Plädoyer für mehr Gelassenheit

"Das Land steht nicht kurz vor dem Vierten Reich"

Demonstranten halten am 14.10.2017 auf der Buchmesse in Frankfurt am Main (Hessen), bei einer Lesung und Podiumsdiskussion mit Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Höcke, Protestplakate hoch.
Buchmesse Frankfurt - Protest bei Höcke-Lesung © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Adam Soboczynski im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.10.2017
Störungen, Pfiffe, Verbotsforderungen gegen rechte Verlage auf der Buchmesse: Das findet der Feuilletonchef der "Zeit", Adam Soboczynski, "völlig albern". Denn diese Verlage seien bedeutungslos. Hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
Nicht erst seit dem umstrittenen Auftritt des Antaios-Verlages auf der Frankfurter Buchmesse wird in der Kulturszene heftig über den "richtigen" Umgang mit Rechten diskutiert: Soll man mit ihnen reden, sie bekämpfen oder sie einfach ignorieren? Wo sind die Grenzen des Dialogs?
Während viele für einen scharfen Kurs gegenüber rechten Ideologien und ihren Repräsentanten eintreten, findet der Feuilletonchef der "Zeit", Adam Soboczynski, die Debatte "viel zu hysterisch". Hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, sagt er, und das sei "völlig albern".

Nicht so tun, als bestünde die Republik zur Hälfte aus Rassisten

"Sie dürfen nicht vergessen, es handelt sich hier um ein, zwei oder drei Verlage, die wahrscheinlich schon seit Ewigkeiten herumlungern", betonte Soboczynski im Deutschlandfunk Kultur. Diese Verlage hätten für den Diskurs dieses Landes keine große Bedeutung.
Mit einer "ungeheuerlichen Bedeutung" würden sie erst in dem Moment aufgeladen, "wo Sie sozusagen das Ganze zu einem großen Grundkonflikt unserer Gesellschaft heraufbeschwören und so tun, als bestünde diese Republik zur Hälfte aus Rassisten und Nationalsozialisten", kritisiert der Journalist. Er hingegen glaube nicht, dass dem Land das Vierte Reich kurz bevorstehe.
Adam Soboczynski
Adam Soboczynski© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Außerdem dürfe man nicht vergessen, dass sowohl das Grundgesetz als auch einfache Gesetze bestimmte Dinge verbieten würden: "In dem Moment, wo Sie ein Buch auf den Markt schmeißen, das den Holocaust leugnet oder das Hetzparolen von sich gibt oder das absolut menschenfeindlich ist, dann fällt es auch unter den entsprechenden Paragraphen", so Soboczynski. "Ich mache mir keine Sorge über die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie."

"Bewusstes Missverstehen" in einer hochemotionalisierten Debatte

Der Feuilletonchef der "Zeit" beklagt hingegen die "hochemotionalisierte Debattenkultur", die sich in den letzten Jahren entwickelt habe und in der es auch so etwas wie "bewusstes Missverstehen" gebe. "Wenn Sie zur Gelassenheit aufrufen, wird sofort gefragt: Könnte es sein, dass der vielleicht heimlich sozusagen irgendwie vielleicht mit denen gemeinsame Sache machen möchte und deswegen einfach sagt: Jetzt lasst die mal!"
Soboczynski plädiert gleichwohl für eben diese Gelassenheit im Umgang mit rechten Verlagen: "Wenn die eine Veranstaltung machen und ein Buch vorstellen, dann ist das durch die Meinungsfreiheit gedeckt und dann sollen die das verdammt noch mal machen, fertig aus!" (uko)

Adam Soboczynski wurde 1975 im polnischen Toruń geboren. Er siedelte 1981 mit seiner Familie vor Ausrufung des Kriegsrechts aus der damaligen Volksrepublik Polen in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist studierter Literaturwissenschafter und leitet seit 2013 zusammen mit Iris Radisch das Feuilleton der Wochenzeitung "Die Zeit".

Die ganze Sendung "Studio 9 - Der Tag mit Adam Soboczynski" zum Nachhören: Audio Player
Mehr zum Thema