Plädoyer für guten Schlaf

05.12.2006
Der "Schlafquotient" ist ein ausgesprochen munteres Buch über all das, was einen guten, erholsamen Schlaf ausmacht. Mit einer anschaulichen, behutsamen, mitunter fast zärtlichen Sprache beschreiben die beiden Autoren, was passiert, wenn wir das Licht löschen und schlafen. Und wir erfahren: Unsere Nachtruhe ist eine aktive, keineswegs untätige Phase unseres Lebens. Hier tanken wir auf, schöpfen die Kraft für den Tag.
Und so widmet sich das Buch weniger den Problemen wie Schlaflosigkeit, Schnarchern, Schlafwandlern und nächtlichem Zähneknirschen, als vielmehr der positiven Kraft der Nachtruhe.

Ingo Fietze und Thea Herold beschreiben den Schlaf als etwas sehr Individuelles: Denn jeder schläft anders. Unser Nervensystem bekommt schon bei der Geburt seine besondere Prägung, wann, wie und wie lange wir am liebsten schlafen. Schlafquotienten nennen das die Autoren und den gilt es zu entschlüsseln. Die meisten Erwachsenen aber laufen mit einer "Schlafschuld" umher und gönnen sich nicht genügend Schlaf. Nicht nur etliche tragische Unfälle und eine ganze Reihe von Krankheiten werden durch chronische Übermüdung ausgelöst. Wer weniger schläft, erlebt auch weniger Traumabschnitte und nimmt seinem Langzeitgedächtnis Chancen, sich zu ordnen.

Ein guter Schlaf hingegen fördert Kreativität und Lernvermögen. Auch wenn wir in einer 24-Stunden-Wach-Gesellschaft zu leben scheinen - Fietze und Herold vertreten ihre Position: Wach ist nur, wer gut schläft. Deshalb fordern sie nicht nur ein Menschenrecht auf Nachtschlaf. Sie plädieren auch für eine Mittagsruhe und argumentieren dabei mit den Rhythmen des Lebens. Es gibt nicht nur die zwei Phasen des Schlafens und des Wachens, sondern am Tag wie in der Nacht durchleben wir ein ständiges Auf und Ab. Gerade dem Mittagstief nachzugeben und sich nicht mit Kaffee oder Nikotin aufzumuntern, wirkt leistungssteigernd.

Unser natürlicher Rhythmus aber wurde vor 127 Jahren durch die Erfindung der Glühbirne massiv gestört, wie man in einem historischen Exkurs nachlesen kann. Ausgerechnet der ausgesprochene Kurzschläfer Edison - er brauchte nur vier Stunden Pause - schuf mit dem künstlichen Licht den mächtigsten Feind des Schlafes. Das zeigt Wirkung: Seit Edisons Zeiten verringerte sich die durchschnittliche Schlafzeit in Europa um rund 20 Prozent, für manche noch mehr. Wir sparen am Nachtschlaf und lassen uns einreden, es hätte etwas mit Lebensgewinn zu tun, von einem Ereignis zum nächsten zu hasten.

Doch auch in einem guten Schlaf verwirklicht sich Lebenssinn, meinen die Autoren. Mit ihrem Buch fordern sie uns auf, bewusst mit diesem Drittel unserer Lebenszeit umzugehen. Mit einem Fragebogen und der Anleitung für eine dreiwöchige Schlafkur liefert das Buch dafür auch praktische Anleitung.

Bemerkenswert an dem "Schlafquotienten" ist sein Autorenteam. Hier hat sich nicht einfach der Schlafmediziner Ingo Fietze der anschaulichen Sprache der Journalistin bedient. Vielmehr setzte sich Thea Herold selbst - wie man im Anhang erfährt - bei verschiedenen Kunstprojekten und Befragungen mit den nächtlichen Gewohnheiten auseinander und bringt ihre eigene Sicht auf den Schlaf ein. Sie führt das Ehepaar Rosenthal mit Sohn, Freundin und Schwiegereltern als unsere Begleitung durch die Lektüre ein, wodurch das dargestellte Wissen immer wieder konkret wird. Am Kaffeetisch der Familie erleben wir beispielsweise mit, wie die verschiedenen Rhythmen von Frühaufstehern und Nachschwärmern, den so genannten Lerchen und Eulen, Beziehungen durcheinander bringen können und welche Kompromisse zwischen diesen unterschiedlichen Schlafbedürfnissen gefunden werden muss.

Diese kleinen authentischen Geschichten leiten jeweils das nächste Kapitel ein und entwerfen zugleich ein Modell, wie das gewonnene Wissen über den Schlaf in den Alltag einfließen kann. So ist das Buch gut lesbar und auf dem neusten wissenschaftlichen Stand zugleich. Und das macht Spaß. Gerne liest man sich daher durch die über 300 Seiten, auf denen Ingo Fietze und Thea Herold das Hohelied auf den Schlaf singen. Ihr Plädoyer lautet dabei ebenso einfach wie logisch: "Ausgeschlafen ist das Leben am schönsten!"

Rezensiert von Barbara Leitner

Ingo Fietze/Thea Herold: Der Schlafquotient. Gute Nächte – wache Tage
Hoffmann und Campe 2006
319 Seiten, 19,95 €