Plädoyer für mehr Zeitwohlstand
Der Globalisierungsforscher Wolfgang Sachs hat in der Finanzkrise eine andere Art von Wohlstand angemahnt. Statt industriellen Wachstums fordert er den Schutz der Umwelt und mehr frei verfügbare Zeit für die Menschen.
Gabi Wuttke: Umweltfreundlich und zukunftsweisend - das Elektroauto. Während die Bundesregierung fünf Milliarden in die Abwrackprämie für Benziner steckt, ist das Kabinett bei Kaufanreizen für ein Elektroauto geizig. Wie die "FAZ" mitten in der heißen Phase für ein Kyoto-Folgeabkommen meldete, stehen Zuschüsse unter dem Vorbehalt der geltenden Finanzplanung. Warum nutzt man die Krise nicht als wirkliche Chance für ein Umdenken? Die Frage geht an Wolfgang Sachs, er arbeitet beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie und leitet dort das Projekt "Globalisierung und Nachhaltigkeit". Guten Morgen, Herr Sachs!
Wolfgang Sachs: Guten Morgen!
Wuttke: Nächstes Jahr geht ein japanisches Elektroauto in Serienproduktion, in Europa soll es 2012 erhältlich sein. Können Sie nachvollziehen, warum die deutsche Regierung offensichtlich nicht alles tut, um hier einen Absatzmarkt vorzubereiten?
Sachs: Sie ist klamm bei Kasse! Die Finanzkrise schlägt jetzt langsam auf die Ökologie zurück. Wir müssen ja unglaubliche Schuldenberge abtragen. Der Staat wird abschlanken, das trifft nicht nur die Ökologie, das wird auch die Sozialausgaben treffen.
Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Man hätte schon das Geld, das verschleudert worden ist für die Abwrackprämie, gezielt ausgeben sollen, stückchenweise eine neue Verkehrsinfrastruktur, etwa Elektroautos zu fördern.
Wuttke: Das heißt, die Politik hat eigentlich gar nichts verstanden?
Sachs: Zu spät und im Moment der Finanzkrise zu sehr von der Panik ergriffen, Geld dem nachzuwerfen, der bisher auch schon verdient hat, nämlich der Automobilindustrie und den Automobilkäufern.
Wuttke: Die Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember, sie soll verhindern, dass auch die Reststoffe der Ressource Öl die Atmosphäre weiter zerstören. Ich kann die Frage, die ich eben im Hinblick auf die Politik gestellt habe, jetzt nur noch mal erweitern auf unsere Gesellschaft, eine immer noch reiche Gesellschaft. Haben nicht alle verstanden oder warum haben nicht alle verstanden, wie wichtig Nachhaltigkeit ist?
Sachs: Verstanden schon, aber wir haben im Moment einen zähen Stellungskrieg aller jener Gruppen, Industrien und natürlich auch Konsumenten, die direkt oder indirekt daran verdienen, damit besser stehen, dass sie CO2 ausstoßen. Energieindustrie, Autoindustrie, Autokäufer, auch Energiekäufer bauen Industrien, und überall, wo Sie hinschauen, versucht man, Maßnahmen gegenzusteuern, ein Stück weit hinauszuzögern, zu verhindern, abzublocken, um doch noch schnell sozusagen seine Haut zu retten, wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Und in solchem zähen Stellungskrieg versucht ja die Politik, ein Stück weit voranzukommen, gerade die Europäische Kommission, aber ist dann immer in dieser Art von Stellungskrieg mit den entsprechenden Interessengruppen.
Wuttke: Heißt das, die Lobbyisten sind zu stark, oder umweltverträgliches Handeln und Askese werden für viele einfach immer noch als gleichbedeutend verstanden?
Sachs: Der Lobbyismus ist schon stark, aber nicht nur Lobbyismus. Sehen Sie, wenn man, um nur ein Beispiel zu nehmen, heute dafür sorgen würde, dass die Billig-Airlines wenigstens nicht billiger als die Eisenbahn sind, dann würde ein Aufschrei durchs Land gehen. Es wäre zu leichtfertig, nur den Lobbys den Schwarzen Peter zuzuspielen. Letztendlich haben eigentlich fast wir alle irgendwo Interessen, die damit auch verbunden sind, und dann entwickelt sich starker politischer Gegendruck.
Wuttke: Was sagen Sie denn wäre in diesen Zeiten nötig, sich selbst zu begrenzen, um dafür zu sorgen, dass die Welt tatsächlich mal wieder sich ordentlich rund dreht?
Sachs: Es sind zwei Dinge. Das eine ist, in allen Investitionen, die jeder in seinem Kleinen und Großen tut, scharf im Augenwinkel zu behalten, dass Investitionen eine Bedeutung haben über den eigenen Geldbeutel hinaus. Wenn ich ein Haus oder eine Wohnung kaufe, darauf zu achten oder zu investieren, dass wenig Energie verloren geht. Oder wenn ich einfach nur meine Milch am Morgen kaufe, darauf zu achten, dass es eine Biomilch ist, weil die einfach unter besseren Umständen hergestellt worden ist. Das ist die eine Seite: was macht mein Geld und wie kann ich mein Geld so einsetzen, dass diese großen Ziele auch mit befördert werden. Das Zweite: natürlich, wie Sie andeuten, Selbstbegrenzung. Letztendlich wird kein Weg daran vorbeiführen, zu lernen, mit mittleren Leistungen auch ganz gut auszukommen. Natürlich werden wir keine Geländewagen mehr auf den Straßen haben können, das ist doch ganz offensichtlich, und dergleichen und anderes mehr. Man muss damit lernen, damit auszukommen und lässig darüber hinwegzugehen, dass man weniger Pferdestärken zur Verfügung hat.
Wuttke: Herr Sachs, was hieße denn in diesem Zusammenhang Wohlstand, wenn wir mal nicht das Ziel verfolgen, das ja allenthalben noch und immer wieder und immer wieder stärker verfolgt wird, dass nämlich Wirtschaftswachstum das Ziel sein müsste, das wir ganz, ganz schnell wieder erreichen müssen?
Sachs: Wir haben ja, wenn man es sich gelassen anguckt, die doch ziemlich absurde Situation: Wir arbeiten ja nicht mehr, um zu produzieren, wie in früheren Zeiten, sondern wir produzieren, um zu arbeiten, und das ist doch eigentlich etwas absurd. Wie kann man also mit der ungeheueren Produktivkraft, die unsere Gesellschaft entwickelt hat, so umgehen, dass man nicht gleichzeitig auch immer und beständig mehr arbeiten muss. Sondern das Ziel, was ja eigentlich seit 200 Jahren im Schwange ist, wie man eigentlich Technik und Produktivkraft so nutzen kann, dass wir dann weniger arbeiten müssen und weniger unter der Notwendigkeit zu arbeiten ächzen. Von diesem Ziel sind wir immer noch entfernt, aber natürlich lässt es sich vorstellen, dass Produktivitätsgewinne nicht umgesetzt werden in mehr Produkten und Expansion der Wirtschaft, sondern umgesetzt werden in weniger Arbeit und damit ein Stück mehr freier Zeit verfügbar. Das gibt mehr Zeitwohlstand.
Wuttke: Herr Sachs, glauben Sie, dass wir das beide noch erleben werden, was Sie jetzt gerade prognostiziert haben, was wünschenswert wäre?
Sachs: Das weiß ich nicht, aber das Interessante ist ja doch, dass die Großentwicklungen in die ähnliche Richtung treiben. Es ist ja doch ganz deutlich: Jetzt sind wir am Anbeginn des 21. Jahrhunderts, es lässt sich schwer vorstellen, dass unsere Wirtschaft, die Weltwirtschaft dauernd und dauernd und dauernd wächst in diesem Jahrhundert und gleichzeitig leben wir auf einem begrenzten Planeten. Also von einer ganz anderen Seite her wird die Hoffnung auf stetes Wirtschaftswachstum sowieso in Frage gestellt. Also wäre es doch nützlich, sich zu überlegen: Wenn wir schon schauen müssen, wie man einigermaßen auf einem endlichen Planeten lebt, dann doch gleich so, dass wir gleichzeitig auch damit mehr Zeitwohlstand uns einkaufen.
Wuttke: Wolfgang Sachs vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie im Interview in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Sachs, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und hoffe, dass Sie erhört werden!
Sachs: Danke Ihnen!
Wolfgang Sachs: Guten Morgen!
Wuttke: Nächstes Jahr geht ein japanisches Elektroauto in Serienproduktion, in Europa soll es 2012 erhältlich sein. Können Sie nachvollziehen, warum die deutsche Regierung offensichtlich nicht alles tut, um hier einen Absatzmarkt vorzubereiten?
Sachs: Sie ist klamm bei Kasse! Die Finanzkrise schlägt jetzt langsam auf die Ökologie zurück. Wir müssen ja unglaubliche Schuldenberge abtragen. Der Staat wird abschlanken, das trifft nicht nur die Ökologie, das wird auch die Sozialausgaben treffen.
Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Man hätte schon das Geld, das verschleudert worden ist für die Abwrackprämie, gezielt ausgeben sollen, stückchenweise eine neue Verkehrsinfrastruktur, etwa Elektroautos zu fördern.
Wuttke: Das heißt, die Politik hat eigentlich gar nichts verstanden?
Sachs: Zu spät und im Moment der Finanzkrise zu sehr von der Panik ergriffen, Geld dem nachzuwerfen, der bisher auch schon verdient hat, nämlich der Automobilindustrie und den Automobilkäufern.
Wuttke: Die Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember, sie soll verhindern, dass auch die Reststoffe der Ressource Öl die Atmosphäre weiter zerstören. Ich kann die Frage, die ich eben im Hinblick auf die Politik gestellt habe, jetzt nur noch mal erweitern auf unsere Gesellschaft, eine immer noch reiche Gesellschaft. Haben nicht alle verstanden oder warum haben nicht alle verstanden, wie wichtig Nachhaltigkeit ist?
Sachs: Verstanden schon, aber wir haben im Moment einen zähen Stellungskrieg aller jener Gruppen, Industrien und natürlich auch Konsumenten, die direkt oder indirekt daran verdienen, damit besser stehen, dass sie CO2 ausstoßen. Energieindustrie, Autoindustrie, Autokäufer, auch Energiekäufer bauen Industrien, und überall, wo Sie hinschauen, versucht man, Maßnahmen gegenzusteuern, ein Stück weit hinauszuzögern, zu verhindern, abzublocken, um doch noch schnell sozusagen seine Haut zu retten, wenn ich mich mal so ausdrücken darf. Und in solchem zähen Stellungskrieg versucht ja die Politik, ein Stück weit voranzukommen, gerade die Europäische Kommission, aber ist dann immer in dieser Art von Stellungskrieg mit den entsprechenden Interessengruppen.
Wuttke: Heißt das, die Lobbyisten sind zu stark, oder umweltverträgliches Handeln und Askese werden für viele einfach immer noch als gleichbedeutend verstanden?
Sachs: Der Lobbyismus ist schon stark, aber nicht nur Lobbyismus. Sehen Sie, wenn man, um nur ein Beispiel zu nehmen, heute dafür sorgen würde, dass die Billig-Airlines wenigstens nicht billiger als die Eisenbahn sind, dann würde ein Aufschrei durchs Land gehen. Es wäre zu leichtfertig, nur den Lobbys den Schwarzen Peter zuzuspielen. Letztendlich haben eigentlich fast wir alle irgendwo Interessen, die damit auch verbunden sind, und dann entwickelt sich starker politischer Gegendruck.
Wuttke: Was sagen Sie denn wäre in diesen Zeiten nötig, sich selbst zu begrenzen, um dafür zu sorgen, dass die Welt tatsächlich mal wieder sich ordentlich rund dreht?
Sachs: Es sind zwei Dinge. Das eine ist, in allen Investitionen, die jeder in seinem Kleinen und Großen tut, scharf im Augenwinkel zu behalten, dass Investitionen eine Bedeutung haben über den eigenen Geldbeutel hinaus. Wenn ich ein Haus oder eine Wohnung kaufe, darauf zu achten oder zu investieren, dass wenig Energie verloren geht. Oder wenn ich einfach nur meine Milch am Morgen kaufe, darauf zu achten, dass es eine Biomilch ist, weil die einfach unter besseren Umständen hergestellt worden ist. Das ist die eine Seite: was macht mein Geld und wie kann ich mein Geld so einsetzen, dass diese großen Ziele auch mit befördert werden. Das Zweite: natürlich, wie Sie andeuten, Selbstbegrenzung. Letztendlich wird kein Weg daran vorbeiführen, zu lernen, mit mittleren Leistungen auch ganz gut auszukommen. Natürlich werden wir keine Geländewagen mehr auf den Straßen haben können, das ist doch ganz offensichtlich, und dergleichen und anderes mehr. Man muss damit lernen, damit auszukommen und lässig darüber hinwegzugehen, dass man weniger Pferdestärken zur Verfügung hat.
Wuttke: Herr Sachs, was hieße denn in diesem Zusammenhang Wohlstand, wenn wir mal nicht das Ziel verfolgen, das ja allenthalben noch und immer wieder und immer wieder stärker verfolgt wird, dass nämlich Wirtschaftswachstum das Ziel sein müsste, das wir ganz, ganz schnell wieder erreichen müssen?
Sachs: Wir haben ja, wenn man es sich gelassen anguckt, die doch ziemlich absurde Situation: Wir arbeiten ja nicht mehr, um zu produzieren, wie in früheren Zeiten, sondern wir produzieren, um zu arbeiten, und das ist doch eigentlich etwas absurd. Wie kann man also mit der ungeheueren Produktivkraft, die unsere Gesellschaft entwickelt hat, so umgehen, dass man nicht gleichzeitig auch immer und beständig mehr arbeiten muss. Sondern das Ziel, was ja eigentlich seit 200 Jahren im Schwange ist, wie man eigentlich Technik und Produktivkraft so nutzen kann, dass wir dann weniger arbeiten müssen und weniger unter der Notwendigkeit zu arbeiten ächzen. Von diesem Ziel sind wir immer noch entfernt, aber natürlich lässt es sich vorstellen, dass Produktivitätsgewinne nicht umgesetzt werden in mehr Produkten und Expansion der Wirtschaft, sondern umgesetzt werden in weniger Arbeit und damit ein Stück mehr freier Zeit verfügbar. Das gibt mehr Zeitwohlstand.
Wuttke: Herr Sachs, glauben Sie, dass wir das beide noch erleben werden, was Sie jetzt gerade prognostiziert haben, was wünschenswert wäre?
Sachs: Das weiß ich nicht, aber das Interessante ist ja doch, dass die Großentwicklungen in die ähnliche Richtung treiben. Es ist ja doch ganz deutlich: Jetzt sind wir am Anbeginn des 21. Jahrhunderts, es lässt sich schwer vorstellen, dass unsere Wirtschaft, die Weltwirtschaft dauernd und dauernd und dauernd wächst in diesem Jahrhundert und gleichzeitig leben wir auf einem begrenzten Planeten. Also von einer ganz anderen Seite her wird die Hoffnung auf stetes Wirtschaftswachstum sowieso in Frage gestellt. Also wäre es doch nützlich, sich zu überlegen: Wenn wir schon schauen müssen, wie man einigermaßen auf einem endlichen Planeten lebt, dann doch gleich so, dass wir gleichzeitig auch damit mehr Zeitwohlstand uns einkaufen.
Wuttke: Wolfgang Sachs vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie im Interview in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Sachs, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und hoffe, dass Sie erhört werden!
Sachs: Danke Ihnen!