Plädoyer für eine Chemiewende

Ausführlich beschreibt Hermann Fischer in seinem Buch die historische Entwicklung und die Einsatzgebiete von Chemikalien. Er erklärt, warum die klassische durch eine solare Chemie abgelöst werden muss.
Dass das Ölzeitalter zu Ende geht, ist inzwischen Allgemeinwissen. Dass damit nicht nur der Sprit fürs Auto, sondern auch der allergrößte Teil unserer Alltagsprodukte knapp wird, ist weit weniger bekannt. Vom Filzstift bis zum Fensterlack, von der Fleecejacke bis zum Fernseher - die chemische Industrie ist auf Erdöl, Erdgas und Kohle angewiesen. Sie machen 87 Prozent ihrer Rohstoffe aus.

In großer Ausführlichkeit beschreibt Hermann Fischer die historische Entwicklung, die mit der Synthese von Farbstoffen aus Steinkohleteer im 19. Jahrhundert begann und ihren Höhepunkt im Siegeszug des Öls und der Petrochemie nach 1945 fand. Die Kreativität der Chemiker, vor der der Autor, selbst Chemiker, hohen Respekt hat, schuf aus dem Rohstoff unendlich viele Chemikalien für die unterschiedlichsten Einsatzgebiete.

Ob Kunstfasern für Kleidung, Schmierstoffe für Maschinen, Baustoffe, Farben, Plastik von der Tüte bis zum Turnschuh, Kunststoffe vom Auto bis zum Windrad, Kosmetika vom Duschgel bis zum Parfum, Waschmittel – die fossile Chemie ist heute allgegenwärtig. Auch wenn ihre Nachteile bekannt sind: Eine Reihe der Stoffe sind giftig, gelten als krebserregend, können Allergien auslösen. Viele Abfallprodukte gefährden Umwelt und Mensch, verschmutzen Wasser, Luft und Boden auf Ewigkeiten, weil sie sich kaum zersetzen.

Dem stellt der Autor die "Magie und Vielfalt" der natürlichen Stoffe gegenüber. Immerhin gehören dazu auch die chemischen Prozesse, die, wie er detailliert beschreibt, den Menschen hören, sehen, riechen lassen. Die Natur hat mit der Photosynthese eine elegante, sparsame und umweltfreundliche Stoffherstellung erfunden, die unglaublich viele Variationen kennt. Diese chemischen Verbindungen sind durchaus geeignet, all jene zu ersetzen, die die Petrochemie derzeit anbietet.

Autor Hermann Fischer hält hier als Gründer des Farbenherstellers "Auro", der nur natürliche Rohstoffe verwendet, ein Plädoyer in eigener Sache. Das klingt manchmal allzu euphorisch, hat aber den Vorteil, dass er weiß, wovon er spricht und sich verständlich ausdrückt. Allerdings braucht Fischer lange, bis er im zweiten Teil des Buches zu konkreten Beispielen kommt. Hier hätte man gerne mehr erfahren.

So enthalten Kartoffeln bis zu 15 Prozent Stärke, ein Biopolymer, das heute schon als Bindemittel in Farben, Klebstoffen, Papier verwendet wird. Stärke dient zudem als Grundstoff für die Herstellung von Biokunststoffen. Baumharze, Pflanzenblätter, Früchte und Samen, schließlich das Holz selbst bieten zahlreiche Ausgangsstoffe für chemisch-technische Alltagsprodukte.

Die solare Chemie erlaubt, so Fischer, all dies relativ abfallarm, störfallsicher und energiesparend herzustellen. Er selbst ist optimistisch, dass die Zukunft dieser Form der Chemie gehört. Dass die Widerstände der chemischen Großindustrie noch groß sind, kann ihn nicht irritieren. Sein Buch ist jedenfalls ein beeindruckendes Plädoyer für eine Chemiewende.

Besprochen von Johannes Kaiser

Hermann Fischer: Stoff-Wechsel - Auf dem Weg zu einer solaren Chemie für das 21. Jahrhundert
Antje Kunstmann Verlag
München 2012, 301 Seiten, 19,95 Euro