Plädoyer für den Bußtag

Von Knut Berner |
Kirchliche Feiertage sind gut für die Volkswirtschaft. Kein Geschäft wirft so satte Gewinne ab wie das Weihnachtsgeschäft. Wen wundert es, dass der Handel am gefühlten Ende des Sommers Lebkuchen feilbietet und Anfang November Tannenbäume? Schließlich musste doch der arme Verbraucher monatelang ohne Dominosteine auskommen – so die Begründung des Einzelhandelsverbandes in der „Frankfurter Rundschau“.
Wenn es feierlich wird, wenn es ans Herz geht, dann geben die Leute mehr Geld aus. Und dafür, dass es feierlich wird, sorgt der Handel mit Gespür für die Erzeugung spiritueller Bedürfnisse. Feiertage, mit denen kein Geld zu verdienen ist, haben es schwer – weil es am Reformationstag nichts zu dekorieren gibt, hat er kommerziell keine Chance gegen das zeitgleiche Halloween. Und die Diskussion über verkaufsoffene Sonntage zeigt: Ruhetage sind gefährdet. Das ist keine neue Erkenntnis. Schon im Alten Testament klagt der Prophet Amos über diejenigen, die das Ende des Sabbats herbeisehnen, um wieder Korn feilbieten zu können.

Feiertage wurden immer ökonomisch ausgeschlachtet. Darüber zu lamentieren führt nicht weiter, solange wir alle am Konsum partizipieren, Weihnachtsgeschenke und Festmenüs kaufen. Und wer möchte im Ernst seinen Kindern verbieten, als Gespenst verkleidet Halloween zu feiern? Für die Kirche wird mit solcher Spielverderberei nichts gewonnen. Man kann nicht immer nur gegen etwas sein.

Die Grenze ist aber da erreicht, wo der Primat der Ökonomie zur Abschaffung von Feiertagen führt. Das ist das Schicksal des Buß- und Bettages, der zur Gegenfinanzierung der Pflegeversicherung weithin gestrichen wurde. Vermutlich waren dafür nicht nur ökonomische Gründe ausschlaggebend. Feiertage können nämlich auf Dauer nur überleben, wenn ihr Sinn einsichtig bleibt. Und die Kirchen haben die Aufgabe, diesen Sinn zu vermitteln. Eine drängende Aufgabe. Denn die gängige Berufung auf das christliche Abendland darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer weniger Menschen wissen, was Karfreitag oder Pfingsten inhaltlich bedeuten. Zum Konfirmandenunterricht werden Kinder angemeldet, die glauben, Jesus sei auf dem Times Square geboren. Das ist die Lage.

Was also ist der Sinn des Buß- und Bettages, der diese Woche im Kalender steht? Warum wurde gerade er abgeschafft? Buße ist doch ein Thema, dem kein Mensch entkommen kann. Was müssen wir nicht alles büßen: Tabakkonsum, Alkoholexzesse, Seitensprünge und andere Verkehrsdelikte, unvernünftige Geldanlagen und verpasste Karrierechancen. Fehlverhalten hat Konsequenzen, im privaten und im öffentlichen Leben. Weniger müssen müssen – dieser Wunsch betrifft das Büßen in besonderem Maße.

Wozu dann noch eigens ein Tag, der das alles in Erinnerung bringt? Weil der Buß- und Bettag der einzige unter den traditionellen kirchlichen Feiertagen ist, an dem der Mensch über sich selber nachdenken soll. Darüber, was er sich und anderen angetan hat. Welche Entscheidungen verhängnisvoll waren, welche Worte verletzend, welche Gedanken unversöhnlich. Über das, was nicht wieder gutzumachen ist. Über das Ende der eigenen Möglichkeiten. Diese kann man vor Gott bringen, bei ihm ablegen und daraus Befreiung erfahren. Alles liegt daran, dass dies freiwillig geschieht: Büßen müssen ist etwas anderes als das freiwillige Bedenken der eigenen, auch der unbewussten Verstrickungen in das Böse, in die wir ja nicht immer vorsätzlich geraten.

Der Buß- und Bettag ist wie geschaffen für Menschen, die ihr Leben kritisch reflektieren und dabei den negativen Dimensionen nicht ausweichen. Wir Kinder der Aufklärung sollten ihn hochhalten, auch wenn er kein offizieller Feiertag ist. Wie jeder noch existierende Ruhetag davon lebt, was Menschen aus ihm machen. Man kann Weihnachten mit Festgelagen feiern und trotzdem verstanden haben, worum es da eigentlich dem christlichen Glauben zufolge geht. Die Kirchen müssen sich für den Erhalt der Feiertage einsetzen, aber primär müssen sie deren Bedeutung verständlich machen. Dazu gehört die Einsicht, dass sich der Gottesdienst im Alltag der Welt vollzieht und nicht nur an offiziellen Feiertagen.


Knut Berner, Theologe und Dozent, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg, Vikariat (Ausbildung zum Pfarrer) in Wuppertal, Promotion und Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum, seit 1996 Studienleiter im Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst mit Zuständigkeit für das Auswahlverfahren in der Grundförderung und den Promotionsschwerpunkt „Macht-Religion-Moral“. Außerdem seit 2003 Privatdozent für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.