Plädoyer für ein optimistischeres Geschichtsbild
Das Buch "Deutsche Geschichten" erzählt vom Umgang mit der deutschen Historie des 20. Jahrhunderts. Die Autoren wollen das gängige Muster der Betrachtung aufbrechen, ohne Geschichtsklitterung zu betreiben. Sie ermuntern uns, nicht unkritisch, aber zwangloser und optimistischer mit der Vergangenheit umzugehen und unsere Identität im 21. Jahrhundert frei zu suchen.
Das Buch erzählt keine konkreten Geschichten, es handelt sich vielmehr um ein theoretisches Werk - gleichwohl eines von praktischem Nutzen. Es erzählt vom Umgang mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, und das ist - dem gängigen Bonmot nach - bekanntlich ein schwieriger Umgang. Lange galt dieser Ansatz gewissermaßen als Begrüßung, die Zeithistoriker am Tor zu ihrem Forschungsgegenstand angebracht hatten und an der niemand vorbeikam, der in lauterer Absicht die deutsche Geschichte untersuchen oder beschreiben wollte.
Der Band versucht, einen neuen Weg zu zeigen - wohlgemerkt ohne die Morde, Verwerfungen und Schrecken des vergangenen Jahrhunderts im Mindesten klein zu reden oder zu vertuschen.
Der Band versucht, einen neuen Weg zu zeigen - wohlgemerkt ohne die Morde, Verwerfungen und Schrecken des vergangenen Jahrhunderts im Mindesten klein zu reden oder zu vertuschen.
An den Verwerfungen des Jahrhunderts kommt man nicht vorbei, soll das heißen, die Autoren plädieren für eine Entkleidung der Geschichte oder für eine Vereinfachung der Betrachtung?
Jarausch und Geyer wollen den Facettenreichtum der Geschichtsdarstellung nicht schmälern. Auch machen sie sich keinesfalls der Geschichtsklitterung schuldig. Vielmehr empfehlen die beiden Wissenschaftler einen Weg heraus aus der - ihrer Meinung nach - überlebten ideologiegeprägten Betrachtung der Vergangenheit. Sie möchten, dass gängige Muster, nach denen deutsche Geschichtserzählung und geschichtswissenschaftliche Theorie in den vergangenen Jahrzehnten gestrickt wurden, aufgelöst werden.
Das "Ende der Geschichte" hatte der amerikanische Historiker Francis Fukujama einst prophezeit. Ist es das, was Jarausch und Geyer aufgreifen? Wollen sie diese Idee wiederbeleben, die entstand, als der Antagonismus zwischen Ost und West sich auflöste?
Ganz anders: Es gehöre, so ihr Ansatz, beispielsweise bis heute zum guten Ton unter jenen, die mit Geschichte umgehen, einem bestimmten Schema zu folgen. Erlebtes wird als schwere Last und große Bürde protokolliert. Aus der Unschuld kommend, verursacht und erlebt Deutschland Katastrophen - den Zweiten Weltkrieg; die Subjekte der Geschichte tun dann Buße oder werden gezwungen, im Büßerhemd zu überdauern, bis schließlich eine Art Erlösung kommt, in diesem Fall die Wiedervereinigung. In dieses Muster pressen die Beteiligten vielfach ihre individuellen Erlebnisse, ihr zerbrochenes Leben, ihre verwirrten Biographien.
Diese Geschichtsbetrachtung ist in einer bestimmten Zeit geboren, sie hatte durchaus ihre Berechtigung. Aber das Muster sei heute überlebt, denn es verbaut den Blick auf Neues, so Jarausch und Geyer.
Sie kritisieren zum Beispiel ein Geschichtsbild, das auf das eigene konzentriert bleibt und das bei unterschiedlichen Historikern zu einer Form der Hybris im Leiden an der Geschichte geführt habe: Eberhard Jäckels Werk "Das deutsche Jahrhundert" oder der von Helga Grebing wahrlich unsäglich formulierte Buchtitel "Der deutsche Sonderweg" stehen auf dem Sockel, den der Nestor der Nachkriegshistoriker Friedrich Meinecke mit seiner "Deutschen Katastrophe" gesetzt hatte. Meinecke brauchte 1946 diesen Ansatz noch, dreißig Jahre später indes hätte das Weiterdenken einsetzen müssen.
Der Mythos von der Modernität ist ein weiterer Punkt, an dem sich das Autorenduo reibt: Nach dem Zweiten Weltkrieg verhieß die moderne Sozialgeschichte eine wissenschaftliche Katharsis, schließlich aber beanspruchte sie Allgemeingültigkeit und das Modernisierungsparadigma wurde nicht mehr hinterfragt oder gar weiterentwickelt - das Moderne hat sich selbst ins Gegenteil gekehrt, es ist unmodern geworden.
Wer sind die beiden Autoren, die mit ihrem Werk der deutschen Geschichtswissenschaft den zerbrochenen Spiegel vorhalten?
Die beiden Autoren, Jahrgang 1943 bzw. 1947, sind deutschstämmige Historiker und seit langen Jahren in den USA. Jarausch ist zurückgekehrt und leitet das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Beide haben also den Blick von außen auf die deutsche Geschichtswissenschaft, und sie sind dennoch Insider. Ihre Provokation ist kenntnisreich. Kurz gesagt plädieren sie dafür, dass ihre deutschen Kollegen ihren berufsbedingt rückwärtsgewandten Blick auch mutig nach vorn richten.
Das klingt theoretisch, kann man als Nicht-Historiker damit etwas anfangen?
Ja, denn es ist anregend zu lesen, wie Jarausch und Geyer mit dem brechen, was sich unter deutschen Historikern, aber auch unter Politikern eingebürgert hat. Sie provozieren, aber sie ermuntern uns schließlich auch aus angelsächsischer Sicht, nicht unkritisch, aber zwangloser und optimistischer mit unserer Geschichte umzugehen, unsere Identität im 21. Jahrhundert frei zu suchen und geistige Entwicklung als zivilisatorischen Fortschritt zu begreifen.
Konrad H. Jarausch und Michael Geyer: Zerbrochener Spiegel. Deutsche Geschichten im 20. Jahrhundert
aus dem Englischen von Friedrich Griese,
DVA München September 2005,
496 Seiten, EUR 39,90