Plädoyer für ein verkanntes Tier

Von Alkyone Karamanolis |
Die griechische Insel Hydra ist der einzige Ort Europas, wo es kein anderes Transportmittel als den Esel gibt. Das Tier selbst ist auch Träger einer vielfältigen Symbolik. Das Verhältnis vom Menschen zum Esel bewegt sich zwischen Wertschätzung, religiöser Verteufelung und Synonym für Dummheit.
Noch bevor die Sonne über Hydra aufgeht und das Dorf, das sich in die Hänge der hügeligen Insel schmiegt, in das bläulich-klare Licht der Ägäis taucht, sind die Geschäftsleute bereits am Hafen. Eine Fähre hat Lebensmittel vom gegenüberliegenden Peloponnes gebracht - nun werden sie für den Weitertransport auf Esel geladen.
Er transportiere Brot, Gemüse und Obst in sein Geschäft, sagt dieser Mann. Ganz oben am Hang liege es, und ohne Esel wäre das nicht zu machen. Auf der schwer zugänglichen Felseninsel gibt es bis heute keinen Autoverkehr, Esel und Maultiere sind das einzige Transportmittel. Doch so unentbehrlich die Esel hier noch sind, so gering ist ihre Bedeutung im Vergleich zum Altertum, sagt der Historiker Richard Bulliet von der Columbia Universität in New York. Denn bevor der Esel zu einem bloßen Lastenträger wurde, war er symbolisch aufgeladen wie kaum ein anderes Tier:

"Der Esel ist ein Wüstentier, und so wurde er im alten Ägypten mit dem Wüstengott Seth in Verbindung gebracht. Dieser Gott wurde aber im Laufe der Zeit zum Gott der Unterwelt - und der Esel damit zu einem verbotenen Tier, ja zu einem Repräsentanten des Dämons, was wiederum eine ganze Reihe von Folgen hatte, etwa im alten Rom. Dort spielte die ägyptische Kultur eine wichtige Rolle. Und so wurde etwa die Verleumdung geboren, die Juden - oder später auch die Christen - würden einem Esel huldigen. Das war eine riesige Anschuldigung, denn es bedeutete ja, sie würden den Teufel anbeten. Oder, wenn jemand die Christen bezichtigte, ihr Messias habe den Kopf eines Esels, dann hieß das indirekt, die Mutter Jesu habe ihren Sohn vom Teufel empfangen."

Doch ganz gleich, mit welcher Bedeutung man ihn belegte, der Esel war ein Prestige-Tier - vom Mittelmeer bis zum Mittleren Orient. Denn bevor das Pferd und das Kamel domestiziert wurden und in diese Regionen gelangten, war der Esel das einzige Reit- und Lastentier. Seine Bedeutung für die frühen Hochkulturen könne man gar nicht hoch genug einschätzen, meint daher die Archäologin Fiona Marshall von der Washington Universität in St. Louis:

"Die Domestizierung des Esels muss zu ihrer Zeit so bedeutend gewesen sein wie später die Erfindung der Dampfmaschine, des Flugzeugs oder des Internet. Denn sie hat der Menschheit völlig neue Kommunikations- und Transportmöglichkeiten eröffnet. So gibt es etwa die Lehrmeinung, die hierarchische Gesellschafts-Struktur des Alten Ägypten sei zum Teil eine Folge der Domestizierung des Esels. Denn örtliche Herrscher konnten Vorräte anhäufen und sie in Notzeiten mit der Hilfe von Eseln in der weiteren Region wieder verkaufen – über die sie so die Kontrolle gewannen."

Der Bruch kommt, als sich das Pferd von Zentral-Asien ausgehend ausbreitet. In der Folge verliert der Esel so sehr an Prestige, dass er auch in historischen Quellen kaum mehr erwähnt wird, sagt Justina Gregory vom Smith College, Massachusetts. Justina Gregory hat die wenigen Verweise auf Esel in der Literatur der griechischen Antike untersucht und dabei Interessantes entdeckt:

"Der Esel wird bei den alten Griechen als dumm, stur, als faul und von monströser Sexualität dargestellt. Aber zumindest die ersten drei Charakterisierungen sind falsch, und die alten Griechen mussten das wissen. Es geht hier also um etwas anderes - nämlich um die Bildung eines Bedeutungssystems. Denn das Tier, zu dem der Esel in Gegensatz gestellt wird, ist das Pferd. Und die Elite, die sich mit dem Pferd identifizierte, hatte natürlich nicht das geringste Interesse daran zuzugeben, der Esel könnte genauso wertvoll sein wie das Pferd; denn das hätte das gesamte Sozial- und Klassensystem gefährdet."

So steckt das Verhältnis von Mensch und Esel voller Missverständnisse – sagt auch Jill Bough, die gerade eine Doktorarbeit über den Einsatz von Eseln im Zweiten Weltkrieg schreibt. Dumm ist, meint sie, wer den Esel für stur hält:

"Die Sturheit, wenn wir überhaupt von Sturheit reden können, ist praktische Intelligenz! Ein Esel tut nichts auf Befehl, was er nicht einschätzen kann. Er springt nicht über ein Hindernis, wenn er nicht weiß, dass dahinter sicherer Grund ist. Das nenne ich nicht Dummheit oder Sturheit, sondern common sense!"