Plädoyer für ein gutes Lebensende

Das Plädoyer beginnt mit einer notwendigen Aufklärung über den Stand der Dinge. Inhaltlich begründet das Buch der Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Katrin Göring-Eckardt vor allem einen positiven Anspruch: Das Sterben soll medizinisch erleichtert werden und begleitet sein von Angehörigen und professionellen Helfern.
Der Bergriff Streitschrift passt zum Glück nicht. Das Buch ist viel mehr: nämlich ein fundiertes Plädoyer in zwölf Aufsätzen für ein gutes Lebensende. Dieses Plädoyer beginnt mit notwendiger Aufklärung über den Stand der Dinge. Da geht es um die Erläuterung der selbst von Ärzten nicht eindeutig verstandenen Begriffe wie passive und indirekte Sterbehilfe. Es geht um die Empfehlungen der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", um die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Thema Sterbebegleitung und um Erfahrungen aus Holland, wo die Tötung auf Verlangen seit 2002 in eng umrissenen Grenzen nicht mehr strafbar ist.

Und dann wird es spannend, denn dann geht es um die Praxis hierzulande, beispielsweise um "die Grenzen der Medizin am Lebensende". Mir hat noch nie eingeleuchtet, warum Menschen, die ihre Autonomie wahren möchten, zum Schluss Ärzte dazu nötigen wollen, ihnen ein tödliches Medikament zu verabreichen. Wer den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen will, was ja sein Recht sein muss, kann nicht anderen die Verantwortung dafür zuschieben. Mit recht, wenn auch anderen Begründungen, sehen Ärzte darin eine inakzeptable Zumutung.

Viele andere Widersprüche werden ebenfalls deutlich. Zum Beispiel der, dass gesunde Menschen völlig anders über invasive medizinische Maßnahmen denken als kranke.
Die Ärzte Stephan Sahm und Steffen Simon werfen ein erhellendes Schlaglicht auf die Ungereimtheiten in der Diskussion.

"Ein wesentliches Missverständnis im Blick auf medizinische Handlungen am Lebensende äußert sich in der verbreiteten Annahme, die Beendigung oder Nichtaufnahme medizinischer Behandlungen stelle einen Ausnahmefall dar. Ärzte seien stets verpflichtet, immer alles zu tun. Und nur in seltenen Fällen sei über eine Therapiebegrenzung zu entscheiden. Diese Vorstellung (...) ist falsch, entspricht nicht der medizinischen Realität. Das Gegenteil ist der Fall. Therapiebegrenzung ist Teil der medizinischen Routine."

Die beunruhigende Vorstellung, sinnlos mit lebensverlängernden Maßnahmen traktiert zu werden, sei also gar keine reale Gefahr. Allerdings:

"Selbst wenn die Lebensverlängerung kein sinnvolles Ziel mehr ist, endet die medizinische Behandlungspflicht nicht. Sie ändert lediglich ihr Ziel, hin zur alleinigen Leidensminderung. Leiden lindern gehört aber zu den vornehmsten Aufgaben der Medizin."

Die Autoren bemängeln die negative Besetzung des Autonomiebegriffs, wenn der Sterbende als jemand gesehen wird, der in Schutz genommen werden müsse vor seinen Mitmenschen. In Wirklichkeit aber sei der Sterbende Teil seines Umfelds und zu dem gehören eben auch Ärzte, die ihm helfen können und wollen.

"Die Autonomie der Betroffenen muss im Dialog zwischen Patient, Angehörigen und Handelnden entwickelt und gestützt werden."

In einer eigenen Untersuchung haben die Ärzte herausgefunden, dass genau dies auch von den Patienten gewünscht wird. Weder möchten sie, dass allein Ärzte entscheiden, noch allein Angehörige. Dieser Wunsch erklärt auch, warum über Patientenverfügungen zwar viel gesprochen wird, aber nur eine Minderheit eine solche hat. Offenbar ahnen viele, dass selbst bestimmtes Sterben nicht gleichzusetzen ist mit gutem Sterben. Das kann durch eine Patientenverfügung sogar verhindert werden, wissen die Praktiker.

Und hier treffen sich die Autoren mit dem Palliativmediziner H. Christof Müller-Busch. Leiden so gut es geht zu lindern, belastende Krankheitssymptome unter Kontrolle zu halten, das ist die Aufgabe der Palliativmedizin. Und damit ermöglicht sie Sterbenden Begegnungen mit sich selbst und anderen:

"Das Gesundheitsverständnis der Palliativbetreuung bedeutet (...) auch, trotz aller Aussichtslosigkeit des ‚Krankseins zum Sterben’ Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten und Tore der Erkenntnis (zu) öffnen, durch die das Erlebnis des Todes als etwas erfahren wird, das die universellen Zusammenhänge unserer Existenz bewusster werden lässt."

Es bedarf keiner religiösen Begründungen – die gibt es auch in diesem Buch –, um gegen die Tötung auf Verlangen Sterbenskranker zu sein. Die Gefahren sind zu groß, das machen etliche Beiträger klar. Die Gefahr, dass Kranke moralisch genötigt werden, sich für den vorzeitigen Tod zu entscheiden; die Gefahr finanzieller Begründungen und die Gefahr, das Leben Schwerstkranker oder Behinderter grundsätzlich zur Disposition zu stellen. All das sind wichtige Argumente.

Dieses Buch begründet aber vor allem einen positiven Anspruch: Das Sterben soll medizinisch erleichtert werden und begleitet von Angehörigen und professionellen Helfern, die wissen, dass unser Umgang mit Sterbenden uns als menschliche Gesellschaft qualifiziert oder disqualifiziert und dass wir für uns selbst nur das erwarten können, was wir anderen geben wollen.

Die Hospizbewegung, viele Ärzte und Ärztinnen, die sich palliativmedizinisch weiterbilden, haben dafür gesorgt, dass dies keine Utopie mehr ist, sondern längst vielerorts gelebte Praxis. Dies soll überall selbstverständlich werden, dafür plädiert dieses Buch. Es klärt auf und macht Mut. Seine Botschaft lässt sich so zusammenfassen: Wenn es uns wirklich um ein Sterben in Würde geht, dann müssen wir anstreben, dass alle Todkranken medizinisch gut versorgt werden und sozial nicht ins Abseits geraten.

Rezensiert von Barbara Dobrick

Katrin Göring-Eckardt (Hg.): Würdig leben bis zuletzt. Sterbehilfe – Hilfe beim Sterben – Sterbebegleitung – Eine Streitschrift
Gütersloher Verlagshaus; 200 Seiten, 14,95 €