Plädoyer für einen progressiven Konservatismus

Ohne Nationalstaat geht es nicht!

Eine Landkarte der EU-Mitgliedsländer auf einer Wand aus Bausteinen, umrahmt von der EU-Flagge.
"Die Zukunft Europas entscheidet sich in der Stärke der europäischen Nationen" - davon ist unser Autor Klaus-Rüdiger Mai überzeugt. © picture alliance / dpa / epa belga EC
Ein Debattenbeitrag von Klaus-Rüdiger Mai · 05.12.2018
Was ist heute konservativ? Darum geht es auch im Führungsstreit, der derzeit in der CDU geführt wird. Für unseren Autor Klaus-Rüdiger Mai gehört eines auf jeden Fall dazu: der Nationalstaat als Garant bürgerlicher Freiheiten und sozialer Gerechtigkeit.
Deutschland verändert sich. Ein Riss spaltet die Gesellschaft, er verläuft nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen Globalisten und Kommunitaristen. Die Frage lautet, ob man die Vorstellung von Nationalstaat und Heimat für überholt hält und man die Zukunft in supranationalen, grenzenlosen Gebilden sieht oder nicht.
Die Sozialdemokratie zerfällt, weil niemand mehr weiß, wofür sie steht. Nicht in einen Euro mehr oder weniger Mindestlohn besteht die soziale Frage, sondern in dem Aufstiegsversprechen, das die SPD nicht mehr zu formulieren weiß. In einer Art sozialer Garantie, dass es einem selbst nicht schlechter und vor allem seinen Kindern einmal besser gehen wird. Weil das aber so wichtig für die Statik der Gesellschaft ist, haben sich – wer sonst – progressive Konservative darum zu kümmern.
Aber auch ein anderes Erbe müssten sie antreten, das des Liberalismus, der bei den Neoliberalen immer in schlechten Händen war, denn Freiheit im altliberalen Sinn bedeutet weder Atomisierung, noch Verwahrlosung, sondern Freiheit existiert nur, wenn sie in die Balance mit Gewissen und Verantwortung gebracht wird, die Freiheit von etwas muss in Beziehung zur Freiheit für etwas stehen. Wirkliche Freiheit existiert nur im Reichtum von menschlichen Beziehungen, aus dem Bewusstsein von Kultur und Tradition.

Die eigene Kultur zukunftsfähig machen

Der sich selbst genügende und politisch ausgebootete Konservatismus bedarf einer Erneuerung. Es reicht nicht mehr aus, sich auf die Methode, alles Neue am Alten zu messen, reduzieren zu lassen, sondern er hat eine Vorstellung, wohin sich Deutschland entwickeln soll, in die Diskussion zu bringen. Jede Analyse geht von einem Standpunkt aus, entweder von einer Utopie, einer Idee, wie der Mensch zu sein hat – wie die Grünen – oder vom realen Menschen in seinem Lebensumfeld und seiner Kultur – wie die Konservativen.
Progressiver Konservatismus hat unsere Kultur nicht abzuwickeln, sondern zukunftsfähig zu machen. Er geht vom Staatsbürger aus und tritt für den Nationalstaat als Garanten bürgerlicher Freiheiten und sozialer Gerechtigkeit ein. Denn der Staat ist keine moralische Einrichtung, sondern eine funktionale.
Progressiver Konservatismus steht als Anwalt der Mitte zwischen den Grünen und der AfD. Wenn er versagt, wird sich die Auseinandersetzung zwischen Grünen einerseits und AfD andererseits radikalisieren und die Mitte wird sich politisch verflüchtigen. Er unterscheidet sich von der AfD, weil er jegliche nationalistische Überhöhung ablehnt, und er tritt dem grünen Illiberalismus entgegen, der den Bürger zum Objekt von Pädagogik macht.

Es nicht die Aufgabe des deutschen Staates, die Welt zu retten

Deshalb tritt progressiver Konservatismus dafür ein, dass der deutsche Staat gemäß zweier Maximen handelt: Erstens ist es nicht die Aufgabe des deutschen Staates, die Welt zu retten. Dass er im Rahmen seiner exakt definierten Möglichkeiten Verantwortung übernimmt, steht außer Frage. Er gewährleistet die innere und äußere Sicherheit, setzt seine Hoheitsrechte, Recht und Ordnung durch, überträgt nationale Rechte nicht auf Dritte und erfüllt seine Aufgaben in Fragen Infrastruktur, Bildung und Gesundheitsfürsorge.
Zweitens betreibt er eine aktive Wirtschaftspolitik, die schrittweise die Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft beseitigt, weil nur so eine ökonomische Basis für das Leben unserer Kinder geschaffen werden kann, denn nicht nur, aber auch der Aufstieg Chinas zeigt, dass spätestens 2023 der Export immer größere Dellen bekommen wird.
Progressive Konservative sind im Sinne Charles Taylors Kommunitaristen. Die Zukunft Europas entscheidet sich in der Stärke der europäischen Nationen. Umso stärker die einzelnen Staaten Europas sind, umso stärker wird Europa sein. Progressive Konservative haben für die Rahmenbedingungen zu sorgen, die Europa in der sich radikal verändernden Welt erneut zum Motor von Kultur, Wissenschaft und Technik macht.

Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, Dr. phil., Schriftsteller und Historiker, verfasste historische Sachbücher, Biografien und Essays, sowie historische Romane. Sein Spezialgebiet ist die europäische Geschichte und Gegenwart. Zuletzt erschienen von ihm der Essay "Gehört Luther zu Deutschland" und die Biografie "Gutenberg. Der Mann, der die Welt veränderte".

Der Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur Klaus-Rüdiger Mai
© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
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