Planwagen und Piraten

Von Walter Kittel · 12.06.2005
Der amerikanische Aktionskünstler Paul McCarthy liebt das Spektakel: Vor der Eröffnung seiner großen Werkschau im Haus der Kunst in München ließ er im Englischen Garten Planwagen vorbeiziehen und im Museum ein Piratenschiff aufbauen. In der Ausstellung "LaLaLand. Parodie Paradies" sind Skulpturen und Objekte McCarthys mit obskur-obszönem Inhalt zu sehen.
Paul McCarthy trägt heute Vormittag einen breitkrempigen, schwarzen Hut, ein orangefarbenes Trapperhemd, Stiefel und eine schlabbrige Hose, in der er bis zum Baunabel versinkt. Mit seinem grauen, wuscheligen Vollbart sieht er aus, als ob die hinter dem Haus der Kunst aufgereihten Planwagen schon lange sein Wohnquartier sind. Langsam setzt sich der von Pferden gezogene Treck durch den Englischen Garten in Bewegung. Einige junge Frauen tragen karierte Kleider und große, holländisch aussehende Hauben.

"Ich bin eine Pionierin, eine Siedlerin, die von Osten nach Westen wandert, um das Land zu besiedeln. Ich trage traditionelle Kleidung."

Sie wirkt nett und harmlos, diese bayerisch-amerikanische Begegnung. Es fehlt dem Umzug das Chaotische, es fehlen die Schmierereien mit Saucen, Butter und künstlichem Blut, für die McCarthy bekannt ist. Im Haus der Kunst, aus dessen großen Toren die Planwagen an diesem Sonntagvormittag gerollt sind, sieht das schon anders aus:

Auf einem Piratenschiff, das bis unter die Decke reicht, liegen abgesägte Gliedmaßen, der Boden und die Wände sind verklebt. Hier herrscht Chaos und eine verrückte Schlacht wurde geschlagen, irgendwann Anfang des Jahres in Los Angelas. Nun brachte man die besudelten Bauteile für das Schiff und andere Kulissen in riesigen Containern nach München, wo sie unter der Aufsicht McCarthys wieder zusammengesetzt wurden.

"Diese Dinge sind verglichen mit dem, was sonst in der Welt passiert, klein. Und verglichen mit dem, was in Hollywood oder Disneyland passiert, sind es kleine Objekte. Ich wollte gerne Objekte in dieser Größe herstellen. Das Problem ist, in den meisten Ausstellungshäusern kann man so etwas nicht unterbringen. Die sind auf kleinere Objekte eingestellt."

Mit Hollywood will Paul McCarthy nicht in Konkurrenz treten, aber er arbeitet doch mit denselben Mitteln. Ein Großteil seiner 25 Mitarbeiter, die für ihn gigantische Objekte und Automaten bauen, hat zuvor in Hollywoodstudios gearbeitet. Gleich am Eingang der Ausstellung liegt ein lebensecht wirkendes Schwein, das atmet und wie im Schlaf manchmal zuckt. Auch das große, wie eine Filmkulisse wirkende Piratenschiff stammt von seinen Experten aus der amerikanischen Illusionsindustrie. Genauso die Installation "Underworld", mit der eine schwankende Meeresbewegung simuliert wird.

"Ich wollte die Parodie eines Studios entstehen lassen. Die Parodie eines Hollywood-Produktionsstudios. Hollywood ist voll von Studios, die alle möglichen Medien herstellen. Von Pornos bis zu Werbespots, Musikvideos, Spielfilme, B-Movies, was auch immer. Hier hat man jetzt auch eine solche Situation. In Hollywood gibt es das überall, ein Gebäude von dieser Größe oder größer, das als Produktionsstudio ausgegeben wird."

Welchem Zweck die von McCarthys Mitarbeitern errichteten Kulissen dienen, zeigen Videos. Für die Performances wurden Schauspieler gecasted. Manche tragen Masken, Gumminasen und Perücken. Es sind hauptsächlich Seeleute, McCarthy spielt den Captain. Es wird kopuliert und mit Saucen gespritzt. Für die Münchner Performance hat McCarthy Soldaten für ein großes hölzernes Fort ausgesucht, das in der Eingangshalle des Hauses steht und zusammen mit Planwagen eine Westernkulisse bildet. Das Spektakel fand im Vorfeld der Ausstellung statt und wird jetzt auf Video gezeigt.

"Wir hatten im Film eine Art Aufgabe, Soldaten zu spielen. Die in einem Fort leben. Es gibt also einen Waschtag, es gibt einen ganz normalen Bierabend. Es gibt Aufgaben, die zu erfüllen waren. Und so haben wir eine Woche lang das getan, was Soldaten im Fort normalerweise nicht vor laufender Kamera machen."
Was ist das?
"Ja, wir haben ganz normal gepinkelt, wir waren auf Toilette, wir haben uns dabei gefilmt, wir haben nackt geschlafen, wir haben uns gegenseitig geärgert, wir haben viel in dieser Richtung, etwas anrüchig gemacht."

Amerikanische Soldaten, die sich anrüchig benehmen, es fällt nicht schwer, Paul McCarthys Absicht bei dem Spektakel zu erraten. Er selber nennt seine Intention politisch:

"Wir wussten, wenn wir ihnen die Kamera leihen würden, wäre das eine Anspielung auf Abu Graib."

An diesem Sonntagvormittag aber fehlt der Verweis auf Abu Graib. Es ist ein harmlos bayerisch-amerikanisches Treiben. Paul McCarthy mischt sich unter die Schuhplattler, er will Spaß und die Schaulustigen unterhalten.

Und er will ein Video von dieser folkloristischen Performance. Und mit der Geschichte des Hauses der Kunst weiß er wenig anzufangen, auch wenn er dauernd danach gefragt wird. Denn Umzüge fanden hier zuletzt 1937 statt. In germanischer Verkleidung und Wikingertracht wurde das damals noch "Haus der deutschen Kunst" genannte Gebäude eingeweiht.

"Ich weiß nicht, wie oft man mir die Geschichte dieses Gebäudes schon erzählt hat, seit ich hier bin. Ich dachte, wann hört das auf oder was soll es bedeuten? Und was weiß ich überhaupt? Ich möchte mit meinen Arbeiten nicht behaupten zu wissen, was gut für dieses Gebäude ist. Oder dass ich wirklich verstehe, was für ein Haus das ist."

Paul McCarthy hat sich in den letzten 30 Jahren als Künstler wenig verändert. Schon in den 70er Jahren findet man das Motiv des Seemanns, schon damals hantierte er am liebsten mit Saucen und schon immer standen Performances im Mittelpunkt. Was sich verändert hat, sind die Dimensionen, sein Atelier ist heute groß wie eine Fabrik, er kann sich viele Angestellte leisten und die Zerrbilder Hollywoods, der amerikanischen Gesellschaft und Unterhaltungsindustrie wurden mit den Jahren immer ausgreifender.

An München scheint ihn wie ein Oktoberfestbesucher besonders die bayerische Lebensart und Blasmusik zu faszinieren. Künstlerisch wirkt das komisch, unterhaltsam, aber auch irgendwie dürftig.

Service:
Paul McCarthy: LaLaLand - Parodie Paradies. Bis zum 28. August 2005 im Haus der Kunst München.
Installation von Paul McCarthy im Münchner Haus der Kunst
Installation von Paul McCarthy im Münchner Haus der Kunst© AP