Plastik statt Leinwand

Von Tamara Tischendorf |
Glaubt man dem Galeristen Gerd Harry Lybke, dann sind Skulpturen "the next big thing" auf dem Kunstmarkt. Als Beleg seiner These könnten drei Großveranstaltungen in diesem Jahr dienen, die sich dem Skulpturalen verschrieben haben: die Fine Art Fair in Frankfurt, der Skulpturensommer in Münster und auch die jetzt beginnende art cologne. Allerdings könnte das Raumgreifende so mancher Plastik auch potentielle Käufer abschrecken.
Eine Skulptur: das ist das, worüber man stolpert, wenn man zurücktritt, um sich ein Gemälde anzusehen. Diese ebenso griffige wie abschätzige Minimaldefinition des Malers Ad Reinhardt mag lange getaugt haben, um das sperrige Dreidimensionale in der Kunst einzuhegen. Heute genügt sie längst nicht mehr. Wer dieser Tage - etwa auf der grade beendeten Kunstmesse Fine Art Fair in Frankfurt am Main - umsichtig zurückgestoßen ist, hat sich zuvor mit Sicherheit kein Gemälde angeschaut, sondern vielleicht eine klassische Skulptur von Tony Cragg, um dann im Rückwärtsgang fast mit einer Plastik von Yin Xiuzhen oder einer Installation von Carsten Höller zu kollidieren.

Wollen wir genau werden: Wenn marktschreierische Trendflüsterer "Skulptur" sagen, meinen sie oft etwas ganz anderes: Denn strenggenommen leitet sich der Begriff "Skulptur" vom lateinischen Wort für "schneiden" oder "heraushöhlen" ab. Ein Bildhauer, der mit seinem Meißel dem Stein eine Form abringt, schafft also eine Skulptur. Wer dagegen modelliertes Material in die Welt stellt, kreiert eine Plastik.

Sobald auf dieser Begriffsebene der Narzissmus der kleinen Unterschiede einsetzt, das Feuilleton mit Spitzfindigkeiten auftrumpft, kann das selbst schon als Beleg dafür gelten, dass etwas dran ist an der These vom neuen Trend zur Dreidimensionalen. In diesem Jahr haben sich gleich eine ganze Reihe von Großveranstaltungen dem Skulpturalen verschrieben: Von besagter Fine Art Fair Frankfurt über die Art Cologne bis hin zur Biennale in Venedig, auf der die "Bildhauerin" Isa Genzken den Deutschen Pavillon bespielen wird.

Interessante Bildhauer im erweiterten Sinne gibt es derzeit genug. Die ambitioniertesten unter ihnen teilen den politischen Gestus des 1978 jung verstorbenen Häuserstürmers Gordon Matta-Clark. Er zerteilte Vorstadthäuser und damit den landläufigen amerikanischen Traum mit der Kettensäge. An dessen vergänglichen Architekturen, die den sozialen Raum vermessen, erinnern etwa Florian Slotawas Möbeltürme: Sammler erwerben eine Einkaufsliste für eine große schwedische Möbelfirma. Der Künstler schichtet die Desiderate dann aufeinander: Eine intelligente Reflexion über klassische Bildhauerthemen wie Linie, Volumen und Farbe. Außerdem: ein kritischer Kommentar zur ästhetischen Gleichschaltung der globalisierten Wirtschaftswelt.

Allenthalben ist bei den Künstlern eine Lust am Hantieren mit dem Material spürbar, die ihr Echo in der Sehnsucht des Betrachters nach unmittelbarer, körperlicher Erfahrung hat. Der Kick des Skulpturalen kommt eben auch vom Überdruss am Geflimmer elektronisch basierter Kunst und vom Durchhänger der Flachware. Dennoch ist für die Skulptur wohl kaum ein ähnlicher Höhenflug zu erwarten, wie ihn die Malerei erlebt hat. Der Grund: Skulpturen und Plastiken sind und bleiben schwer, unpraktisch, kompliziert herzustellen, schlecht zu lagern und zu verkaufen.