchenbeutel, nur zwei weniger als 2017 mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 39 Tueten. Im vergangenen Jahr seien in Deutschland etwas mehr als drei Milliarden der kleinen Beutel verbraucht worden.
Dieses Obst ist unnötigerweise doppelt und dreifach geschützt, doch Plastikbeutel landen am Ende in Flüssen, Meeren und der Nahrungskette, sagt Katrin Hinz. © imago/epd-bild/Norbert Neetz
Katrin Hinz im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 06.06.2019
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Kleine dünne Plastiktüten entwickeln sich zur Plage für die Umwelt − Stichwort Mikroplastik. Die Sehnsucht nach "Jungfräulichkeit der Produkte" sei schuld, sagt Katrin Hinz, Professorin für Kommunikationsdesign: "Wir haben heute so eine Hygienefanatik."
Stephan Karkowsky: Ich finde das komisch: Da nutzen die Deutschen immer weniger Plastiktüten, aber die Zahl dieser kleinen, dünnen Plastikbeutel am Obst- und Gemüsestand, die bleibt konstant. Die Dinger hören auf den niedlichen Namen Hemdchenbeutel, sind völlig umsonst und wurden voriges Jahr mehr als drei Milliarden Mal von der Rolle gezogen allein in Deutschland und in der Regel nur ein einziges Mal benutzt.
Am heutigen "Tag der Verpackung" möchte ich über gute und schlechte Verpackung sprechen mit Katrin Hinz. Sie ist Professorin für Kommunikationsdesign an der Hochschule für Wirtschaft und Technik und Berlin.
Gerade im Bioladen denke ich jedes Mal, warum geben die nicht am Eingang mehrfach verwendbare Wiegeschälchen aus für Tomaten, Zwiebeln und Äpfel? Warum immer noch diese Hemdchenbeutel? Wissen Sie es?

"Der Trott der Gewohnheit und der Bequemlichkeit"

Hinz: Nein, weiß ich nicht. Also es ist theoretisch natürlich möglich. Es gibt auch schon Bioläden, die sowas machen oder Läden wie Original Unverpackt, wo das möglich ist. In Großbritannien haben jetzt die ersten Supermärkte ganz ohne Verpackungen für Obst und Gemüse aufgemacht. Es geht also. Ich glaube, es ist einfach nur der Trott der Gewohnheit und der Bequemlichkeit, weil es ist einfach schneller für Kunden als auch für das Personal, was nachher kassiert.
Karkowsky: Mein Bioladen um die Ecke bietet immerhin als Alternative zum Plastik Einmaltütchen aus Papier an, das sind dann diese Dreieckstütchen. Wissen Sie, welche Variante besser ist für die Umwelt?
Hinz: Das ist immer nicht so einfach zu beantworten. Das Thema ist da komplex. Papier ist in der Herstellung, was den Ressourcenverbrauch betrifft, teilweise umweltschädlicher als eine Herstellung eines dünnen Plastikfilms oder Plastikfolie. Nur das Problem ist natürlich, dass das Plastik nicht wirklich verrottet. Wir wissen einfach noch gar nicht über die letzten 30, 40 Jahre Erfahrung, wie viel da an Rückständen, selbst wenn es vermeintlich verrottet, in der Erde bleibt.
Und vor allem die Mikroplastik, von der jetzt ganz viel gesprochen wird, die in den Meeren, in den Tieren überall landet, die wird natürlich gerade durch diese feinen Hemdchenbeutel verursacht, und da ist Papier dann langfristig sehr viel ungefährlicher, weil das verrottet, das kann man verbrennen, das bleibt rückstandslos und schadstofffrei dann irgendwo im Boden, oder zumindest wir Menschen leiden dann darunter nicht und die Tiere auch nicht.

Produktionskette ganzheitlich betrachten

Karkowsky: Die "Bild"-Zeitung hat gestern erst wieder groß getönt: Auch Stoffbeutel sind 131 Mal umweltschädlicher als herkömmliche Plastiktüten. Da kann man ja nicht oft genug drüber reden. Ist da was dran?
Hinz: Na ja, da mag sicherlich was dran sein, was den Ressourcenverbrauch betrifft. Das ist ähnlich wie beim Papier, weil natürlich die Herstellung und das, was da an Material verbraucht wird, sehr groß wird. Wie oft es dann wiederverwendet wird, ist dann auch noch mal die Frage, aber das sind natürlich immer relativ billige und spektakuläre Schlagzeilen, die nicht wirklich ein sehr komplexes Thema auch komplex betrachten. Das ist so wie alle Statistik. Ich kann sie immer unterschiedlich interpretieren, und die Frage ist, in welches Verhältnis ich sie setze.
So ein dünner Plastikbeutel, der hat wirklich sehr, sehr wenig Materialverbrauch. Das ändert aber nichts daran, dass er nur einmal benutzt wird und dann mit sehr viel Schadstoffen und einem großen Verbrauch an Ressourcen, die nicht nachwachsen, verbraucht und dann auch schädlich verbrannt, kompostiert oder einfach nur sich zerlegt und dann am Ende in unseren Flüssen und den Meeren und wiederum in der Nahrungskette landet.
Eine gelbe Plastiktüte hängt in den blätterlosen Ästen eines Baums.
Eine gelbe Plastiktüte hängt in den blätterlosen Ästen eines Baums.© imago
Insofern, wenn man das ganzheitlich sieht, von der Produktion bis zum endgültigen Verenden eines Produktes, dann ist der Stoffbeutel garantiert weniger schädlich als die Plastiktüte.
Karkowsky: Also ich glaube, die meisten Verbraucher müssten mittlerweile verstanden haben, dass Gurken, Salatgurken, dass die durchaus eine eigene Verpackung haben, nämlich ihre Schale und nicht unbedingt eine Plastikhülle drumrum brauchen. Das leuchtet ja ein.

"Wir haben heute so eine Hygienefanatik"

Aber wie ist das mit portionsfertig abgepackten Tomaten, mi 500-Gramm-Schalen Erdbeeren, Pilzen oder sowas wie den praktischen Dreierpack Avocado mit Limetten? Warum ist das überhaupt abgepackt? Entscheidet die Verpackung über den Verkaufserfolg?
Hinz: Nein, ich glaube, das ist gar nicht mal so sehr. Es ist einfach wirklich nachher eine Frage der Effizienz. Also wenn der Handel das fertig abgepackt und abgewogen anbietet, lässt sich ganz schnell kassieren. Alles andere muss ich abwiegen. Das ist am Ende wieder ein Zeitaufwand.
Und dazu kommt, ich glaube gar nicht mal, dass es der Kunde unbedingt will. Recycle-Papier bedeutet nicht Sachen, die schon mal bedruckt worden sind, sondern auch in der Papierproduktion entstehen Beschnittabfälle, die sind dann sauber, die werden dann für Lebensmittelverpackungen verwendet. Die sind natürlich viel weniger schädlich als diese ganzen Plastikverpackungen. Da muss ich auch nicht wahnsinnig viel Folie noch drüber haben, das brauche ich eigentlich nicht.
Aber dann gibt es natürlich auch Vorbehalte, wir haben heute so eine Hygienefanatik. Also wir wollen alles das erste Mal haben und benutzt haben, und möglichst soll es kein anderer angefasst haben, und manche Leute kriegen schon Schüttelfrost, wenn sie sehen, dass da ein anderer Kunde vielleicht mal einen Pfirsich befingert oder so etwas, und dagegen hilft natürlich vermeintlich vom Handel dieses Angebot, also aus einer Produktion unberührt, du bist der erste als Verbraucher, der es dann am Ende auch anfasst, wenn er es auspackt. Also so ein bisschen Jungfräulichkeit der Produkte.
Das ist auf der einen Seite unser Hygienewahn, den wir in der westlichen Welt haben, auf der anderen Seite aber natürlich für den Handel auch sehr einfach zu handhaben. Das sind Dinge, die sich so eingeschlichen haben über die letzten Jahrzehnte, weil auch Verpackungen immer preiswerter geworden sind, immer effizienter zu produzieren und der Kunde sich auch an so eine Bequemlichkeit gewöhnt. Das Hinterfragen dessen, wie viel ist da wirklich notwendig, sinnvoll und schränkt vielleicht sogar meine Freiheit der Wahl ein.
Karkowsky: Und die Müllberge werden immer größer. Im Moment verbraucht jeder Deutsche über 150 Kilo Verpackung pro Jahr.
Hinz: Das ist der Wahnsinn.

Manchmal machen Plastikverpackungen Sinn

Karkowsky: Damit ist gemeint, 150 Kilo Verpackung pro Jahr pro Person werden weggeschmissen. Gibt es denn für Sie überhaupt sowas wie eine gute Verpackung?
Hinz: Ja, es gibt schon gute Verpackungen, die natürlich auch die Lebensmittel schützen und vor Verderben schützen. Also eins muss man auch wissen, also gerade von Lebensmitteln: Die Produktion von Lebensmitteln, zum Beispiel von Fleisch und Milchprodukten, die ist ja eigentlich teuer, und so eine Verpackung, so eine dünne Folienverpackung oder so etwas, die macht dann drei oder vier Prozent der Produktionskosten, die Kosten von der Produktion von Lebensmitteln aus. Das sind leicht verderbliche Lebensmittel, die wir heute mit Hightech-Verpackung vor dem Verderben schützen, sehr viel länger im Kühlschrank haben können, auch im Angebot, beim Verkauf.
Dann ist es natürlich langfristig sehr viel nachhaltiger, wenn ich nicht ständig verdorbene Lebensmittel wegschmeißen muss, weil sie innerhalb von wenigen Tagen schlecht geworden sind, frische Lebensmittel, sondern wenn ich sie viel länger frischhalten kann, dann auch länger gebrauchen kann. Insofern ist das dann immer sehr einfach zu sagen, alles ist schlimm.
Aber zum Beispiel verpackte Brötchen zum Aufbacken oder sowas, das ist Hightech, also das sind mehrere Folienschichten, die davor schützen, dass die von außen austrocknen, aber Gase, die von innen entstehen, nach außen gehen. Das kann der Verbraucher gar nicht durchblicken, und der Handel kommuniziert es schlecht.
Es gibt also durchaus Lebensmittelverpackungen, die machen sehr, sehr viel Sinn, also auch der Aufwand, den man dafür betreibt, ist gut im Verhältnis zu dem, wie wertvoll eigentlich das Lebensmittel ist, was sonst weggeschmissen wird.
Karkowsky: Jetzt bringen Sie mich aber doch durcheinander. Was ist denn dann mit der Salatgurke? Ich meine, wer schon mal eine Salatgurke ohne Plastik neben eine mit Plastik gelegt hat, weiß, die ohne Plastik gibt einfach sehr viel schneller auf. Die mit Plastik kann ich ein, zwei Wochen da liegenlassen, und die wird nicht schlecht.
Hinz: Das ist richtig, bloß die Produktion der Gurke ist natürlich nicht so teuer wie die Produktion eines Kilos Rindfleisch oder sowas. Gurke kostet in der Produktion nicht so viel, sonst würden wir sie jetzt auch nicht für 40 Cent oder sowas kaufen können teilweise. Gerade alles, was Tierhaltung betrifft, ist wahnsinnig ressourcenaufwendig und hat ja auch längere Zyklen zum Wachsen oder zum Gedeihen, und da ist es besonders schwierig, weil auch natürlich diese Lebensmittel, wenn sie schlecht werden oder verderben, auch gesundheitsschädlich sein können und auch für viele Verbraucher schwer einzuschätzen, sind sie noch gut oder nicht. Deswegen stehen da Verfallsdaten oder Mindestverbrauchsdaten oder Haltbarkeitsdaten drauf.
Bei der Gurke normalerweise nicht, weil selbst der dümmste Mensch sieht irgendwann, die Gurke ist gelb, matschig oder sieht nicht mehr so richtig appetitlich aus.
Karkowsky: Und die Mindesthaltbarkeitsdaten sind dann noch mal ein ganz anderes Thema, was wir an anderer Stelle sicherlich auch noch mal ausführlich besprechen.
Hinz: Ja, darüber könnten wir den ganzen Tag reden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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